Wo bleibt die Schönheit?

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Als Igor Strawinsky 1913 sein Ballett "Le Sacre du Printemps" in Paris uraufführen ließ, endete die Vorstellung in einem der berühmtesten Theaterskandale der Neuzeit.

Nicht nur der Inhalt des Werks - die Opferung eines jungen Mädchens - sondern vor allem Strawinskys für damalige Zeiten gewagte Komposition entrüstete das Publikum. Ständig wechselnde Takte, aggressive, aufrüttelnde Harmonik und Instrumentierung, dieser absolute Bruch mit alten Normen und Gesetzen waren dem an romantische Schönheit und Brillanz gewöhnten Publikum zuviel an Innovation. Le Sacre du Printemps galt fortan lange als unaufführbar und wurde erst 1957 durch eine Inszenierung für die Berliner Festwochen wieder in ein besseres Licht gerückt.

Das Ballett sprengte damals sämtliche Rahmen musikalischer Tradition. Das Unbekannte - für die sensiblen Ohren des Publikums Unerhörte - stieß auf Widerstand und Ablehnung. Heute gilt Le Sacre du Printemps als ein klassisches Werk der modernen Musik, wird als Jahrhundertwerk bezeichnet und ist als Weiterentwicklung der russischen Kunstmusik, die durch Modest Mussorgskijs Oper "Boris Godunow" eingeleitet wurde, anerkannt.

Strawinsky nahm sich damals die Freiheit, über Grenzen zu gehen, Tabus zu brechen, Unerhörtes zu wagen. Und er erfüllte damit seine Aufgabe als Künstler, auf Zeiterscheinungen und Umwelt zu reagieren und seinen Gedanken und Neigungen durch die Sprache der Musik, Malerei, Dichtung etc. Ausdruck zu verleihen.

Denn Aufgabe der Kunst ist nicht nur, den Menschen zu unterhalten, sondern viel mehr auch, ihn zu belehren, ihm einen Spiegel vor Augen zu halten und ihm eine Botschaft nahezubringen. Auf der Suche nach einem geeigneten Stil, um die so wichtige persönliche Aussage zu vermitteln, brachen wiederholt Künstler verschiedenster Epochen grundlegende Gesetze und Tabus ihrer Zeit und riefen dabei teils weitreichende Veränderungen in ihrem Genre hervor.

Diese Entwicklungen sagen bereits einiges über die Verantwortung eines Künstlers aus. Er soll nicht nur belehren, er muss sich auch der Tragweite seiner Handlung und seines Schaffens bewusst sein. Jeder Künstler besitzt die Macht, auf die Weiterentwicklung seiner Kunstrichtung Einfluss auszuüben, und dieser Macht sollte man sich als Künstler bewusst sein.

Tabus selbst gab es in jeder Epoche und wird es auch immer geben. Es scheint nur so, als würden wir heute keine Grenzen mehr kennen. Eine Opferszene mitten in der Großstadt, Malereien, die scheinbar kein großes Talent voraussetzen, allzu sparsame Bekleidung (oder eben Nicht-Bekleidung) auf der Bühne, all das sagt uns, dass scheinbar alle Tabus bereits gebrochen wurden und nichts mehr zu bewegen ist. Die letzten verbotenen Türen sind aufgebrochen, sämtliche Grenzen überschritten... die Kunst am Ende ihres Weges angelangt? Aber ist es nicht heute geradezu zum Tabu geworden, keine Grenzen zu überschreiten, gefällige Kunst zu schreiben, das Schöne für die Kunst wiederzuentdecken?!

Die positive Aussage der Kunst scheint verlorengegangen zu sein. Man klagt an, man beschwert sich, man rüttelt auf, aber wo bleibt die Schönheit? Es ist doch auch Aufgabe der Kunst, den Menschen zu unterhalten!

Doch unsere Gesellschaft hat - zum Beispiel - Unterhaltungsmusik und ernste Musik streng geteilt. Ein Jugendlicher sieht in ernster Musik nur das Strenge, Unverständliche, Ernste eben, während die meisten Vertreter der E-Musik von Unterhaltungs- und Jugendmusik nichts wissen wollen und diese gerne als primitiv und sinnlos bezeichnen.

Es ist zum Tabu für die Einen geworden, sich von dem Einfachen, Schönen ab- und ernsteren Dingen zuzuwenden, und für die Anderen, Schönheit zu akzeptieren und in die Welt der ernsten Musik wieder aufzunehmen. Man bekommt manchmal den Eindruck, Kunst will gar nicht mehr gefallen. Kunst muss zwanghaft kompliziert und unverständlich sein, sich selbst als die einzige Wahrheit hinstellen und dem Menschen die eine Aussage vermitteln: Wenn es dir nicht gefällt, verstehst du es nicht. Was für einen Sinn hat jedoch eine Aussage, die nicht wenigstens für Interessierte verständlich ist?

Ich mache mir keine Sorgen um die Kunst an sich. Tabus und Grenzen wird es immer geben, weil eine Gesellschaft ohne Grenzen einfach undenkbar ist. Vielmehr finde ich es wichtig, dass sich jeder Künstler heute seiner Aufgabe wieder bewusst wird: aussagen, belehren, berichten ... aber doch auch unterhalten. Kunst darf schön sein. Und das sollten wir nie vergessen.

4. Platz: Cornelia Eder Geboren 1983 in Linz. Derzeit Matura am Akademischen Gymnasium in Linz. Mit 4 Jahren erster Klavierunterricht. 1989-96 Schülerin am Bruckner-Konservatorium Linz, seit 1996 Studium bei Prof. Heinz Medjimorec an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien. Mehrere Preise bei nationalen und internationalen Wettbewerben, sowohl solistisch als auch im Bereich der Klavierkammermusik. Zahlreiche Konzerte (Klavier Solo und Klavierkammermusik) im In- und Ausland, Fernseh- und Rundfunkaufnahmen beim ORF und im Ausland. Nebenbei Interesse für Neurobiologie (besonders im Rahmen der Musiktherapie)

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