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Traviata und Judas Maccabäus

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„La Traviata war Argeo Quadris dritte Oper, die er im Großen Haus am Ring dirigierte, und er zeigte auch an diesem Abend alle wiederholt an ihm gerühmten Vorzüge. Sentiment, Leidenschaft und Thea-tralik kommen gleichermaßen zur Geltung, wobei er in „Traviata, sehr zu Recht, die feineren Partien akzentuiert. Inszenierung und Ausstattung sind die gleichen (vielkritisierten) wie vor Jahren, aber wir möchten die altmodischen Dekorationen von Lila de Nobili nicht so sehr verdammen, sondern gewinnen ihnen von Mal zu Mal einen immer größeren, wenn auch nicht ganz legitimen Reiz ab. Die Regiearbeit von Mario Frigero freilich bedürfte der Überprüfung. — In der Titelpartie hatte unsere Kammersängerin Hilde Güden vor kurzem in Berlin (Regie: Sellner, musikalische Leitung: Maazel) einen ganz großen Erfolg, der sich bei ihrem Wiener Violetta-Comeback wiederholte. Intonation, Phrasierung, Ausdruck und Darstellung — das ist alles von gleicher Vollkommenheit. Ihre Kameliendame ist (auch äußerlich schon durch ihre Garderoben als solche gekennzeichnet) eben eine Dame — und keine Midinette. Giuseppe di Stefano als Alfred überzeugt mehr durch seinen Gesang als durch die Erscheinung, während man dem vorzüglichen Aldo Protti, der eine würdige Vaterfigur auf die Bühne stellte, etwas mehr Differenzierung gewünscht hätte. Lebhafter und langanhaltender Szenen- und Aktschlußbeifall.

Händeis dreiaktiges Oratorium „Judas Maccabäus, im Jahr 1746 Innerhalb eines Monats geschrieben, ist eigentlich eine „Gelegenheitsarbeit — zur Ehrung des Herzogs von Cumberland nach dessen Sieg über die aufständischen Schotten. Aber es wurde eines seiner großartigsten und erfolgreichsten Werke. Die Gliederung ist die übliche: in Chöre, Rezitative, Arien und Duette _ wobei die ersteren eine so dominierende Rolle spielen, daß man von einem Chororatorium sprechen kann. Die Aufführung im Großen Konzerthaussaal unter Hans Güles-berger kann .als hervorragend bezeichnet werden. Der Löwenanteil n dem Erfolg gebührt der Singakademie, während der Jubel der Sängerknaben in dem berühmten Chor „Seht, Er komimt mit Preis gekrönt enttäuschend moderiert klang. Im Orchester, das vom Dirigenten nicht mit ganz der gleichen Akribie betreut wurde wie Chor und Solisten, gab es einige ungenaue und zaghafte Einsätze. Die Solisten kamen aus allen Richtungen der Windrose: Elisabeth Ebert (Sopran), Ljuba Barizova (Alt und Mezzosopran), die nicht nur die Partie des Israeliten, sondern auch den Boten sang, Robert Ilosfalvy — ein nicht gerade zum Oratoriensänger prädestinierter trompetenartiger Tenor, und William Pearson, ein in jeder Hinsicht dunkler, wohltönender Baß, bildeten ein zwar keineswegs „homogenes, aber sehr reizvolles, dramatisch kontrastierendes Ensemble. — Lebhafter, langanhaltender Beifall, trotz etwas ermüdender Länge des Werkes. Doch sind die musikalischen Schönheiten, vor allem die prächtigen Jubel- und Trauerchöre, aber auch die Arien, von solcher Vollkommenheit, daß man sich trotzdem keine allzu ausgedehnten „Striche wünscht...

Unter dem nunmehr bald 75jäh-rigen Charles Münch, dem gebürtigen Straßburger, der von 1935 bis 1946 zwei von den vier führenden Pariser Orchestern leitete und nach 1949 das Boston Symphony Orche-stra dirigierte, konzertierte im Großen Musikvereinssaal das in Wien wohlbekannte und geschätzte Londoner Philharmonische Orchester, Jetzt mit dem Namen „New Phil-harmonia Orchestra of London. Handels „Wassermusik in der Bearbeitung von Sir Hamilton Harty bildete den festlichen Auftakt. Hierauf folgte die zweite Suite aus Ramels Ballett „Daphnis und Chloe von 1912, eines der brillantesten Orchesterstücke der ersten Jahrhunderthälfte. Brillant und temperamentvoll war auch der Vortrag unter der jugendlich-ungestümen, die Farben trotzdem aufs feinste differenzierenden Leitung von Charles Münch. — Die Probe aufs Exempel kam nach der Pause: Brahms' 1. Symphonie. Das in allen Instrumentalgruppen sehr gleichmäßig ausgebildete und virtuose Orchester, dessen Akkuratesse durch ein gutes Dutzend Damen noch vergrößert wurde, spielte das so typisch „deutsche Werk mit erstaunlicher Einfühlung, wenn auch anders als hierzulande: festlicher und effektvoller in den Ecksätzen als wir es gewohnt sind; weniger meditativ, fast ein wenig flott gerieten die beiden mittleren Teile, so daß die Gesamtdauer etwa drei Minuten unter dem langjährigen Durchschnitt lag. Dirigenten wie Charles Münch gehören heute zur Eliteklasse der großen alten Männer, die immer weniger werden von Jahr zu Jahr. Jede Begegnung mit ihnen und ihrer Kunst wird zum Fest. Und ein solches war auch das Konzert im Musikverein.

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