Wie neu ist die Neue Musik?

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Am 22. Oktober öffnet Wien modern, das Festival für Musik der Gegenwart, zum 25. Mal seine Pforten. Anlass für Anmerkungen zum Stellenwert der zeitgenössischen Musik.

Vier Wochen lang werden im Rahmen von Wien modern an 16 Spielorten 37 Projekte mit ca. 480 Künstlern angeboten. Neben einigen Progammschwerpunkten sticht eine numerisch stark besetzte Diskussionsveranstaltung heraus: "Neue Musik - heute? Symposium zur aktuellen Situation der Neuen Musik“ (23. Oktober, Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, 10 Uhr). Neben Markus Hinterhäuser (Pianist und Festivalleiter), Lothar Knessl (Journalist), Mathias Spahlinger (Komponist) sind insgesamt 18 Fachleute an der Diskussion beteiligt. Die sanfte Tautologie im Titel "aktuelle Situation der Neuen Musik“ gibt schon einen Hinweis auf die Problematik des Themas an sich. Was heißt das, wenn das Neue nicht mehr aktuell ist? Im Programmtext zu dieser Veranstaltung ist zu lesen: "Das Neue im Neuen: Der auch heute noch spürbare elitäre Anspruch der Neuen Musik steht immer mehr im Widerspruch zu aktuellen Tendenzen künstlerischen Agierens. So gilt es, die zeitgenössische Kunstmusik im Kontext des heutigen Wertewandels und der technischen, medialen sowie gesellschaftlichen Veränderungen zu begreifen, zu hinterfragen und gegebenenfalls neu zu bewerten.“ Das klingt nicht nach Aussichten in eine interessante Zukunft, sonder eher nach Standortbestimmung und Anpassung an das Faktische. Die Neue Musik ist in die Jahre gekommen.

Ein bisschen was von allem

Diese Tendenz ist auch in den Programmschwerpunkten des Festivals zu spüren. Einerseits John Cage, der vor Kurzem 100 Jahre alt geworden wäre und immer noch ein dem breiterem Publikum weitgehend unbekannter Klassiker ist. Andererseits die Projektreihe "Ausgewählt von Lothar Knessl“, Mitbegründer des Festivals und auch mit 85 Jahren noch Doyen des Musikjournalismus in der Sparte Zeitgenössisches. Im Programmtext steht dazu der schüchterne Hinweis: "Dass Lothar Knessl 2012 seinen 85. Geburtstag feierte, ist ein höchst willkommener Kreuzpunkt, gibt es doch dem Festival und seinen Verantwortlichen die Möglichkeit, Dank auszusprechen. Aber was wird Lothar Knessl liefern? Einen Überblick? Die Großen des Anfangs? Pluralismus? Lieblingswerke?“ Ein Blick ins Programmheft bestätigt der ersten Verdacht: ein bisschen was von allem und ein paar neue Namen dazu. Aus dieser Altersschiene heraus fällt nur der gewichtigste Programmschwerpunkt: Olga Neuwirth. In insgesamt neun Veranstaltungen werden 19 Werke der erst 44-jährigen, auch international sehr erfolgreichen, österreichischen Ausnahmekomponistin aufgeführt. Interessanterweise ist keine Uraufführung dabei, was von einer gehörigen Portion Selbstbewusstsein zeugt.

