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Ballade vom schwarzen Krüppel

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Das Hauptwerk von George Gershwin, seine einzige Oper und die einzige echte Volksoper, die Amerika bisher hervorgebracht hat — „Porgy and Bess“ —, braucht nicht vorgestellt zu werden. Sie verschwand zwar nach ihrer New Yorker Premiere am 10. Oktober 1935, nach „nur“ vier Monaten Laufzeit, für sieben Jahre, wurde dann aber nach ihrer Neuinszenierung im Jahr 1942, vor allem aber durch die Tournee eines Negerensembles in den Jahren 1952 und 1954 weltberühmt. (Dazu kam dann noch der vielgespielte Farbfilm.) In jenem Ensemble, das auch in der Wiener Volksoper gastierte, sang bereits William Warfleid die männliche Hauptpartie. — Den. Welterfolg seines Werkes hat Gershwin, der 1937, knapp 39jährig, starb, nicht mehr erlebt...

Nun hat Wien, dank Begeisterung, Initiative und Tatkraft von Doktor Marcel Prawy seine eigene „Produktion“ dieses Meisterwerkes, der man nicht ohne Sorgen entgegensah. Denn die Intentionen des Komponisten und der Textautoren sind nur von farbigen Sänger-Schauspielern und einem bestens aufeinander eingespielten Ensemble zu verwirklichen. Mehr als bei einem anderen Werk müssen hier auch Regie und Bühnenbild, Chor und Choreographie harmonieren, sonst kann etwas recht Inferiores herauskommen. — Auch darf man nichts stilisieren und „veredeln“ wollen.

DuBose Heyward veröffentlichte 1925 eine realistische Novelle, die das Schicksal eines Krüppels und seiner Geliebten, der leichtsinnigen Bess, in Charleston (Südkarolina) erzählt. Alles an dem Libretto, das der Novellenautor und Gershwins Bruder Ira für den Komponisten in neun Bildern auf die Bühne brachten, ist Leben, Liebe, Leidenschaft. Genauso unstilisiert, formal frei und unbedenklich in den Mitteln ist die Musik Gershwins — der freilich ein einfallsreicher und sensibler Musiker war, mit Schönberg freundschaftlich verkehrte und seinen „Kollegen“ Strawinsky über alles bewunderte.

Für die Echtheit der Inszenierung und Ausstattung, die im Textbuch weitgehend vorgezeichnet ist und sich in den genannten Produktionen bestens bewährt hat, sorgten Nathaniel Merill und Robert O'Hearn, beide von der Metropolitan Opera. Vielleicht war das Bühnenbild ein bißchen zu sehr „aufgeräumt“, und die heimische Komparserie und den mitagierenden Chor konnte der Regisseur natürlich nicht im Handumdrehen in Farbige verwandeln. Aber ein Maximum war erreicht, „soweit die vorhandenen Kräfte reichten“, wie Richard Wagner einmal lobend nach der Wiener Premiere seines „Tannhäuser“ sagte.

Insgesamt wirkten sechzehn farbige Künstler, darunter einige beachtliche Sänger, in der Aufführung mit: William Warfield als ergreifender Porgy; Olive Moorfield, apart in der Erscheinung, ausgezeichnet im Spiel und mit erstaunlichem Stimmvolumen als Bess; James Randolph, ihr Liebhaber — ein Prachtexemplar von einem Mannsbild und ein großartiger Sänger; Robert Guillaume als Rauschgifthändler — eine zwielichtig-elegante Figur (vielleicht um eine Nuance zu harmlos geraten); Gwendolyne Walters als Serena, die gleich in der ersten Szene ihren spielwütigen Gatten verliert, der erstochen wird: die schönste Stimme in dieser Aufführung — und die vielen anderen, die alle genannt zu werden verdienen. Unter der Leitung von Lee Schaenen spielte das Volksopernorchester und sang der von Franz Gerstaeker einstudierte Chor die mitreißende, stellenweise nicht unkomplizierte Musik von Gershwin mit erstaunlicher Einfühlung.

Im ganzen: eine überaus fesselnde, szenisch und musikalisch bestens gelungene Produktion, die, solange dies Ensemble zusammenbleibt, ihre Liebhaber finden wird.

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