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Ballett und Konzert in Salzburg

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Es ist immer schade, wenn eine Chance vertan, ein interessantes Projekt mit unzulänglichen Mitteln realisiert wird. Erstklassige und repräsentative Ballettaufführungen könnten das Salzburger Programm wirklich bereichern, und nicht nur erweitern. Will man partout mit dem Ballett in der Felsenreitschule bleiben, dann wird hierdurch die Zahl der in Betracht kommenden Werke sehr wesentlich eingeschränkt. Und der Choreograph, der vor diesem düster-massiven Hintergrund agieren läßt, muß genau bedenken, was hier gespielt werden kann und was nicht. Aber auch das Bedenken genügt nicht, wie der diesjährige Ballettabend erwies. Denn Strawinskys Melodram mit Musik, Rezitation, Pantomime und Tanz „P e r s e p h o n e“ nach einem Text Andre Gides schien nicht nur zu Honeggers „Totentanz“ vom vergangenen Jahr, sondern auch in die Felsenreitschule zu passen. Die Praxis der Aufführung widerlegte leider diese Mutmaßung. — Das liegt zunächst am artistischen, auf intime Wirkungen berechneten Charakter des Textes und der Partitur, die vor mehr als 20 Jahren an der Pariser Oper uraufgeführt wurde und von der Strawinsky verlangte, daß sie „so wie sie geschrieben ist und unveränderlich in den musikalischen Archiven unserer Zeit bleiben muß“, als ein unlösliches Ganzes mit seinen vorausgegangenen neo-klassischen Werken angesehen werde. Diese Frühlingsfeier im Zeichen Apolls — im Unterschied zu dem 20 Jahre vorher geschriebenen „Sacre du printemps“, der einmal als „messe naturelle“ bezeichnet wurde — ist ein sehr diffiziles Werk, das zu seiner Realisierung ein bestgeschultes, einheitliches Ensemble und einen mit dem neoklassischen Stil wohlvertrauten Choreographen erfordert. Bei der Aufführung in der Felsenreitschule fehlte es nicht an guten Tänzern (Gästen aus aller Welt und Einheimischen), hervorragenden Sprechern (Marianne Hoppe und Karl Blühm), erstklassigen Gesangssolisten (Hilde Zadek, Vera Presti, Waldemar Kmentt und Otto Wiener), einem disziplinierten, sicher geleiteten Orchester und Chor (Mozarteum-Orchester und Staatsopernchor unter Ernst Märzendorfer), — wohl aber an der Choreographie (Margarete Wallmann) und einem homogen durchgebildeten Corps de Ballet.;

Dagegen paßte Honeggers, bereits im vergangenen Jahr gezeigte, „Danse des Morts“ nach einer Dichtung von Paul Claudel besser in diesen Rahmen und entsprach eher der Eigenart der Choreographin Margarete Wallmann. Es gab sehr eindrucksvolle Massen- und Monumentalszenen, daneben freilich auch zahlreiche tänzerische und darstellerische Leerläufe, so daß das Malmot von der „tragischen Revue“ nicht ganz unberechtigt erscheint. Honcgger komponierte den von Paul Claudel geschriebenen, bzw. zusammengestellten Text ein Jahr vor Ausbruch des Krieges. 1940 wurde das Werk durch Paul Sacber konzertant uraufgeführt und seither wiederholt in dieser Fassung gegeben. Holbeins Totentänze, die Claudel in Basel sah, gaben dem Dichter nur die Anregung, nicht das Vorbild für die Gestaltung des Stoffes. Claudels Konzept stützt sich auf drei Sentenzen; „Denk daran, Mensch, daß du nur Staub bist“, „Denke doch, Mensch, daß du Geist bist“ und „Denke daran, o Mensch, daß du ein Fels bist“. — Die aus den Weissagungen des Propheten Ezechiel und dem Buche Hiöb entnommenen Texte hat Claudel in sieben Szenen angeordnet: Dialog zwischen Sprecher und Chor, Totentanz, Lamento, Seufzer der Kreatur, Gottes Antwort, Erlösung durch das Kreuz und Affirmation. — Honegger schrieb dazu eine Musik in seinem bekannten, allezeit wirkungsvollen al fresco-Stil, mit großen Chor-6ätzem markant-rhythmischen Orchesterzwischenspielen und kantäblen Solopartien. — Hier jedenfalls wurde ein Werk für Salzburg gefunden, das durch die Vereinigung von gesprochenem Wort, bildhaften Szenen und allgemeinverständlicher Musik jene Breitenwirkung hat, die Claudel und Honegger anstrebten und sich mit einer einfallsreicheren Choreographie in der Felsenreitschule einbürgern könnte.