Eine gehörige Portion Selbstbewusstsein ist auch einer der Leitfäden in der Geschichte der Neuen Musik. Wollte man ein Datum für den Beginn des Projekts Neue Musik ansetzen, so würde sich das Jahr 1913 vordergründig anbieten. "Im Anfange war der Skandal“, so könnte eine Genesis der neuen Musik beginnen. Am 29. Mai 1913 wurde im Théâtre des Champs-Élysées Igor Strawinskis "Le sacre du printemps“ uraufgeführt. Am 31. März 1913 fand im Wiener Musikverein eine als "Watschenkonzert“ berühmt gewordene Konzertveranstaltung statt, in der neben Anton Weberns Sechs Stücke für Orchester op. 6 und den Orchesterliedern nach Peter Altenburg op. 4 von Alban Berg auch Arnold Schönbergs Kammersinfonie op. 9 vorgestellt wurde. Beide Veranstaltungen riefen im Publikum heftigste Proteste hervor und endeten mit Polizeieinsätzen. Der Ablehnung durch das Publikum folgte rasch eine Ablehnung seitens der Veranstalter. Aber weder Ablehnung noch Polizei konnte die Gründerväter davon abhalten, die Sehnsucht nach Fortschritt und Modernität zu intensivieren. Schönberg gründete 1918 den Verein für musikalische Privataufführungen, ähnliche Institutionen wurden in der Folge in ganz Europa errichtet. Man begann sich eine Nische im Kulturbetrieb einzurichten und auf die Zukunft zu hoffen. Schönberg war überzeugt, dass die Leute eines fernen Tages seine Zwölftonmelodien auf der Straße wie Gassenhauer pfeifen würden. Dergleichen ist bis heute weitgehend ausgeblieben, wenn man von Klingeltönen für exzentrische Handybesitzer absieht. Die Nische hat bis heute Bestand und wird wohl auch noch eine Zeit lang bestehen.

Zwischen Ablehnung und Ignoranz

Ein weiterer möglicher Geburtstag der Neuen Musik wäre das Jahr 1923, in dem Schönberg mit dem fünften Satz seiner Klavierstücke op. 23 das erste Zwölftonwerk veröffentlicht: einen Walzer(!). Trotz solch quasi populistischer Anleihen blieb die Neue Musik im Allgemeinen und die Zwölftonmusik im Speziellen ein Stiefkind des öffentlichen Kulturlebens. Dabei ist die Ablehnung leichter zu ertragen als die Verweigerung. Meisterwerke des 20. und 21. Jahrhunderts sind auch heute noch in den großen Konzertprogrammen die Ausnahme. Die Fronten sind verhärtet. Seitens der Schöpfer sieht man das Dilemma als Bringschuld, da die geistigen und künstlerischen Höchstleistungen nicht angemessen gewürdigt und entlohnt werden. Seitens der breiten Öffentlichkeit, und das schließt die meisten Medien ein, reagiert man bestenfalls mit Ablehnung, schlimmstenfalls mit Ignoranz.

Die Bestrebungen, den Graben zwischen dem "normalen“ Publikum und der musikalischen Moderne durch exemplarische Aufführungen zu schließen, führten zur Gründung von mehreren Festivals wie Donaueschinger Musiktage (1921) oder Darmstädter Ferienkurse (1946) und, last not least, dem Festival Wien modern, 1988 auf Initiative von Claudio Abbado ins Leben gerufen, um "dem Wiener Publikum zentrale Werke der Neuen Musik im großen Rahmen zugänglich zu machen“. Inzwischen ist Wien modern fixer Bestandteil des österreichischen Kulturlebens, der sich auch internationaler Aufmerksamkeit erfreut, und aus diesem nicht mehr wegzudenken. Die wesentlichen Konzerte konnten die Neue Musik zwar nicht aus der Nische holen, aber zumindest wurde die Nische dadurch etwas geräumiger, opulenter und öffentlicher. Denn schlechter als schlecht über die Neue Musik zu urteilen, ist gar nicht über sie zu urteilen. Seit 2010 ist Matthias Loˇsek für die künstlerischen Belange des Festivals zuständig. Schon seit Längerem hat man das Festival als Impulsgeber positioniert, das von Musik der Gegenwart ausgehend die Auseinandersetzung mit anderen Sparten und Kunstformen sucht. Die Neue Musik wird kommunikativer und lädt andere Artgenossen in ihre Nische ein. Das ist sicher ein guter Weg. Ob damit in Zukunft mehr Resonanz für das Neue lukriert werden kann oder nur das Überleben der Nische gesichert ist, bleibt abzuwarten. In der durch Wissenschaft und Technik geprägten Gesellschaft herrscht großes Interesse am Neuen, auch in der Musik. Aber an welchem Neuen? Um das zu eruieren, reicht ein Festival oder ein Symposium alleine nicht aus. Aber es ist ein Ansatz.

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