Strauss - doch ein Moderner?

Werbung
Werbung
Werbung

Denkt man an Richard Strauss, denken viele nicht von ungefähr unverzüglich an Gustav Mahler. Er und Strauss schätzten einander zumindest anfänglich, interessierten sich für die Werke des jeweils anderen und waren komponierende Dirigenten. Beide wurden lange nicht entsprechend verstanden oder werden dies immer noch nicht.

Als 1969 der Wiener Musikwissenschaftler Kurt Blaukopf sein maßstäbliches, zuletzt bei Braumüller neu ediertes Buch "Gustav Mahler oder der Zeitgenosse der Zukunft" publizierte, schloss er mit "Die Forschung hat noch nicht begonnen. Sie wird hiermit eröffnet." Er hat Recht behalten. Sein Buch gab einen wesentlichen Anstoß für eine umfassende Auseinandersetzung mit der Persönlichkeit und dem Schaffen von Gustav Mahler. Erst in seinem Sog ist es zu dem bis heute weltweiten Mahler-Boom gekommen, der Mahlers wichtige Rolle für zukünftige musikalische Entwicklungen in den Blickpunkt rückte.

Komponist und Dirigent

Bei Richard Strauss, so scheint es, ist man auch erst Ende der 1960er-Jahre angelangt, um diesen Mahler-Faden aufzugreifen. Denn die Strauss-Forschung steckt, was überraschen mag, noch in den sprichwörtlichen Kinderschuhen. Weder gibt es die Strauss-Biografie, noch liegt eine vollständige Ausgabe seiner Briefe, geschweige denn eine wissenschaftlich kommentierte vor. Dabei ist der vor 150 Jahren in München geborene Komponist "über einen so langen Zeitraum in der Öffentlichkeit gestanden wie kein anderer Komponist vor ihm oder nach ihm", wie der Wiener Musikkritiker Daniel Ender gleich zu Beginn seines aus Anlass dieses Richard Strauss-Jahres erschienenen, faktenreichen Buches "Richard Strauss. Meister der Inszenierung"(Böhlau Verlag) konstatiert.

Da wäre doch, meint man, genügend Zeit gewesen, nicht zuletzt auch aus Selbstzeugnissen des Komponisten eine entsprechend autorisierte Bio-oder Monografie zu verfassen. Auch wenn Strauss gegenüber dem manchmal anders gezeichneten Bild bei aller meisterhaften Selbstinszenierung niemand war, der sich so ohne weiteres in sein Innerstes blicken ließ. Möglich, dass so manche ein solches Unterfangen auch deshalb nicht wagten, weil die zeitliche Distanz fehlte, um eine entsprechende Einordnung von Richard Strauss vorzunehmen. Das trifft gleichermaßen für den Komponisten wie Dirigenten zu. Was letzteren anlangt, hat man es einfacher.

Mittlerweile liegen eine Reihe seiner Einspielungen vor: Zuletzt die siebenteilige Box "Strauss conducts Strauss" (Deutsche Grammophon). Sie zeigt, dass er wie nur wenige die Kunst beherrschte, in seinen Interpretationen gleichermaßen die eigentümliche Struktur der Werke deutlich zu machen wie deren emotionalem Gehalt gerecht zu werden. Zu hören ist das am Beispiel nicht nur eigener Werke, sondern auch der letzten Mozart-und ausgewählter Beethoven-Symphonien sowie ebenso hinreißend musizierter Ouvertüren von Gluck, Wagner, Weber und Peter Cornelius. Eine immer schon seltene Balance, über die, bei nicht ganz so flüssigen Tempi, auch sein Lieblingsdirigent Clemens Krauss verfügte. Das rufen dessen gleichfalls zu diesem Strauss-Jahr herausgekommenen Strauss-E i n s p i e l u n ge n mit den Wiener Philharmonikern (Clemens Krauss, Richard Strauss: The complete DECCA Recordings, 5 CDs) ebenso faszinierend in Erinnerung. Freilich wäre es eine mindestens ebenso gute Idee gewesen, sämtliche Strauss-Einspielungen eigener Werke mit den entsprechenden Aufnahmen aller seiner bevorzugten Dirigenten, darunter auch Karl Böhm, zusammenzuführen.

Doch zurück zum Bild des Komponisten Richard Strauss, wie es sich heute immer noch mehrheitlich präsentiert: Ein Neuerer bis zu "Elektra", dann ein Konservativer, um es plakativ zu formulieren. Hätte er sich nicht entschlossen, gefälliger zu komponieren, wäre er nicht der quasi Letzte, der mit seinem Œuvre (und zwar im Konzertsaal wie in der Oper) weltweit erfolgreich präsent ist.

Aber muss, was scheinbar logisch erscheint, auch schon der Wahrheit entsprechen? Waren es nicht immer wieder auch die persönlichen Umstände, darunter Strauss' Kollaboration mit dem NS-Regime, wenngleich man diese sehr differenziert sehen muss, die einer uneingeschränkten Sicht seiner kompositorischen Entwicklung entgegen standen und stehen?

Tatsächlich, und dies scheint das Ergebnis des bisherigen Strauss-Jahres zu sein, schält sich immer deutlicher die Sichtweise heraus, dass Richard Strauss und die Moderne kein Widerspruch sind. Im Gegenteil. In der fundiertesten Neuerscheinung zu diesem Thema -seinem in Buchform edierten Feuilleton "Richard Strauss. Musik der Moderne"(Reclam) - legt der Zürcher Ordinarius für Musikwissenschaft Laurenz Lütteken gerade darauf den Fokus seiner gleichermaßen dem Werk wie der Persönlichkeit von Strauss exzellent gerecht werdenden Darstellung. Und mit eben diesem Paradigmenwechsel in der Beurteilung des Komponisten Strauss wird man auch im umfänglichen, für Wissenschaftler wie Musikfreunde gleichermaßen empfehlenswerten, von führenden Wissenschaftern verfassten "Richard Strauss-Handbuch" (Metzler-Bärenreiter) konfrontiert.

Musik der Moderne

"Gewiss, zur Drastik der musikalischen Sprache von Salome und Elektra ist Strauss später nicht mehr zurückgekehrt. Der Differenzierungsgrad seiner Musik ist allerdings noch eher gewachsen -ohne dass Strauss in seiner Anstrengung nachgelassen hätte, die Musik aus dem Käfig ihrer selbstreferentiellen ästhetischen Nabelschau zu befreien, in dem sie sich seiner Überzeugung nach noch am Ende des 19. Jahrhunderts befunden hatte. Unbeirrt schrieb er Musik des 20. Jahrhunderts - für ein Publikum, das seine Kunst so ernst nahm, wie sie ihm war", resümiert der deutsche Musikologe Walter Werbeck in seiner Analyse zum Schaffensweg von Richard Strauss, den er als "Konservativer Modernist" apostrophiert. Ob ihm damit eine ähnlich griffige Charakterisierung gelungen ist, wie seinerzeit Blaukopf mit seinem "Zeitgenosse der Zukunft" für Mahler? Auch das wird sich nach diesem Richard Strauss-Jahr zeigen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung