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Auf den Spuren des „Don Giovanni“

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Die mit größter Spannung erwartete Uraufführung von Igor Strawinskys erstem abendfüllendem Bühnenwerk .The Rake's Piogress“ wurde zum Höhepunkt der diesjährigen Musikbiennale zu Venedig. Das erstemal in der Operngeschichte wurde ein musikalisches Bühnenwerk englischer Sprache auf einer nicht-anglikanischen Opernbühne herausgebracht, im Teatro La Fenice zu Venedig. Die Internationalisierung der Opernspradie hat damit einen ersten weithin sichtbaren Höhepunkt erreicht und die englische Sprache hat zum ersten Male bei einem der bedeutendsten Werke der Gegenwart künstlerisch Pate gestanden. Das Libretto stammt von W. H. Auden und ehester Kallmam es ist aber kein Zweifel möglich, daß der Komponist selbst an der Entstehung des Librettos wesentlichen Anteil genommen hat. Die für Strawinsky typische formale Bindung, die vorliegende Formen, sowohl im Gesanglichen wie im Instrumentalen, mit neuem Leben erfüllt, deckt sich vollendet mit der formalen Anlage des Librettos, in dem die Handlung nicht gerade in einem der Art gemäßen poetischen Gewand, aber doch liedartig gefaßt wird. Vor allem aber ergeben sich ritornell-artige Bindungen, die der Musik reizvolle Wendungen ermöglichen. Wie überhaupt der Wechsel zwischen Handlung (Rezitativ) und sentenzartig angelegter gebundener Dichtung (Lied, Tanz) vorbildlich ist.

Der „Untergang des Wüstlings', Titel jener Serie von Stichen des William Hogarth, die schon einmal in einem Ballett zu Bühnenleben kamen, nun aber zu einer echten Opernhandlung erweitert und auch vertieft wurden, ist ein aktueller Stoff geworden, ohne — so nah manchmal Bert Brecht in den häufigen, die Moral von der Geschichte ziehenden poetischen Sentenzen ist — jede sozialpolitische Spitze. Tom Rakewell, der Wüstling, ein junger Mann aus gutem Hause, der durch eine reiche Erbschaft zum Luderleben verführt wird, seine Jugendliebe Anne vergißt und dank der Tricks des Nick Shadow, einer Mephisto-Figur, so herunterkommt, daß er dem Teufel schließlich seine Seele verschreiben muß, ist eine Art passiver Peer Gynt, ohne den faustischen Drang zu echter Erkenntnis zu besitzen. Die schöne Anne, eine der ergreifendsten Figuren der modernen Opernbühne und vom Komponisten mit einem großen Reichtum inniger Melodien ausgestattet, gleicht Solveig. Es ist nicht ohne Reiz, den bisher allein der musikdramatischen Bühne gehörigen Erlösungsgedanken nun im schönen Schein gleichsam unschuldigen Musizierens wiederauferstehen zu sehen. Nicht Wagner, sondern Mozart ist das Ideal, dem auch dieses Komponistenleben zugestrebt hat. Und kein Zufall, daß die gefühlsinnige holde Schönheit, die in Bachs Alt-Arien der Matthäuspassion lebt, hier eine Reinkarnation gefunden hat. Einige Buffogestalten sind durchaus italienisch verankert: Rossini und Doni-zetti stehen hier Pate. Alle diese Reminiszenzen sind jedoch keine eklektischen Leihgaben, sondern in Strawinskys ureigenem Stil völlig eingeschmolzen, der keinen Augenblick die Linie des kammermusikalischen Musizierens verläßt. Wie in der großen Anlage — drei Akte mit je drei Bildern, wobei der an Mozarts „Don Giovanni“ gemahnende Epilog mit einem moralisierenden Schlußquintett mit der Exposition des ersten Bildes korrespondiert —, ist auch innerhalb der Bilder die Aneinanderreihung der Nummern im statischen Sinne gewahrt.

Es war klar, daß hier die Regie vor einer großen, vor allem völlig neuen Aufgabe stand. Sie heißt: das „Drama“ um Rakewell, der im Irrenhaus endet, wo ihm Anne verzeiht, mit der reich ausgestatteten Buffowelt in Einklang zu bringen, vor allem aber auch die dramaturgischen Andeutungen der Partitur in künstlerischer Äquivalenz auf der Bühne auszuspielen. Dies gelang Carl Ebert nicht ganz. Gewisse Längen machten sich vor allem im dritten Akt störend geltend, und es entsteht die Frage, wie weit Eberls imponierende Pionierleistung hier nicht auch ein Opfer des Librettos geworden ist, das zum Teil zu breit ausspinnt, vielleicht auch zu viel Dichtung ist an Stelle theatralisch notwendiger Konzentration. Aber diese Frage werden wohl erst ganz die in Bälde bevorstehenden Aufführungen des Werkes auf den meisten europäischen Opernbühnen lösen können. Venedig brachte die erste Erprobung, die Schlüsse sind nun zu ziehen, vielleicht sogar energisch; denn Kürzungen scheinen unumgänglich. Die Besetzung der Uraufführung war ungleichmäßig. Hervorragend war Elisabeth Schwarzkopf als Anne und Ottokar Kraus als Shadow. Strawinsky, der zum ersten Male in seinem Leben eine Oper dirigierte (was nicht unbedingt ein Vorteil war), wurde äußerst herzlich begrüßt und am Schluß der Oper warm gefeiert.

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