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Symphonie und Volkslied

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Josef K r i p s, der in Wien leider seltene Wiener, dirigierte im 4. Konzert im Zyklus „Die große Symphonie“ ein Programm des 20. Jahrhunderts. „La mer“ von Claude D e b u s s y, uraufgeführt 1905, eines der bedeutendsten Werke des Impressionismus, hat bis heute weder von seiner Leuchtkraft noch von seiner Modernität eingebüßt; Artur Honeggers „tragische“ 2. Symphonie gipfelt in ihrem Adagio, steigert sich jedoch im Schlußsatz zu musikantischem Triumph. Letzterer wird allerdings noch gewaltig übertroffen von Igor S t r a-winskys „Concerto in Re“ (mit Wolfgang Schneiderhan als Solisten) und durch „Till Eulenspiegels lustige Streiche“ von Richard S t r a u s s. Es war ein glänzendes Konzert, und Krips, dessen persönlich lebendiger Auffassung das Orchester (Wiener Symphoniker) willig und inspiriert folgte, legitimierte sich wieder einmal als Interpret moderner Meisterwerke.

Im Romantikerzyklus dirigierte Wolfgang S a w a 11 i s c h, ebenfalls mit den Symphonikern und Wolfgang Schneiderhan, die „Variationen über ein Thema von Joseph Haydn“ von Johannes B r a h m s, das

Konzert für Violine und Orchester, op. 64, von Felix Mendelssohn-Barth o 1 d y, und im zweiten Teil des Programms die „Unvollendete“ von Franz Schubert und Friedrich Smetanas „Moldau“. Schwung und schöner Aufbau von Steigerungen sind Sawallischs Stärke, eine Neigung zu Äußerlichkeit und Perfektion seine Gefahr. Beides kam im geistig gewichtigeren zweiten Teil das Programms besonders zur Geltung.

Eine Aufführung von Johann Sebastian Bachs „Weihnachtsoratorium“ durch den Madrigalchor Sankt Veit, Wien, unter Xaver Meyer, hinterließ trotz vieler theoretischer Erwägungen im Programmheft einen zwiespältigen Eindruck. Der Chor sang seine Partien recht gut, unter den Solisten ist besonders der Tenor Robert B e h a n eine vielversprechende Entdeckung, auch Annelies Hückl und Sonja Draksler sowie die Instrumentalsolisten waren ihren Aufgaben gewachsen — und dennoch wollte sich ein einheitlicher Eindruck nicht, einstellen. Die gewaltige Gestation Meyers dem kleinen, braven, wenn auch etwas robusten Orchester gegenüber (Volksopernorchester) spiegelte diese Uneinheitlichkeit auch äußerlich. So bleiben die bravourösen Leistungen von Helmut Wobisch (Trompete) und des Knabenchors des Realgymnasiums Wien XIV für sich zu erwähnen.

An einem Abend des Musikvereinsquartetts hörten wir das 2. Streichquartett von Dimitri Schostakö-witsch und das B-Dur-Streichquartett op. 67 von Johannes B r a h m s, beide in seltsamem Gegensatz zueinander stehend. Hier das klassisch aufgebaute, dort das frei rhapsodische Element vorherrschend, wurden sie doch restlos überspielt vom Klavierquintett op. 114 von Franz Schubert (Forellenquintett), darin eine erz-musikantische geniale Begabung alle Formund Satzprobleme ebenso meistert wie ihrem klingenden Reichrum unterordnet, dessen Wärme Ausführende und Zuhörende in gleicher Weise beschenkt.

