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ALBEE UND DAS ABSURDE

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New York, Zentrum des amerikanischen Theaters, hat zwei Arten von „Brettern, die die Welt bedeuten“: die Broadwaytheater im weiteren Sinn und die „Off“ Broadwaybühnen der Avantgarde, zumeist in Greenwich Village oder in seiner Nachbarschaft gelegen. Die „Entertainment“-Stücke, die der „Broadway“ präsentiert, sind entweder „Hits“, d. h. sie schlagen ein und erreichen teilweise — wie „My Fair Lady“ — phantastische Aufführungszahlen oder sie sind ein „flop“, d. h. sie werden bald abgesetzt, mit schweren finanziellen Verlusten für die Geldgeber. Der Geschmack des durchschnittlichen Theaterbesuchers, der Unterhaltung sucht, ist schwer vorauszusehen... Mit wenig Betriebskapital, in kleinen Räumen, oft auf kooperativer Grundlage arbeitend, haben daneben seit Jahren junge Enthusiasten eigene Theater im Künstlerviertel, abseits vom Amüsierbetrieb der Stadtmitte, ins Leben gerufen, in denen sowohl neue Formen der Komposition, der musikalischen Untermalung, der Ausstattung, des „Spiels“ überhaupt als Experiment versucht werden, vor allem aber neben vernachlässigten „Klassikern“ solche Autoren zu Wort kommen, die in der Behandlung von menschlichen und gesellschaftlichen Problemen sich nicht scheuen, Tabus zu attackieren und sich oft auch in sprachlicher Hinsicht eigener, im ersten Augenblick bestürzender Ausdrucksweisen bedienen.

Diese avantgardistischen Theater, die in steigendem Maße selbst die achtungsvolle, teilweise begeisterte Zustimmung der ernsthaften Theaterkritiker in den großen Zeitungen gefunden haben, sind aus dem Kulturleben New Yorks nicht mehr wegzudenken. Eine einzige Nummer der „Village Voice“, dem im siebenten Jahrgang erscheinenden Wochenblatt des „Village“, registriert 16 Bühnen mit Erstaufführungen, darunter „Don Carlos“, den „Kaufmann von Venedig“ und eine Serie von Tschechow-Kurzstücken... Ibsen, Pirandello, Strindberg, Schiller, Shakespeare, O'Neill usw. sind vorher mit Erfolg „modern“ interpretiert auf die Bühne gebracht worden. Ein Broadwaytheater würde nicht wagen, sie herauszubringen.

Ihr Hauptaugenmerk richtet die Experimentalbühne auf die „rebellischen“ Autoren der Zeit. Die „Dreigroschenoper“ ist, wenngleich im kleinen Rahmen, fünf Jahre über die Bühne gegangen! Andere Brecht-Aufführungen schlössen sich an. Die von Judith Malina inszenierte „Connection“ Jack Gelbers hat vom „Living Theatre“ aus einen Siegeszug durch europäische Großstädte angetreten. Jean Genet, Eugene Ionesco, Brendon Behan, Samuel Beckett u. a. wurden und werden hier — und nur- hier — vom amerikanischen „egghead“ erstmalig zugänglich gemacht. „Waiting for Godot“ kam von hier auf den Fernsehschirm. Die Beispiele für den Einfluß, der von den Theatern des „Village“ ausgeht, ließen sich x-faoh vermehren. Eine Art Bestandsaufnahme avantgardistischer Dramatiker nahm vor kurzem in New York ein Theater vor, das sich „Theatre of the Absurd“ nennt, das Theater des Absurden. Es brachte die folgenden Stücke heraus (von Richard Barr und Clinton Wilder in einem Vierwochenprogramm des Cherry Lane Theaters präsentiert): Der Zyklus begann mit Samuel Becketts „End Game“ und Kenneth Kochs „Bertha“. Der zweite Abend brachte Richardsons „Gallow Humor“ und Albees „The Sandbox“. Dem folgten Genets „Death Watch“ und Arabels „Picnic on the Battlefield“, Albee „The American Dream“ und „The Zoo Story“ und Ionescos „The Killer“.

