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Vorschau auf die neue Konzertspielzeit

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Die drei konzertveranstaltenden Gesellschaften: Musikfreunde. Konzerthausgesellschaft und Wiener Philharmoniker haben ihre Programme für die Saison 1951/52 bekanntgegeben, und es ist aus den Prospekten zu sehen, daß nicht nur zusammengestellt, sondern auch geplant wurde, und daß man da und dort auch Gewissenserforschungen angestellt hat.

Erfreulicherweise hat man sich nicht damit begnügt, Standardkonzerte mit Standardwerken aneinanderzureihen, sondern gliedert das Gesamtprogramm in große Zyklen, deren organischer Aufbau, was die Kammermusik betrifft, ausgezeichnet verwirklicht i6t, wahrend die Reihen der Orchesterkonzerte noch manche Unvollkommenheiten zeigen. Das gilt für die beiden großen Gesellschaften.

Zur Programmgestaltung der einzelnen Konzerte: Man kann Orchesterwerke — um nur eine der allerwichtigsten Regeln als Beispiel zu nennen — entweder unter dem Gesichtspunkt des Kontrastes oder der Harmonie, also einer gewissen Einheitlichkeit der Sphäre, zusammenstellen. Allenfalls wird man vermeiden, Komponisten aneinanderzureihen, die sich gegenseitig „im Licht stehen“, also etwa Brahms und Bruckner, Schumann und Tschaikowsky, Ravel und Sibe-lius. Werke dieser Autoren wird man nur ganz ausnahmsweise im gleichen Konzert aufführen. Dagegen ist die Zusammenstellung klassischer, insbesondere vorklassischer Musik mit zeitgenössischen Werken durchaus möglich und zu empfehlen.

Hiezu einige Beispiele: Das zweite von der Gesellschaft der Musikfreunde angekündigte Karajan-Konzert vereinigt in 6einem ersten Teil ein Händelsdies Ordiesterwerk mit der Psaimensymphonie von Strawineky (einem der besten zeitgenössischen Werke überhaupt); dann folgt, durch die Pau6e getrennt, als Kontrast, Tschaikowskys 5. Symphonie: ein vorzügliches Programm. Dagegen ist es kaum zu rechtfertigen, daß man nach Bruckners IX. Symphonie anstatt des Brucknerschen Te Deum das Verdi6Che singen läßt.

Ein Programm der Konzerthausgesellschaft, das Hindemith („Harmonie der Welt“, Erstaufführung unter der Leitung des Komponisten) und Bruckner kontrastiert — und gleichzeitig durch eine Pause trennt —, ist nicht nur stilistisch zu rechtfertigen, sondern stellt zugleich eine besondere Pikanterie dar. Dagegen scheinen uns de Falla, Tschaikowsky und Brahms weder unter einen Hut zu passen noch auch die notwendigen Kontraste zu bieten. (4. Konzert des I. Zyklus der Konzerthausgesellschaft.)

Soviel zur Programmgestaltung der einzelnen Orchesterkonzerte. Die andere positive Einsicht, zu der man gekommen zu 6ein scheint, bezieht sich auf die Berücksichtigung und Placierung der neueren Musik. Betrachten wir unter diesem Gesichtspunkt zunächst die Programme der Gesellschaft der Musikfreunde:

Cesar Franck, Debussy und Ravel, Mahler und Respighi sind zwar nicht mehr ganz neu, aber nicht darauf kommt es an: mit ihren Werken wird eine sehr willkommene Bereicherung und Erweiterung des klassisch-romantischen Konzertschema6 erreicht. In dem gleichen, acht Doppelkonzerte umfassenden Zyklus „Die große Symphonie“ werden auch das „Philharmonische Konzert“ von Paul Hindemith und die „Haydn-Variationen“ von H E. Apostel aufgeführt. Herbert von Karajan bringt in seinem Zyklus außer der bereits erwähnten „Psalmensymphonie“ von Straw n6ky das 3. Klavierkonzert von Bela Bartok und ein „Concerto grosso“ von Theodor Berger, zu dem — laut einer Zeitungsmeldung — der Komponist durch den Dirigenten inspiriert wurde. Tempora mutantur! —

Die Konzerte der Reibe „Die große Symphonie“ werden von folgenden Dirigenten geleitet: Eugen Jochum (mit dem Münchener Rundfunkorchester), Vittorio Gui (Singverein und Symphoniker), Paul Klecki, Volkmar Andreae, Joseph Keilberth (Wiener Symphoniker und Bamberger Symphoniker). — Außer den beiden bereits genannten Konzerten leitet Karajan noch zwei Orchesterkonzerte 6owie eine Aufführung des „Deutschen Requiems“ von Brahms und ein Riohard-Wagner-Konzert.

Jedes der 6ech6 Kammerkonzerte des neugebildeten Musikvereinsquartetts ist einem Komponisten gewidmet (Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert, Schumann und Brahms), von dem je zwei Werke ein neueres Kammermusikwerk flankieren (Franz Schmidt, Debussy, Hindemith, Bartok, Dvorak und RespighiL Von den acht Liederabenden wissen wir vorläufig nur die Namen der Sängerinnen und Sänger: Irmgard Seefried, Dragica Martinis, Martha Modi, Sigurd Björ-üng, Anton Dermota, Julius Patzak, Peter Anders und George London.

