6712661-1964_28_13.jpg
Digital In Arbeit

Ausklans der Ära Matiasek

Werbung
Werbung
Werbung

Nach Abschluß der heurigen Spielzeit verläßt der junge Intendant Dr. Helmuth Matiasek mit den meisten der von ihm hier vorgestellten und lancierten Künstler das Salzburger Landestheater. Sein Regime, zu kurz, um das anspruchsvolle Konzept ganz zu verwirklichen, aber lang genug, um Aufgaben und Grenzen eines Landestheaters deutlich zu zeigen, dieses eigenwillige Regime also erntete Lob und Kritik, wobei jenes bei weitem überwog; in einem aber werden alle übereinstimmen, nämlich in der Feststellung, daß unter Matiasek das Salzburger Theater zu einem echten Diskussionsgegenstand wurde. Salzburg interessiert sich wieder für sein Theater, ein Faktum, das der neue Intendant Dr. Herterich zu nutzen bestrebt sein sollte.

Die letzten Neuinszenierungen, ein sprühender Nestroy und ein schlechthin großartiger „Falstaff”, machen uns den Abschied nicht leicht; sie helfen uns, einen völlig danebengegangenen Offenbach zu vergessen, der vorher herausgebracht wurde. Dieser „Orpheus in der Unterwelt”, von Hans Weigel sehr witzig übersetzt und bearbeitet, ist vermutlich noch nie so gänzlich mißverstanden worden wie von Vendel Szorgend, einer unbekannten Größe, die für die Regie verantwortlich zeichnete. Da gab es wahrhaft nichts zu lachen, weder für die Sänger und Schauspieler noch für das Publikum (es lachte trotzdem); in dem Bühnenbild (Bruzek) hätte man geradeso gut einen Sophokles spielen können, und jeder aus dem Ensemble kommende Versuch eines komischen Beitrags scheiterte an der Einfallslosigkeit der Inszenierung. Auch die eingebaute Orffparodie von Richard Wiedemann (na ja) konnte da nichts retten. Eine Substitutenbeset- zung des Mozarteumorchesters verbrach Schreckliches.

Versöhnt wurde man mit dem Theater wieder durch eine ausgezeichnete Aufführung der Nestroyschen Posse „Der Schützling”. In der szenischen Gestaltung dieses seltsam zwiegesichtigen Stücks — halb Posse, halb soziales Drama — bewies Rudolf Kautek neuerlich, daß er zu den begabtesten jüngeren Regisseuren Österreichs gehört. Wie er in den Geist des Stückes eindrang, wie er vermied, daß der ernste Kern zur Parodie, die Posse zum Klamauk wurde, wie er die genialen Bonmots zu natürlichen Elementen des Dialogs machte, dies alles weist ihn als einen der ganz seltenen Spielleiter aus, die Nestroy authentisch zu interpretieren vermögen. Die Bühnenbilder Ernst Bru- zeks, vielleicht vom Altwiener Vorstadttheater inspiriert, ließen diesmal keinen Wunsch offen und kamen den Absichten der Regie entgegen. In der Nestroy-Rolle des Gottlieb Herb bot Gerhard Mörtl eine sehr geschlossene Leistung, die an große Vorgänger in diesem Fach erinnerte. Man wundert sich, daß dieser Vollblutschauspieler noch nicht für Wien entdeckt wurde. Harald Harth als messerscharfer, übergewandter Intrigant, Kurt Weinzierls gspaßiger, wenn auch ein wenig outrierender Pappinger und der Baron Norbert Scharnagls in respektgebietender Nobleß waren theaterechte Figuren aus Nestroys menschlichem Kuriositätenkabinett. Von reizender Biedermeier- lichkeit Jovita Dermota als junge Baronin und eine köstliche Volksstücktype die Nanny Lia Sindelars. Allen übrigen ein uneingeschränktes Gesamtlob.

In der letzten Neuinszenierung seiner Intendantenzeit nahm Helmuth Matiasek die Regiezügel noch einmal Selbsj: in die Hand . und fuhr mit einem „Falstaff” auf, wie man ihn in unseren Breiten auch auf größeren Bühnen nicht oft erleben wird. Verdis geniales Alterswerk erschien in dieser Verwirklichung wie eine Improvisation, wie das sprühende Stegreifspiel einer phantasiebegabten Truppe, die sich zum eigenen Vergnügen auf die Bretter schwingt. Das höchste Lob, das der Kritiker zu spenden hat, ist der Vergleich mit jener italienischen Stagione um den herrlichen Stabile, die vor 21 Jahren in der Verdi-Woche an der Wiener Staatsoper mit dem „Falstaff” gastierte. — Matiaseks Inszenierung war vor allem eine Ensembleleistung ersten Ranges, bei aller Turbulenz wunderbar ausgewogen, ohne Gäste, nur von dem theatereigenen Personal bestritten, das der junge Intendant mit erstaunlichem Spürsinn zusammengestellt und zu organischer Einheit entwickelt hatte. Das Mozarteumorchester musizierte unter Basic wie schon lange nicht, der Chor, sonst eher ein Sorgenkind, sang vorzüglich, Bühnenbild und Kostüme von Erich Kondrak entsprachen dem Stil der Inszenierung, und auf der Bühne herrschte die heiterste Spiellaune. Sharon Bliß (Quickly), Peter Branoff (Falstaff), Valerie Masterson (Ännchen) und Robert Granzer (Ford) machten erneut auf ihre Stimmqualitäten aufmerksam und boten komödiantische Kabinettstücke. Auch allen anderen wurde ohne Vorbehalt herzlich applaudiert. Noch lange wird man sich dieser Abschiedsgabe Matiaseks erinnern, dessen Abgang jene Salzburger bedauern werden, die von ihrem theatralischen Alltag erwarten, daß er der Festspielstadt würdig sei.

i

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung