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Auf Südkurs

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Während in Graz die Opernsaison mit einer recht mittelmäßigen Wiederaufnahme der alten Diehl-Insze-nierung des „Ring“ begann, hat das Schauspiel mit vollen Segeln den für dieses Jahr vorgesehenen Südkurs genommen. Es ist das letzte Jahr der Intendanz Haberland und damit auch das Ende des vorwiegend geographisch bestimmten Spielplans.

Südkurs — das heißt in unserem Falle: der erste Premierenabend galt Casanova, der zweite Don Juan, den zwei Repräsentanten eines erotisch bestimmten Südens — gesehen von deutschsprachigen Autoren. Der dritte Abend jedoch war einem echten Italiener gewidmet, der allerdings von nördlichen Einflüssen — insbesondere der deutschen Romantik — durchaus nicht frei geblieben war: Pirandello nämlich, der heuer 100 Jahre alt geworden wäre. Hundert Jahre sind aber auch seit dem Geburtstag des Österreichers Karl Schönherr vergangen, und so fiel denn die vierte Premiere aus dem geographischen Konzept in die Abteilung „Gedenktage“, weil sich eine Verbindung zwischen Schönherr und dem Süden beim besten Willen nicht konstruieren ließ — das Südtirolproblem hatte den Tiroler Dichter-Arzt noch nicht erregt...

Casanova war durch Hofmannsthals Florindo vertreten, der dem schönen, herben Bauernmädchen Cristina auf dessen Heimreise ins Gebirge zu unerwarteten Erfahrungen und zu unverhofftem Leid verhilft. Dem Lustspiel „Cristinas Heimreise“, einer der herrlichsten Komödien der deutschen Sprache, die in diesem Rokoko-Venedig in bezaubernd österreichischer Färbung erglänzt — diesem Stück merkt man halt die Wachstumsringe jahrelanger dramaturgischer Versuche doch noch sehr stark an. Rudolf Kauteks Inszenierung ist von behender Agilität und einfallstrotzender Beweglichkeit, solange sich etwas bewegen läßt. Die Schwierigkeit für den Regisseur liegt ja darin, den statischen dritten Akt, die elegisch-

verklärte Wortmusik, die kristallklare Luft eines symbolisch verstandenen Gebirgsdorfes so in atmosphärische Bühnenausstrahlung umzusetzen, daß das Interesse des Publikums nicht erlahmt nach den zwei allegren Akten, die vorhergingen. Kautek konnte diese Schwierigkeit nicht recht bewältigen, weil er sich zu sehr auf Tempo und Betriebsamkeit eingestellt und zuwenig um die

Schaffung des bei Hofmannsthal so wichtigen „ambiente“ gekümmert hatte. (In den Hauptrollen: Dietlindt Hang, Wolfgang Kraßnitzer, Kurt Sterneck und der „Häfenelegiker“ Herwig Seeböck.)

„Don Juan oder Die Liebe zur Geometrie“ ist sicherlich eines der besten Stücke von Max Frisch. Daß es erst zum erstenmal in Österreich gegeben wurde, bleibt unverständlich. Die Umkehrung des Don-Juan-Motivs ist zwar nichts Neues

(auch bei ödön von Honrath findet sie sich), sie bekommt aber hier eine interessante, ja beinahe spritzige Note, die das ernste Thema von der Einsamkeit des Intellektuellen, der auf der Suche nach sich selbst ist, in eine geistvolle, witzige und zugleich romantische Komödie kleidet. Die Grazer fanden Klaus Gmeiners Inszenierung, Josef Bruns Dekorationen und die meisten Darsteller außerordentlich gut — eine Meinung, die auch der Referent teilt. Die Beurteilung dieser Aufführung möge jedoch den Wienern überlassen bleiben, die das Stück als Grazer Gastspiel im Burgtheater sehen können.

Nicht viel Gutes ist über die Wiedengabe von Pirandellos „Narrenkappe“ auf der Probebühne des Schauspielhauses zu berichten. Freilich ist diese Komödie nicht gerade das beste Werk des Autors, aber anhand ihrer zwar umständlichen, aber doch recht farbigen Abwandlung von Pirandellos Hauptthema hätte sich eine eindringliche und interessante Demonstration des pirandellesken Marionettenwesens ergeben können. Die Grazer Aufführung unter dem Gastregisseur Alexander Wagner hatte durchschnittlich bis unterdurchschnittlich provinzielles Niveau — sieht man von dem Schauspieler Harald Harth ab.

„Frau Suitner“ von Schönherr wirkte schlicht und einfach antiquiert — das Problem der unfruchtbaren, alternden Frau interessiert in dieser Behandlung nicht mehr, die dramaturgische Holzhammertechnik, die das Leitmotiv in schöner Regelmäßigkeit anklingen läßt, ist penetrant. Hans Rüdgers inszenierte ein wenig zu Anzengruber hin, hat die Darsteller gut geführt, aber sprachlich nicht genug oder falsch betreut: ein recht ermüdender Abend.

Dafür ging es im Kellerstudio der „Spielvögel“ bei der neunten Folge des Kabaretts der „Tellerwäscher“ erheblich flotter zu. Das Programm nennt sich „9. Sumpfonie“, bringt Texte von „Hausdichtern“ und neuen Autoren, nimmt lokale und globale Probleme aufs Korn und beweist mit einigen Beiträgen (vor allem einer „Ödipus“-Travestie von E. Rumbach) beachtliches literarisches Niveau. Harald Kopp, der auch als Chansonnier auftritt, hat die jungen Leute großartig auf Touren gebracht — und wenn man die Vis comica von Ingo Wampera in Betracht zieht, so begreift man, daß der ehemals Grazer „Würfel“ nun einen legitimen und exzellenten Nachfolger gefunden hat.

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