Die 6echs Zyklen der Konzerthausgesellschaft tragen, mit Ausnahme der Orchester- (Gesell6chafts-) Konzerte und der Reihe der vier Kammerkonzerte unter Franz Litsrhauer, fa6t didaktischen Charakter. Ausführende de6 ersten Zyklus 6ind die Wiener Symphoniker unter den Dirigenten Paul Hindemith, Hermann Scherchen, Igor Markewitsch sowie der Italiener Molinari-Pradelli, Ataulfo Argenta und Mario Rossi — deren Ubergewicht auffallend Ist. Bei diesen sechs Konzerten gibt es folgende neue Werke zu hören: .Variationen für Orchester“ von Schönberg, „Hymnus“ von Einem, „Dunkle Nacht“ von Petrassi, die bereits erwähnte Suite aus einet Kepler-Oper „Die Harmonie der Welt“ von Hindemith und Rous6els 2. Suite aus „Bacchus und Ariane“.

Eine Neueinführung — mit dem gleichen Titel wie die seit einigen Jahren 6ehr erfolgreiche Münchener Konzertreihe — ist die „M u s i c a Viva“: sieben Abende mit Meisterwerken der neuen Musik. Folgende Komponisten sind mit größeren oder mit mehreren Werken vertreten und können in der Tat alß repräsentativ angesehen werden: Schönberg und Bartok, Strawinsky und Hinde-mit, Hauer und Berg* von den jüngeren: Blacher, Apostel, Orff, Martin und Einem. Eines dieser Konzerte wird Ernst Krenek leiten; vielleicht versucht man, noch den einen oder anderen Komponisten zu persönlicher Mitwirkung oder für einen Vortrag zu gewinnen?

Im J.-S.-Bach-Zyklus (acht Konzerte) werden folgende Werke aufgeführt: die Matthäuspa6sion unter Wilhelm Furtwängler und die Johannespassion unter Paul Sacher; sieben Motetten für Doppelchor unter Reinhold Schmid, „Die Kunst der Fuge“ an zwei Klavieren (Seidlhofer und Gulda), sämtliche Solosuiten für Violoncello (Pierre Fournier), die Solosonaten für Violine (Wolfgang Schneiderhan) sowie vier Partiten (Paul Badura-Skoda).

Der Robert-Schumann-Zyklus Wird mit einem Orchesterkonzert unter Hans Swarowsky eröffnet, dann folgen sechs Kammermusikabende, deren Programme ausschließlich Werke von Schumann enthalten. Trotzdem hier erstklassige Künstler eingesetzt werden, besteht die Gefahr einer gewissen Monotonie. Wir können nur wünschen, daß unser Bedenken durch die Praxis widerlegt werden möge. —

Auf dem Programm von jedem der sechs Konzerte des Brahms-Zyklus stehen zwei Kammermusikwerke von Brahm6 und als drittes das eines verwandten Meisters, mit Ausnahme des letzten Konzerts, in dem Mozarts Klarinettenquintett gespielt wird. Also sechs weitere „romanti6che“>Abende mit Schubert, Mendelssohn, Bruckner, Pfitzner und Franz Schmidt.

Die vier Konzerte des Kammerorchesters unter Franz Litschauer zeigen gegenüber den vergangenen Jahren eine Änderung ihres Gesichts: es sind normale Programme unter gefälligen Titeln geworden, wie „italienisches“, „klassisches“, „romantisches“ Konzert •*■ mit einer bemerkenswerten Schlußveran-ataltung, bei der das beim letzten Musikfest so unglücklich placierte Kammerkonzert von Alban Berg rehabilitiert werden soll.

Die „Gewissenserforschung“, von der eingangs die Rede war, hat als erfreuliches Resultat bei der Gesellschaft dar Musikfreunde die Aufnahme mehrerer repräsentativer Werke der neuen Musik in den Spielplan ergeben, während die Konzerthausgesellschaft ihrem Eintreten für die Moderne ein zugkräftiges Gegengewicht durch einige Zyklen geschaffen hat, die mit dem Interesse eines breiteren Kreisesunse-rer Konzertbe6ucher rechnen können.

Wie in den vergangenen Jahren spielen die Wiener Philharmoniker auch heuer unter großen Gastdirigenten. Je zwei Konzerte werden Wilhelm Furtwängler, Clemens Krauß und Hans Knappertsbusch leiten; je eines Karl Böhm und Joseph Keiiberth. Für den vor zwei Wochen verstorbenen Fritz Busch werden Philharmoniker und Staatsoper einen Würdigen Ersatzmann suchen müssen. Er wird nicht leicht zu finden sein... Den Kern der acht Abonnementskonzerte bilden Werke von Johannes Brahms, darunter auch seltener aufgeführte, wie die beiden Ouvertüren und die beiden Serenaden in A und D.

Ferner sind die Impressionisten stark vertreten (Debussys „Six epigrahes antique6“, Ravels „Alborado del Grazioso“, de Fallas Suite aus „La vida breve“ und Respighis „Pini di Roma“). An neuen Werken sind vorgesehen: die „Stadtpfeifermusik“ von Richard Mohaupt und eine Tanzsuite von dem Philharmoniker

Hans Hadamowsky. — Zwei außerordentliche Konzerte stehen unter der Leitung von Bruno Walter, voraussichtlich mit Werken von Gustav Mahler und von Wilhelm Furtwängler, der — ate Wiener Erstaufführung — 6eine II. Symphonie dirigieren wird.

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