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Am Vorbild gemessen

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Wieland und Herder machten den „Stürmern und Drängern“ ihrer Zeit den seufzenden Vorwurf, daß „Shakespeare sie alle verdorben habe“. Wenn auch Jean Paul Sartre nicht eben als Shakespeare in die Theatergeschichte eingehen dürfte: „Verdorben“ in diesem Sinn hat er Legionen von jungen Dramatikern, die glauben, es ihm gleichtun zu müssen und zu können. Sie alle glauben,, die Vermischung zweier Elemente gebe schon eine ebenso funkelnde wie haltbare Legierung. Wenn Sartre philosophische Diskussion mit reißerischer Bühnenhandlung mischt, dann wird das bei ihm eben ein neues Ganzes, eine Synthese, die neue dramaturgische und aussagemäßige Qualitäten aufweist, die mit den Qualitäten der vorherigen Einzelelemente nichts mehr zu tun haben. Es ist hier nicht der Ort, zu untersuchen, warum dem Franzosen das in den meisten Fällen geglückt ist. (Es gibt im übrigen auch bei ihm recht peinliche Versager wie etwa den „Nekrassow“ oder die „Toten ohne Begräbnis"). Zu untersuchen und festzustellen ist, daß es seinen Epigonen nicht oder nur sehr unzureichend gelang. Wir konnten dies an drei Uraufführungen an Wiener Kleinbühnen konstatieren, die im diesjährigen Festwochenzyklus „Die Idee der Freiheit im Drama“ präsentiert wurden. Sie hatten dort freilich zum Unterschied von manch anderer, nur sehr äußerlich mit dem etwas zu generös ausgelegten Motto verknüpften Produktion ihren legitimen Platz, und es ist drei Bühnen, der Josefstadt in ihrem Kleinen Haus, dem Ateliertheater und der Tribüne für die Mühe und Hingabe zu danken, die sie diesen Stücken angedeihen ließen und die auch in allen Fällen zu Aufführungen von einiger Qualität führten.

Helmut Schwarz nennt sein Stück „Die Beförderun g“. Er lokalisiert das Geschehen in einem modernen totalitären Staat, der eindeutig volksdemokratische Züge trägt. Aber zugleich ist er bemüht, den Konflikt, der eigentlich der religiöse des Judas ist, der zum Verräter wird, weil der Messias das Reich der Gerechtigkeit nicht aufzurichten vermag, in die Brust des Helden zu verlegen, eines abgefallenen Priesters, dessen dialektische Gaben nun durch den Kommunismus umgeschaltet wurden. In einer sehr komplizierten Methode, die zugleich Test und

Gehirnwäsche sein soll und die der Phantasie der ansonsten viel einfacher konstruierten Machthaber unverdiente Ehre erweist, soll er auf seine Standfestigkeit geprüft werden. Dazu werden Schockwirkungen mit Versuchspersonen aufge- boten, die aber im entscheidenden Augenblick die Umkehr, den „Rückfall“ bewirken. Religiös gesehen erwacht im Helden die unzerstörbare innere Gnade und trotz seines physischen Unterganges triumphiert er über die „Ingenieur der Seele“. Seit Andres, Koestler und Graham Greene ist das zwar nicht mehr ganz neu, dennoch aber richtig. Der Fehler liegt darin, daß es Schwarz einfach nicht gelingt, die persönlich-private Intrige, die psychologische Selbstauffindung und die politische Auseinandersetzung zu einem Ganzen zu bringen. Ein Element behindert das andere, und was am Ende sichtbar bleibt, ist ein Konstruktionsgerüst. Das ist zuwenig. Werner Krauts Regie versuchte, unterstützt von sehr intensiven Schauspielern, unter denen Günther Tabor und Grete Zimmer mit Abstand an erster Stelle zu nennen wären, die private Seite des Konflikts mit viel Farbe hervorzuheben. Aber das gelang ihm deswegen nicht, weil ja das Private hier als Funktion des Politischen gesehen wird und ihm solcherart der überzeugende Eigenwert fehlte. Der Eindruck blieb zwiespältig. Und man ging mit der Überzeugung, daß es sich der ungemein begabte, den persönlich-packenden Dialog fast schon vollendet meisternde Autor unerfüllbar schwer gemacht hatte.

Viel anspruchsloser hat Anneliese Felsenstein ihr Stück „Daniel in der Löwengrube" konstruiert. Es wirkt in der Charakterzeichnung primitiver, dafür aber auch rasanter. Das Gerüst totalitärer Politik wird auch hier aufgebaut. Den, der gewisse Vereinfachungen im Funktionärskampf banal empfindet, sei verraten: Es ist dort so. Aber die Autorin koppelt das Ganze mit einer ebenso banalen Liebes- und Ehetragödie. Und die ist eben in der Regel nicht so. Was Schwarz zuviel an Psychologie bietet, was bei ihm zu überfrachtet wirkt, ist bei der Felsenstein brutaler und klarer. Dafür versagt ihr Stück dort, wo sich Schwarz bewährt: in der Plastizität und menschlichen Glaubwürdigkeit der Charaktere. Veit Re- lin — als Regisseur interessanter denn als Darsteller — hat seinem kleinen Ensemble schon so viel Profil gegeben, daß einige Figuren sehr richtige und überzeugende Konturen erhielten. Wir nennen den Diktator Emanuel Schmieds und die interessante Studie einer Parteifunktionärin durch Eva Heide F r i c k.

Ferdinand Bruckner freilich, dessen „Früchte des Nichts" wir in einer sehr bemühten Aufführung der um die österreichische Gegenwartsdramatik unverdrossen verdienten „Tribüne“ sahen, konnte seines Alters wegen von Sartre nicht mehr verdorben werden. Wenn auch die Helden seines Stücks in Gehaben und Vokabular die Existentialistengeneration nach dem zweiten Weltkrieg verkörpern sollen, sie sind und bleiben Geschöpfe des wortreichen und recht verschwommenen Bühnenexpressionismus nach 1918, leider aber noch dazu in einem zweiten Aufguß. Das war auch durch Peter lanischs um Modernisierung bemühte Regie nicht zu ändern. Man konnte sich also nur an die durchaus ,modernen Talentproben Heinz Payers und Peter Michl-Bernhards halten, die den Text elementar durchbrachen, an die gegenwartsechten Charakterkonturen Wilma Vondras und des begabten Ferenc Frey, besonders aber an die intensive und zeitlos starke Muttergestalt der ganz ausgezeichneten Hella Ferstl.

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