Die Konzerte nehmen innerhalb der Salzburger Festspiele immer noch den breitesten, wenn auch nicht den gewichtigsten Platz ein. In den Orchester- und Solistenkonzerten, Serenaden und Mözartmat'meen, Dom- und Kammerkonzerten gab es viel Schönes und Wertvolles in zum Teil erstklassiger Ausführung. Knappertsbusch, Böhm, Ormindy, Kubelik und Münch dirigierten die Philharmoniker, Paumgartner und Messner vor allem die Mozartaufführungen, Gioconda de Vito, Geza Anda, Enrico Mainardi und Nathan Milstein veranstalteten ihre Soloabende, das Scarlatti-Orchester und das Münchner Kammerorchester gastierten neben der Bläservereinigung der Philharmoniker und dem Wiener Oktett. Das meiste Wird und kann auch in künftigen Jahren so bleiben. Was man sich wünschte in dieser bunten Vielfalt Wären ein oder zwei geschlossene Zyklen vor allem innerhalb der Orchesterkonzerte, etwa einen Bruckner- oder einen Mahler-Zyklus. Die Programme der großen Dirigenten waren recht uninteressant und konventionell. Mit der Uraufführung einer neuen Oper glaubte man den notwendigen Tribut an die Moderne entrichtet zu haben. Karl Böhm war der einzige, der es wagte, einen lebenden Komponisten, und dazu noch einen Oesterreicher, aufzuführen (und er fuhr nicht schlecht mit der „Chronique symphonique“ von Theodor Berger I). Rafael Kubelik dagegen wollte ja nichts riskieren und ersetzte in seinem Programm die vorgesehene „Sinfonietta“ von Janacek durch die — „Fünfte“ von Dvorak und eine Haydn-Symphonie durch die noch publikumsichere Egmont-Ouvertüre.

Im Kunstrat ist, wie man aus einem Kommunique erfuhr, über die künftigen Konzert-prögramme gesprochen worden. Gesprochen wurde in Salzburg auch über die beabsichtigte Berufung des Dirigenten Herbert von K a r a j a n, der den Festspielen jahrelang ferngeblieben war. Gegen die Beschäftigung dieses Dirigenten ist nicht nur nichts einzuwenden, sondern sie erscheint wünschenswert. Voraussetzung wäre, daß er gewillt ist, sein großes Talent in den Dienst der Salzburger Festspiele zu stellen. Daß bereits in dieser Vorphase der Verhandlungen von Bedingungen und Forderungen Karajans die Rede war, stimmt bedenklich. Daß man ihm die Leitung zweier Konzerte und zwei Opern zur Neueinstudierimg überträgt, erscheint billig. Unbillig dagegen wäre eine weitere Forderung, die sich auf das Mitspracherecht Karajans beim Engagement anderer Dirigenten, die Wahl der Regisseure usw. erstreckte. Diese Kompetenzen sollten, wie bisher, dem Kunstrat und dem Direktorium überlassen bleiben. Gegen das „Einmannsystem“ hat sich an dieser Stelle im vergangenen Jahr unser damaliger Festspielreferent mit aller Entschiedenheit ausgesprochen: gegen den übertriebenen Personenkult, dessen Folge die ins Persönliche ausartende Rivalität der Künstler untereinander ist. „Nicht der Konkurrenzkampf zweier oder mehrerer Künstler ist interessant, sondern der Wettbewerb der führenden Festspiele.“ Wir rufen diese Worte (die sich.übrigens nicht auf den Dirigenten Karajan hezogen) rechtzeitig in Erinnerung. Alle Großen, die hier gewirkt haben und denen die Festspiele ihre Entstehung und ihren Ruhm verdanken — Strauß und Hofmannsthal, Reinhardt, Bruno Walter und viele andere — haben mit freudigem Eifer einer Idee gedient und damit ein Beispiel für jüngere Kollegen gegeben. Die Stadt Mozarts und die Salzburger Festspiele, die immer noch die ersten in Europa sind, eignen sich ganz und gar nicht für eine Starkulisse. Dafür sind sie viel zu schade,

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