Der Wiener Lehrer-a-cappella-C h o r feierte sein fünfzigjähriges Bestehen durch ein Konzert, dessen Programm eine Auswahl jener Chorlieder umfaßte, die in seinem bisherigen Wirken den stärksten Wiederhall fanden. Erfreulicherweise befinden sich darunter auch zeitgenössische Kompositionen von Friedrich Skorzeny und Ernst T i 11 e 1, dessen Variationen über „O, du lieber Augustin“ sich in geistvoller Art mit der alten Wiener Volksweise auseinandersetzen. Die im Laufe des halben Jahrhunderts unterschiedliche Leistungsfähigkeit des Chores scheint zu einem qualitativen Aufstieg anzusetzen, zweifellos ein Verdienst seines Dirigenten Alois Apfelauer.

Anton D e r m o t a sang die „Winterreise“. Dieser Schubert-Zyklus von 24 Liedern verlangt vom Sänger eine enorme Konzentration, Variabilität und Ausdauer in Stimme und Ausdruck, die Dermota, der immer junge, mühelos einzusetzen vermochte. Nichtsdestoweniger: das praktizierte Liederrepertoire der großen Sänger wird immer kleiner. Außer den beiden Schubert-Zyklen, einigen Hugo-Wolf-Liedern und noch wenigeren von Brahms und Richard Strauss sind kaum noch Lieder zu hören. Man möchte in den alten Ruf einstimmen: macht Neues, Kinder, macht Neues I

Neues machte Murray D i c k i e. Er sang, abwechselnd von Karl Scheit (Gitarre) und Eric Werba (Klavier) begleitet, englische und italienische Volkslieder. Und er sang sie auch a 1 s Volkslieder, nicht in Bearbeitungen (von einer Ausnahme abgesehen, die Benjamin Britten arrangiert hat). Das Volkslied ist eine Melodie, nicht eine Bearbeitung. Die paar Stützakkorde der Gitarre genügten für das harmonische Gerüst, die Weise kam rein und echt zur Wirkung. Daß der Sänger sein eigener, launiger Conferencier war, erhöhte die Unmittelbarkeit der (in ihrer Volkssprache gesungenen) Lieder. Die Zuhörer sahen sich einer ganz neuen Situation gegenüber, verstanden sie sofort und danktem mit enthusiastischem Beifall.

In einem Konzert der Wieoer Solilten im Mozartsaal konnte man die Entstehung und Entwicklung des Concerto grosso gewissermaßen hörend nachvollziehen. Ausgewählte Concerti von Händel, Torclli, Vivaldi und C o r e 11 i. deren Geburtsjahr zwischen 1653 und 1685 liegt, standen auf dem Programm. (Die angekündigte Bach-Kantate Nummer 51 mußte entfallen und wurde durch Stücke von Ricciotti und Mozart ersetzt.) Et war eine lehrreiche, I aber i -etwas monoton tVortragtfobge, bei deren Ausführung man die Qualitäten, aber auch gewisse Schwächen des jungen Ensembles ziemlich genau feststellen konnte. Der Dirigent der „Wiener Solisten“. Wilfried Boettcher, hat, teit wir ihn zuletzt sahen, an Freiheit und Prägnanz der dirigentischen Geste wesentlich gewonnen. Er hat ein echtet Verhältnis zu dieser Musik und eine angenehm Art des Musizierens. Das Klangvolumen der Wiener Solisten ist, wenn man es mit ihren berühmten ausländischen Konkurrenten (etwa den römischen Musici und Virtuosen oder den Festival Strings, Luzem) vergleicht, geringer (was man besonders bei Händel spürte), der Gesamtklang dieser zwölf Streicher nicht von jener südländisch-klassischen Schönheit und Rundung. Die Disziplin ist gut, wenn auch da und dort die letzte Feile noch anzulegen wäre. Im ganzen: ein erfreulicher, in wohltuender Weise vom üblichen Programmschema abweichender Abend, der ein verständnisvolles und dankbares Publikum fand. Auf die Weihnachtszeit nahmen die beiden Concerti von Torelli und Corelli („per il santissimo Natale“ und „fatto per la notte di Natale“) mit ihren Siciliano- und Pastorale-Sätzen Bezug, die besonders schön gelangen. H. A. F.

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