Alban Bergs Wozzeck: Klassiker als verkrampfte Klischee-Revue
Wozzeck in der Staatsoper
Wozzeck in der Staatsoper
War Wozzecks Tod doch kein Selbstmord, sondern ein Unfall? Was macht seine Marie, die offensichtlich seine Zuneigung nicht teilt, so begehrenswert? Verbergen sich hinter den Figuren des Doktors und Hauptmanns tatsächlich nur so beiläufige Gestalten? Und kann man heute nicht anders, als ein Stück, das nichts an Aktualität verloren hat, in die Gegenwart zu transferieren, um seine Botschaft glaubhaft zu vermitteln?
Drei Jahrzehnte stand Oscar Fritz Schuhs legendäre Inszenierung von Bergs einziger vollendeter Oper auf dem Spielplan der Staatsoper, anderthalb die folgende von Harry Kupfer. Jetzt hat man Simon Stone für eine neue Regie von Bergs Opernklassiker „Wozzeck“ eingeladen. Er versucht sich an einer ganz anderen Lesart als seine beiden prominenten Regie-Vorgänger, verlegt das Geschehen vom Militärmilieu in das Wien der Gegenwart, deutet die Titelfigur zu einem in prekären Verhältnissen lebenden Arbeiter, wie man aus seinem Warten am Arbeitsamt schließen kann, um.
Aber auch Schauplätze – jeweils dargestellt in kleinen, auf einer Drehbühne platzierten Kammern (Bühne: Bob Cousins), die dokumentieren, dass diese Oper nicht nur aus drei Akten, sondern ebenso aus fünfzehn Szenen besteht – wie Würstelstand, Fitnessstudio oder eine U-Bahn-Station, Simmering, fehlen nicht in dieser Eigenwilligkeit mit Originalität verwechselnden Szenerie. Sie bedient mehr einen Klischee-Bilderbogen als die Intentionen dieses Stücks.
Weder die Frage nach Wozzecks Tod wird beantwortet, noch, worin Maries Anziehungskraft besteht. Anja Kampe weigert sich geradezu, irgendwelche Register ihrer Verführungskunst zu ziehen, zeigt auch gegenüber dem Kind (Dimiter Paunov) bestenfalls distanzierte Gefühle. Und Christian Gerhahers intellektueller Zugang zur Titelfigur, so prägnant er sie gesanglich präsentiert, ist nicht mit einem stetig nach Lebensunterhalt suchenden, einfachen Menschen vereinbar.
Ging es Stone nicht auch um ein Plädoyer gegen die auch hierzulande steigende Zahl von Femiziden? Das am Beispiel des vom ursprünglichen Tambourmajor zum Wiener Polizisten gewordenen Protagonisten, der Frauen offensichtlich als sexuelles Freiwild sieht, zu zeigen, zeugt nicht nur von wenig Geschmack, sondern wirkt bestenfalls peinlich. Ebenso, wie er Wozzecks Eifersuchtshalluzinationen durch billige Schlafzimmerfantasien suggeriert. Und wenn man schon will, dass Doktor (Dmitry Belosselskiy) und Hauptmann (prägnant: Jörg Schneider) nicht Gefahr laufen, ins Karikaturenhafte abzugleiten, muss man ihnen ein klares Profil geben. So wie sich diese Inszenierung einer wirklichen Auseinandersetzung mit den eigentlichen Fragen des Stoffs verweigert, setzt auch Philippe Jordan an der Spitze des Orchesters mehr auf Klar- und Exaktheit als auf eine sinnlich-spannende Auseinandersetzung mit der Partitur.
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