Einer der interessantesten Dramatiker des „Absurden“ ist Edward Albee, in Europa außerhalb Berlins wenig bekannt, obwohl er fast eine „deutsche Entdeckung“ insofern genannt werden kann, als zwei seiner Stücke ihre Erstaufführung in Berlin erlebten. — Albee, heute 33 Jahre alt, hat vier Stücke geschrieben, zumeist Einakter. 1958 „The Zoo Story“, 1959 „The Death of Bessie Smith“ und „The Sandbox“; 1959/60 „The American Dream“. Am meisten Aufsehen hat der „Amerikanische Traum“ erregt — und leidenschaftlichste Ablehnung wie begeisterte Zustimmung hervorgerufen. In der Buchausgabe nimmt der Autor darauf Bezug:

„Das Stück ist eine Überprüfung der amerikanischen Wirklichkeit, ein Angriff auf das Unterschieben künstlicher an die Stelle echter Werte in unserer Gesellschaft, eine Verdammung ihrer Selbstzufriedenheit, Grausamkeit, Verstümmelung und Leere; es ist ein Einspruch gegen die Fiktion, daß alles in diesem unserem Lande in Ordnung ist. — Ist das Stück anstößig? Ich hoffe es, es war meine Absicht, anzustoßen — ebenso wie zu amüsieren und zu unterhalten. Ist es nihilistisch, unmoralisch, defaitistisch? Nun, dazu lassen Sie mich sagen, daß der amerikanische Traum' ein Bild unserer Zeit ist, wie ich sie sehe!“

Das im Januar 1961 in New York herausgebrachte Stück wurde bei den Berliner Festwochen 1961 auf Deutsch gespielt, nachdem der Berliner Theaterzar Boleslaw Barlog, fasziniert von dem jungen Autor, diesen bereits im September 1959 in der Werkstatt des Schillertheaters mit der „Zoogeschichte“ vorgestellt hatte, der einige Monate später im Steglitzer Schloßpark-Theater der Einakter „Der Tod von Bessie Smith“ gefolgt war. — Die „Zoo Story“, ein Einakter mit zwei Personen, „handelt“ von dem vergeblichen Versuch eines „eigenartigen“ Außenseiters, einem Bourgeois auf einer Parktoank nahezukommen, nachdem ihm der Versuch, sich einem Hund verständlich zu machen, mißglückte: das Resultat, er provoziert den Unbekannten zu einem unbeabsichtigten Mord. Der „Death of Bessie Smith“ erzählt die bittere Story der Negersängerin, die nach einem Autounfall 1937 im Süden starb, weil Krankenhäuser, für Weiße „restricted“, sich weigerten, sie aufzunehmen. Die „Sandbox“ — vom Autor seiner Großmutter zugeeignet! —• nimmt Figuren des „Amerikanischen Traums“ in etwas anderer Umgebung vorweg.

Die Handlung des „American Dream“ — soweit man hier und bei den anderen Stücken von einer solchen sprechen kann — besteht darin, daß eine Familie (Daddy, Mommy and Grandma), der ein Adoptivsohn gestorben ist, auf einen Ersatz wartet. Unter ständigem Abrollen von „small talk“ gibt die Szene ein deprimierendes Bild der Substanzlosig-keit amerikanischer Familienideale, des seichten Optimismus und der Verehrung körperlicher Robustheit, bis ein Anwärter auf die Adoption erscheint. Der junge Mann, der nur aus Muskeln und „Hübschheit“ besteht, sonst leer an Gefühl und Gedanken ist, aber für Geld bereit ist, alles zu tun, auch sich adoptieren zu lassen, wird von Mommy mit den Worten begrüßt: „You are the American Dream.“ — Martin Esslin hat in seinem Buch „The Theatre of the Absurd“ dazu festgestellt: „Die Sprache des .Amerikanischen Traums' ähnelt der von Ionesco in ihrer meisterhaften Zusammenfassung von Klischees. Aber diese Klischees in ihrer alles verniedlichenden Babysprache sind ebenso typisch amerikanisch, wie die von Ionesco französisch sind.“ Die

Hohlheit der Wertmaßstäbe, die hinter ständigen Wiederholungen von Scheinidealen hervorlugt, wo Begriffe wie Fortschritt, Optimismus, „togetherness“ leere Schalen werden, hat Albee seismographisch aufzufangen verstanden.

