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Von Tschaikowsky und Orlikowsky

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Von den großen und glanzvollen Balletten, die um die Jahrhundertwende im St. Petersburger Marientheater gezeigt wurden, ist „Dornröschen“ das größte und glanzvollste. Tschaikowsky hat die Musik 1888 in glücklich-zufriedenei Stimmung und in engster Zusammenarbeit mit dem Choreographen und Ballettmeister Marius P e t i p a geschrieben, der sich, nach dem bekannten Märchen in der Perraultschen Fassung, von Iwan WscheWo-losky ein abendfüllendes Libretto hatte anfertigen lassen. Die drei Akte mit einem Vorspiel sind mit einer Fülle reizvoller Details ausgestattet, heben das Naiv-Märchenhafte auf die zauberisch-überwirkliche Ebene der Kunst und bieten unzählige Gelegenheiten für virtuose und prunkvolle tänzerische Erfindung. Mehrere von Petipas Nummern zählen zum eisernen Bestand des klassischen Balletts: Tschaikowskys Musik (mag man auch die Partitur zu „Nußknacker“ und zu „Schwanensee“ höher schätzen) ist überreich an melodischen Einfällen, und auch die Ausstattung der Premierenaufführung scheint so eindrucksvoll gewesen zu sein, daß man nach dem rauschenden Erfolg von 1890 immer wieder Rekonstruktionsversuche jener prunkvollen Premiereninszenierung unternahm, die viele Jahre lang im russischen Repertoire geblieben war.

1921 beauftragte Diaghilew Bronislawa Nijinska (als Choreographin), den Maler Leon Bakst und Igor Strawinsky (der einige Nummern neu instrumentierte) mit einer solchen Rekonstruktion, die im Alhambra-Theater in London gezeigt v/ufde. Vermerken wir noch eine Neuinszenierung durch Tatjana Gsovsky an der Städtischen Oper Berlin, 19T5, und eine stark bearbeitete Kurzfassung-durch Hans Werner Henze. — Es war, schon aus kulturhistorischem Interesse, wichtig und richtig, dieses Prunkballett einmal an der W i e-ner Staatsoper einzustudieren und vorzuführen, und man konnte hierfür kaum einen besseren Mann gewinnen, als den schon seit mehreren Jahren in Basel erfolgreich tätigen russischen Choreographen und Ballettmeister Wazlaw Orlikowsky, der, obwohl einer jüngeren Generation angehörend, noch ganz in der strengen klassischen Tradition steht und sich gerade mit Tschaikowsky-Balletten einen Namen gemacht hat. Orlikowsky gibt das „Dornröschen“-Ballett ungekürzt, weicht aber in der Choreographie vieler Nummern von seinem großen Vorbild ab, in den ersten beiden Akten durchaus nicht immer zu seinem eigenen Vorteil. Daß er die „Handlung“ auf das Allernotwendigste reduziert und den reinen Tanznummern mehr Platz einräumt, ist gutzuheißen.

Das dreiaktige Ballett „Dornröschen“ erfordert ein großes Corps de Ballet und eine ungewöhnliche Zahl von Solisten (auf dem Programm des Premierenabends an der Wiener Staatsoper sind 46 namentlich vermerkt). Es erfordert auch mindestens ein halbes Dutzend Tänzer der Spitzenklasse. Diese wurden angeführt durch die beiden russischen Gäste Irina Kolpakowa und Wladen Semjonow, beide etwa 30jährig und beide Mitglieder des Kirow-Ballett-Theaters. Irina Kolpakowa ist eine grazile Erscheinung, bei deren Auftreten man sofort den Eindruck von „federleicht“ hat. In der Rolle der Prinzessin Aurora entfaltet sie alle märchenhafte Anmut, die diese Partie kennzeichnet. Sämtliche technische Schwierigkeiten meistert sie mit einer Virtuosität, die ebenso beeindruckt wie die Bescheidenheit, mit der dies geschieht. Wir haben noch selten eine Primaballerina gesehen, die sich so wenig in den Vordergrund spielt. Das gleiche gilt für Wladen Semjonow als Prinz Desire: ein kraftvoller und anmutiger Tänzer, der leider durch eine provokant häßliche violette Perücke verunstaltet war. ,

Im übrigen waren die vielen Kostüme von Ronny Reiter schön und phantasievoll. Günther Schneider-Siems-s e n erfand für das Vorspiel eine weiträumige, bräunlich-goldene, wie Rauchtopas schimmernde, sich bis tief in den Hintergrund ausdehnende Halle. Die Farben des ersten Aktes — Türkis und Smaragd — wirkten kühl, wie submarin. Auch die durch Projektionen dargestellte Zauberhecke geriet recht nüchtern.

Beim zweiten Akt scheint ihm, was auch zeitlich richtig ist, Watteau vorgeschwebt zu haben. Am besten gelang der letzte Akt mit seinem noblen, glitzernden

Schwarz-Weiß, sehr dekorativ der Thron im Hintergrund und die seitlich aufgestellten Rokokofiguren sowie die 16 Lüster und der große Kandelaber in der Mitte. Von den hauseigenen Kräften seien besonders Christi Zimmerl, Margaret Bauer, Erika Zlocha, Irmtraut Haider, Susanne Kirnbauer und Ully Wührer hervorgehoben, von den Herren Peter Busse, Richard Novotny, Fred Meister und Paul Vondrak. Durch besonders schöne Einzel- und Ensembleleistungen erfreuten die vier Freundinnen Auroras und die vier Prinzen. Das Corps de Ballet schien wie verwandelt. Hier hat Marianne P a r n i t z k i innerhalb von zwei Monaten, die als Probezeit zur Verfügung standen, vorzügliche Arbeit geleistet. Der musikalische Teil war wesentlich weniger gut studiert, was sicher nicht dem Dirigenten Reinhard Schwarz anzulasten ist, der sein Bestes tat. Lang anhaltender und lebhafter Beifall für alle Beteiligten.

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