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Stimmen und Stimmungen in Aix

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Das Festival von Aix-en-Provence steht an einem Wendepunkt. Von den Ideen, die es einst beflügelten, sind vornehmlich zwei geblieben: die Verbindung Mozarts mit der Provence, einer Landschaft, die dem Geist des Werkes fremd und zugleich auf unerklärliche Art verbunden ist, dann die Intimitė, der kammermusikalische Charakter des Festes, das in einem gleichsam barocken Freilichttheater und in alten Höfen stattfindet. Aber bereits die Wahl der Schauplätze schien in diesem Jahre, nimmt man das Theatre de 1’ArcheverJie aus, von Zufälligkeiten und Unsicherheit mitbeeinflußt. Während das Festival schon im Gange war, wurden einige geändert: dabei weiß man doch seit Jahren, daß der Pare Rambot

— in dem ursprünglich viele Konzerte angesetzt waren — akustisch problematisch ist; der Hof der Ecole des Arts et

Metiers läßt zwar kaum einen Ton verlorengehen, entbehrt aber jeglicher Atmosphäre „aixoise“ (und der schöne Innenhof des Cloitre Saint-Louis steht offenbar nicht mehr zur Verfügung, seitdem die in dem Gebäude domizilierende Kellnerfachschule sich eine moderne Fassade gegeben hat). Kurz: die alten Ideen sind in den 15 Jahren des Bestehens etwas brüchig geworden.

Jetzt hat die Direktion, die zugleich auch dem für das Festival bürgenden Casino vorsteht, aus etwas unklaren Gründen gewechselt; immerhin, der Boden ist gut bereitet für neue Impulse. Die Mozart-Tradition soll Mitte und Maß bleiben, doch gibt es hier einen wirklichen Mozart-Stil? Verdrängt wird alles Unergründliche, alles — wenn man so will — Metaphysische. Wenn sich das Spiel der Chance, ins Bodenlose zu loten, derart begibt, nimmt es nur allzubald die Attitüde der Verspieltheit an. Beide Mozart- Opern dės Jahres 1964 — „Don Giovanni“ und „Die Hochzeit des Fiiaro“ — waren von Jean Meyer inszeniert, die musikalische Leitung hatte Peter Maag. Auffällig war die Neigung zu einer forcierten „Zwanglosigkeit“ der Szen&ifüh- rung; ein Prinzip, das in dramaturgisch komplizierten Situationen, beispielsweise im Vierten Akt des „Figaro“, völlig versagte. Erstaunlich, daß hier, wo das formale Moment eigentlich schon in der Landschaft beschlossen ist, wo ein Cezanne die Moderne begründete, der formale Anspruch des Werkes im Szenischen nahezu negiert wird! Dazu kam in diesem Sommer das magistrale, den Mo- zartschen Ausdruck vergröbernde Musizieren von Peter Maag; bei ihm entartet das „Natürliche“ zum Biederen, Undifferenzierten.

Das Aixer Sänger-Ensemble hingegen war für Mozart durchaus mit Glück zusammengerufen. Gabriel Bacquier gab, gleicherweise dominierend durch seine Persönlichkeit wie durch seine reife Gesangskultur, den Don Giovanni und den Figaro; Teresa Stich-Randall, dem Aixer Festival treu seit Jahren, wird sich darüber klar sein, daß die Donna Anna und die Gräfin für sie heute schon Grenzpartien sind, denen sie aber dank ihrer Bühnenausstrahlung und exorbitanten Technik immer noch gerecht zu werden vermag. Ilvä Ligabue, ein Theatertemperament von besonderen Graden, ist mit der ihr eigenen Neigung zur Schärfe immer noch keine ideale Elvira, zweifellos aber seit 1963 beachtlich gereift. Wladimir Ganzarolli sang den Leporello mit hinreißender Bravour, Marielia Adani, Luigi Alva und Giorgio Tadeo erwiesen sich wiederum als bewährte Stützen eines spezifisch Aixer Mozart-Ensembles. Als Graf im „Figaro“ (letztlich auch als Ford im Verdischen „Falstaff“) schien der junge Robert Kerns von der Wiener Staatsoper, der mit überwiegend sehr routinierten Partnern zu spielen hatte, noch etwas gehemmt im gesanglichen und darstellerischen Ausdruck — ein Merkmal, das dem Cherubino wohl angestanden hätte, aber Teresa Berganza kam, wurde gesehen und hatte schon gesiegt, ein wenig auf Kosten der Figur.

Neu im Programm war Verdis „Falstaff“. Einigen Besuchern klangen diese erlesenen Töne reichlich fremd ... Zwar hatte der Regisseur Michel Crochot von der geistigen Komödiantik dieses weisen Spätwerks nichts begriffen, aber Pierre Dervaux, der ausgezeichnete Pariser Opernkapellmeister, näherte sich der Partitur mit ebensoviel Elan wie Feingefühl. Beherrschend war Ganzarolli als Sir John: mit stählernem, profundem Material, von sinnenhafter Ausstrahlung, ein wirkliches Sängerereignis. Eine . glücklichere Regiehand hatte Crochot bei der „Krönung der Poppea“ Monteverdis. Die dezent klassizistische, gleichwohl rein ornamentale Stilisierung fügte sich zu dem Duktus der Bearbeitung Gian Francesco Malipieros: diese sucht — in einer stark verkürzten Version — den „Goldgrund der Renaissance“ zum Leben zu erwecken, doch in einer Weise, die den „Expressionismus“ Monteverdis (der anachronistische Hinweis sei zur Verdeutlichung gestattet) total verleugnet. Die „musica affetuosa“ ist wie von einem dunklen Flor verschleiert. Gianfranco Ri- voli brachte gerade diese Farbtöne delikat zum Klingen, das Orchestre du Conservatoire spielte exzellent. Dieser Eliteklangkörper sichert nicht zuletzt den künstlerischen Ertrag des Festivals, das mit seiner auf puren Wohlklang abgestellten Programmfolge die Stadt durchdringt und sich von ihr tragen läßt.

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