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Von Palestrina bis Honegger

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Der Römische Kirchenchor, aus Mitgliedern der berühmtesten Kirchenchöre Roms zusammengesetzt, pflegt unter Leitung von Maestro Msgr. Domenico Bartoluccidie altklassische Poly-phonie, vor allem Palestrina und seine Zeitgenossen. Er sang 16 Motetten von Palestrina und verstand die Aufmerksamkeit der Hörer bis zum Schluß zu steigern. Die Art ihres Singens ist eine klanglich aufgelockerte, etwas freiere als uns sonst gewohnte, doch spannt sich zwischen den herben Knaben- und weichen Männerstimmen ein kontrastlich einnehmender Reiz, der besonders durch die absolut liturgische Haltung (und Kleidung) der Sänger als Ausdrucksmittel unterstrichen wird. Hier ist ausgesprochene Kirchenmusik, auch im Konzertsaal.

Noch absoluter präsentierte sich die Kirchenmusik in dem Abend „Gregorianischer Choral“, ausgeführt von der Schola der Wiener Franziskanerkirche unter Leitung von Mon-signore Dr. Franz K o s c h. Es waren durchweg Gesänge aus Messe und Offizium, aber es war auch, von Elfriede Ramhapp und Helmut Lex abwechselnd vorgetragen, eine kleine Choralschule, ein Kursus, der zum Verständnis der Gesänge überaus vorteilhaft placiert war. In den Gesängen selbst, die abwechselnd von Frauen- und Männerstimmen, im letzten Teil von beiden vereint, vorgetragen wurden, tat sich inmitten der vielstimmigen Musikwochen ein Erlebnis wahrhaft einstimmiger Musik auf, das stark beeindruckte. Ebenso das zweite: ein ganzes Choralamt mit Proprium und Ordinarium auf ein Konzertprogramm zu setzen. Die mutige Tat wurde durch gesteigerte Wirkung belohnt. Es war wohl eines der seltensten Konzertprogramme, aber eines derer, die sehr nachdenklich stimmen und länger nachhalten als viele andere.

Die jubilierenden Chöre des Singvereins und der Singakademie, die Wiener Sängerknaben, das Orchester der Symphoniker und eine Reihe hervorragender Solisten vereinigten sich unter der Leitung von Hans Swarowsky zu einer straffen, formschönen und ausdrucksstarken Wiedergabe der Achten Symphonie von Gustav M a h 1 e r, einer gewaltigen Entente von Klang und Rhythmus — und Widerspruch. Wir verneigen uns ehrfurchtsvoll vor der ringenden Kraft des Genius, vermögen jedoch weder im „Creator Spiritus“ noch in der Schlußszene des „Faust“ adäquaten musikalischen letztgültigen Ausdruck zu sehen, wodurch das Riesenwerk zur symphonischen Tragödie wird. Die vorbildliche Aufführung unterstrich diesen Eindruck.

Ganz anders ist Franz Schmidt, mit weniger gehäuften Mitteln, die geistig-musikalische Synthese in seinem Oratorium „Das Buch mit den lieben Siegeln“ gelungen. Singverein und Symphoniker unter Leitung von Anton Lippe boten eine künstlerisch ausgewogene und geistig sehr profilierte Leistung, unter den Solisten voran der unvergleichliche Julius Patzak als Johannes; unter den übrigen machte sich die Verschiedenheit ihres Gesangstils beeinträchtigend geltend. Besonders die Sopranistin war ihrer Sache nicht sehr sicher. Diese Mängel verloren sich indessen im zweiten Teil vollends; und der Gesamteindruck war durch die suggestive Kraft des Dirigenten ein großer und bleibender.