Albee, der, nebenbei bemerkt, im Vorjahr von der New Yorker „Foreign Press Association“, der repräsentativen Vertretung aller hier stationierten Auslandskorrespondenten, als „Dramatiker des Jahres“ geehrt worden ist, hat kürzlich im Magazin der „New York Times“ sich zum Thema „Theatre of the Absurd“ eingehend geäußert. Der Ausdruck, der wohl zum ersten Male im Zusammenbang mit Eugene Ionescos „Rhinozeros“ gebraucht wurde — übrigens einem der wenigen avantgardistischen Stücke, das die Bannmeile des „Broadway“ durchbrechen konnte! — und inzwischen durch das Buch Martin Esslins zu einem Slogan geworden ist, kann, wie er ausdrücklich betont, nur die ungefähre Richtung einer dramatischen Tendenz bezeichnen. „Die Stückeschreiber des .Theaters des Absurden' stellen eine Gruppe nur in dem Sinne dar, daß sie anscheinend etwas Ähnliches in ungefähr gleicher Art und Weise zu ungefähr der gleichen Zeit tun — versteht man das nicht, ist das Etikett absurder, als das mit dem Etikett Gemeinte!“ —Aber dann gibt er doch — zögernd — eine persönliche Definition des absurden Theaters: „...Das Theater des Absurden ist eine Art Aufsaugen durch die Kunst von gewissen existentia-listischen und nachexistentialistischen philosophischen Konzepten, die in der Hauptsache sich mit dem Versuch des Menschen beschäftigen, für sich selber einen Lebenssinn zu finden, inmitten einer sinnlosen Position in einer Welt, die keinen Sinn hat — die keinen Sinn hat, weil die moralischen, religiösen, politischen und sozialen Gebäude, die der Mensch sich errichtet hat, um sich Illusionen zu schaffen, zusammengebrochen sind.“ — Daran anschließend zitiert er zustimmend Esslin: „... ein Phänomen wie das Theater des Absurden spiegelt keine Verzweiflung oder eine Rückkehr zu dunklen irrationalen Kräften wider, sondern gibt dem Bemühen des modernen Menschen Ausdruck, mit der Welt zurechtzukommen, in der er lebt.“

In Grunde wird hier, wie in mannigfachen anderen Ausdrucksformen moderner Selbstverständigung, die existen-tialistische Attacke auf die Illusion weiter verfolgt, daß man, um mit dieser Welt fertig zu werden, sie für rationell verständlich halten muß. Stephan Spender hat vor kurzem mit Bezug auf Beckett darauf hingewiesen, daß bei ihm nur derjenige, der die Welt als einen großartigen Witz zu sehen vermag, sie gleichzeitig auch als geheiligt ansehen kann. Das heißt offensichtlich: eine so grandiose Herausforderung an den Menschen setzt einen Schöpfer oder wenigstens einen Schöpfungsakt voraus, der in einer anderen Dimension ihr wieder einen überhöhten „paradoxalen“ Sinn verleiht. Im Absurden spiegelt sich gewissermaßen das Augenzwinkern wider, das diese Welt zusammenhält. Beim Autor liegt es nun, diesen Schöpfungsprozeß in seinem Werk noch einmal nachzuvollziehen und im lachenden Verständnis für das Absurde die Erkenntnis weiterzugeben, das, um eine Formulierung Ionescos zu gebrauchen, „absurd ist, was ohne Zweck ist“. Ionesco fährt allerdings fort: „Von seinen religiösen, metaphysischen und transzendentalen Wurzeln abgeschnitten, ist der Mensch verloren; all seine Taten sind sinnlos, absurd, nutzlos!“

Albee hat die zweite Einsicht in seinem Werk offensichtlich kaum angedeutet. Seine Arbeiten haben bisher in der satirischen Überspitzung sozialkritischen Protests gegen die Umwelt den Hauptangriff allerdings nicht auf ein „System“, sondern auf den „absurd“ lebenden Einzelmenschen bezogen, wobei der Autor deutlich sich und den Zuschauer selbstironisch in die Attacke einbezieht. — Ob auch er dabei „auf Godot wartet“, der die neue Botschaft bringen wird, bleibt unklar. Der „Amerikanische Traum“ schließt mit den Worten: „... Im schlechten oder guten Sinn — das ist eine Komödie, und ich glaube nicht, daß man dem weiter nachgehen sollte. Nein, definitiv nicht. So lassen wir es wie es jetzt ist..., wo jedermann glücklich ist, weil jeder gehabt hat, was er haben wollte oder jeder doch gehabt hat, was er meint, haben zu wollen! Gute Nacht, meine Lieben!“

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