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Stationen des „Sagra musicale dell’ Umbria“

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Perugia, Ende September 1948

Seit Jahrzehnten feiert die umbrische Hauptstadt in der Chiesa S. Pietro, im weiträumigen Teatro Comunale und im freskengeschmückten, überakustischen Saal di Notari ihr Musikfest, die „Sagra musicale dell’ Umbria“, eine musikalische Kirchweih sozusagen, in deren künstlerischem Vorhaben geistliche Werke überwiegen sollen. Heuer wurde zum ersten Male , der Kreis der Mitwirkenden auf internationale Basis gestellt. Wien war duj i die achtzigköpfige S i n g a k a demie der Wiener Konzert- hausgesellschaft, durch den Wiener Kammerchor, die Dirigenten Karl Böhm und Reinhold Schmid, den Regisseur Oskar Fritz Schuh und mehrere Solisten vertreten.

Das Musikfest wurde mit der Aufführung zweier Opern an einem Abend eröffnet. Piccinis „Gionata“ und Honeggers „Judith“ — Dauer der Vorstellung fünf Stunden — sollten wohl die Grenzen abstecken, die sich das Programm des musikalischen Theaters für Perugia zog. Die Musik des großen Gegenspielers Glucks mutet merkwürdig frisch und eingängig an, auch in einer „Azione sacra"innerhalb von Priestern, Soldaten und Volk (die Heldin hat eine Art A'ida-Schicksul durchzumachen), die dem Begründer der Opera buffa eigentlich fem lag. Sie hätte eine bessere szenische und musikalische Inszenierung verdient als diese. Auch die Umsetzung der anspruchsvollen Honegger-Partitur in die Bühnenwirklichkeit konnte nicht befriedigen. Das Publikum war augenscheinlich zufrieden mit alldem, wenn es sich nicht gerade mit Wichtigerem beschäftigte. Dagegen verdienen die Leistungen de römischen Chores ,,Maestri Cantori Romani“ im Dienste von Palestrinas Schaffen volle Anerkennung. Monsignore Virgili, der Dirigent, wendete sich vor jedem Werk zur Zuhörerschaft und übersetzte in eigenartigen Rezi- . tationszwischenstufen von Rede und Gesang dien lateinischen Text der Motetten und Offertorien ins Italienische. Den einzelnen Darbietungen der etwa 40 Knaben- und Männerstimmen folgte trotz des geheiligten Raumes rauschender Beifall. Die Interpretationen der Sänger im geistlichen Gewand ließen überaus schöne Tenöre von ausgeglichenem Timbre erkennen; die Knabenstimmen wurden bisweilen zuwenig entschärft.

Der Wiener Kammerchor 'qnter Rainhold Schmid, ein starker Bund von je einem Dutzend Frauen- und Männerstimmen, brachte ein ausschließlich zeitgenössisches Programm. Schmid ist selbst schöpferischer Musiker und weiß um die Stilklarheit Ernst Tittels, dessen „Hymnus an die Erde“ den stärksten Werken des Abends präsidierte. Hier, bei David und Schiske, lag nach unseren Begriffen der Schwerpunkt des Programms. Das wirksamste Werk der ausländischen Komponisten war ein Zyklus Benjamin Brittens mit Harfe, der dem impressionistischen Bereich angehört und mit viel Geschmack Bilder der Sonnensehnsucht unter englischem Himmel vor dem geistigen Auge vorüberziehen läßt. Milhauds Experiment einer sechsten „Symphonie“ für vierstimmigen Chor mit Oboe und Violoncello, eine Vokalise von ausgesprochen instrumentaler Erfindung, muß als durchaus abseitig eingeschätzt werden.

Einer Interpretation von Mozarts c-moll-

Messe unter V. Gui, deren Durchschnittlichkcit weder den Sängerinnen Schwarzkopf und Lin- hard, noch der tüchtigen Wiener Singakademie angelastet werden darf, folgte als bedeutendstes Ereignis die europäische Erstaufführung von Hindemiths Requiem „Für die, die wir lieben“. „Als Flieder jüngst hier im Garten blüht“, beginnt das elfteilige Poem von Walt Whitman. Es hatte den gewaltsamen Tod Lincolns zum aktuellen Anlaß. Das Konkrete und das Abstrakte: das Leben und die Ewigkeit stehen einander gegenüber. Es ist ein „Lebensgesang des Todes". (Das Wort fällt im Verlaufe der Dichtung). „Inmitten der Welt steht der Tod“ — heißt es ein anderes Mal. Erkenntnis von der Ohnmacht und immer wiederkehrende Sehnsucht nach der einzigen Macht des Lebens wechseln. Die Disposition lag für Paul Hindemith auf der Hand: zwei Solisten. Die Frau als Stimme des Lebens und der Mann der Erkenntnisse voll. Der Chor: „Komm, lieber und sanfter Tod…“ Wien wird das Chorwerk demnächst hören. Es wird sich selbst von der Ausgewogenheit und Klärung des hindemithschen Kompositionsstils der jüngsten Zeit überzeugen können. Die musikalische Leitung des' Komponisten distanzierte sich einigermaßen von den Metronomvorschriften der Partitur und fand in ihrer unkomplizierten Art schnell den Weg zu den Ausführenden. Da stand dem einigermaßen entsprechenden Orchester der Römischen Oper neuerlich die Wiener Singakademie gegenüber. Sie wurde zu einem ersklassigen Vokalkörper im Dienste einer repräsentativen Interpretationsaufgabe. Europa bekundete erhebliches Interesse an der Erstaufführung. Etwa ein Dutzend Sendestationen brachte das wenig mehr als eine Stunde währende Werk an die Ohren von Millionen Hörern, Musikkritiker aus aller Herren Ländern nahmen teil. Daß — vom Orchester abgesehen — Wiener Kräfte diese außerordentliche Erstaufführung eines außerordentlichen Werkes trugen, darf uns mit Stolz erfüllen.

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