Der größte und bleibende aber erwuchs uns aus der von Otto Klemperer geleiteten Wiedergabe des dritten großen Chorwerks: „Ein deutsches Requiem“ von Johannes Brahms. Dieses von den musikalischen Ansprüchen her gesehen einfachste der drei Werke lebt und bleibt unwandelbar jung in der vollkommenen Einheit von Form und Ausdruck, von Wollen und Können, Kraft und tröstender Milde. Wilma Lipp und Eberhard Wächter fanden die tiefsten Wirkungen ihrer schönen Stimmen in deren gefühlsreicher Untertönung und der stilistischen Un-bedingtheit ihres Singens. Der Chor des S i n g v e r-e i n s und die Philharmoniker (Josef Nebois an der Orgel) folgten den Intentionen des berühmten Dirigenten in ebenso unbedingter Präzision und Größe.

Das Prager Ensemble (Philharmonischer Chor und Philharmoniker) unter Karel Ancerl brachte in seinem zweiten Konzert das „Stabat m a t e r“ op. 58 von Dvorak. Bei der Interpretation dieses lyrisch-romantischen Werkes fühlten sich alle Ausführenden offensichtlich wohler und auch sicherer, als bei Bach oder der wilden „Glagolitischen Messe“ Janäceks. — Diese Musik Dvofäks ist sehr typisch für die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts und zeigt kaum nationale Züge, dagegen Anklänge und Stilverwandtschaft mit gleichzeitig entstandenen französischen und italienischen Werken. Die Solisten (Tikalova, Krilova, Zodek und Mraz) waren die gleichen wie im ersten Konzert.

Zwei von den großen musikdramatischen Fresken, die den Ruhm Arthur Honeggers begründeten, hatten die vereinigten Rundfunkchöre von Hamburg und Köln auf ihr Programm gesetzt. Sowohl „König David“, Honeggers riesenhafter Erstling, 1921 innerhalb von drei Monaten geschrieben, und „Der Totentanz“, vor genau 20 Jahren gemeinsam mit Claudel geschaffen, wurden in Wien bereits aufgeführt und bedürfen keiner Präsentation mehr. Aber bei jeder Aufführung imponiert die Kraft und die Geschicklichkeit, mit der Honegger, wie vielleicht kein anderer Komponist unserer Zeit, die gewaltigen orchestralen und Chorälen Massen zu bewegen und zu gliedern versteht. , — Die beiden Rundfunkchöre und das Kölner 'Run dfunk-Symphonieorchester erwiesen sich unter der Leitung von Wolfgang S a w a 11 i s c h als ungewöhnlich disziplinierte, leistungsfähige und klanggewaltige Ensembles. Auch die Solisten, allen voran Siw Ericsdotter, Sopran, Martha Lipton, Alt, und der hochintelligente und suggestive Sprecher Ernst G i n s b e r g ließen keinen Wunsch offen. Der Beifall, den sie und der Dirigent dieser gründlich vorbereiteten Aufführung erhielten, war der bisher stärkste während des Internationalen Chorfestivals.

Im Großen Konzerthaussaal spielte unter seinem ständigen Dirigenten Eugen Ormandy das Philadelphia Orchestra. Angehörige aus etwa zehn Nationen bilden dieses einzigartige, hochvirtuose und kultivierte Ensemble. Bei Brahms (Tragische Ouvertüre) und T s c h a i-kowskij (5. Symphonie) war an Ausdruck alles vorhanden, was man sich nur wünschen kann und keine Spur jener „Kälte“ und mechanischer Präzision, die man den amerikanischen Orchestern nachsagt. Roussels 2. Suite aus dem Ballett „Bacchus et Ariane“ wurde unter ihren Händen zu einem wahren Klangzauberwerk; der 3. Symphonie von Roy Harris, einem recht unbedeutenden 15-Minuten-Werk, konnten freilich keine Interpretationskünste helfen. Mit der ersten Zugabe, dem Kaiserwalzer, begaben sich die amerikanischen Gäste auf ein sehr glattes (WfetietrPifi*H. 'Und sie-efferF'-aüf ihm, ohne zu straucheln. — Mit der zweiten Zugabe, einem Arioso von Bach, legten sie ihren letzten Trumpf aufs Podium: einen unwahrscheinlich noblen und expressiven Streicherklang. H. A. F.

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