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Basels neues Theaterkonzept

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Werner Düggelin, der neue Intendant der beiden Basler Bühnen, hat sein Programm bekanntgegeben. Wer bisher fürchtete, das Theaterleben dieser Stadt werde um einen wesentlichen Antrieb gebracht, wenn es um den Wettstreit der beiden Bühnen gebracht würde, darf die Furcht mit guter Hoffnung vertauschen: die Pläne, die Werner Düg- gelin und sein Dramaturg Hermann Beil vorlegen, bieten Besseres: es wird weniger Premieren geben, aber gründlichere Arbeit am einzelnen Stück; es wird keine Sensationen geben, aber einen Spielplan mit Stücken, die Zueinander in Beziehung Stehen; es wird weder puren Ästhetizisms geben noch plattes Vergnügen. Das Publikum soll am Spielplan wie an jedem einzelnen Stück die Arbeit seines Theaters nachprüfen können.

Das sind vorerst Worte, denen die Taten noch folgen müssen. Aber die Details dieser neuen Konzeption für die beiden Basler Theater klingen so wohl durchdacht, daß es nicht nur beim „guten Willen” bleiben dürfte. Sogar an das Müdewerden hat Düg- gelin gedacht. Wenn der erste Elan sich verbraucht habe und die Gefahr bestehe, in das übliche „Inzuchtdenken” zu verfallen, habe man ja Friedrich Dürrenmatt als „advocatus diaboli”. Dürrenmatt wird außer der Advokatur zwei neue Stücke und eine Inszenierung beisteuern: den „König Johann”, der eigentlich als Shakespeare-Übersetzung gedacht war, jetzt aber immer mehr ein neues Stück wird, dann ein Stück, dessen Titel noch nicht feststeht, und schließlich die Inszenierung des Ur-Faust am 18. September. Bei der Pressekonferenz fehlte er, „weil er schreibt”. Aber eine Wohnung hat er in Basel schon gemietet. Düggelins Konzeption in Stichworten: „keine Repetition von ,Bildungsgut’, keine Vernebelung und Schönfärberei politischer und sozialer Zustände, keine ästhetizistische Harmonisierung von Widersprüchen, keine Ausflucht in ein poetisches Nirgendwo”, positiv so formuliert: „Abbildung und Analyse der Wirklichkeit, Darstellung von gesellschaftlichen Abläufen und Veränderungen, von verpaßten Gelegenheiten und möglichen Chancen.” Aber auch: „die neue Spielzeit soll nichts mehr und nichts weniger sein als ein neuer Anf ang”.

Der Dramaturg Hermann Beil erläuterte das Programm: die Stücke sollen in innerem Zusammenhang stehen, also etwa Nestroys „Talisman” zu Sperrs „Jagdszenen aus Niederbayern”, wobei Nestroys Stück als „satirisch-komischer und eben noch glücklicher Gegenentwurf” zu begreifen wäre. Der Spielplan besteht also aus Gruppen korrespondierender Stücke. Die beiden Stücke von Nestroy und Sperr zählen zu der Gruppe, die die herrschende und konforme Gesellschaft darstellen (zusammen mit Moliėres „Dandin” und Büchners „Woyzeck”). Menschliche Verhaltensformen in Zeiten des Übergangs soll eine zweite Gruppe zeigen: Goldonis „Trilogie der schönen Ferienzeit”, Tschechows „Onkel Wanja”, Horvaths „Kasimir und Karoline” und Dürrenmatts „König Johann”. Die Revolte der Jungen wird in Bonds „Gerettet” zu Wort kommen und im Stück eines jungen Schweizers, der noch an der Arbeit ist. Kritik an inhumanen Tendenzen: Sternheims „Bürger Schippel” (der seit 30 Jahren in der Schweiz nicht mehr gespielt wurde!) und Brechts „Pauken und Trompeten”. Selbst der Spaß soll künftig Niveau haben. Unter dieser Rubrik stehen Macchiavellis „Mandragora”, Feydeaus „Monsieur Chasse”, Hugos „1000 Francs Belohnung”, Michaels „Blauer Strohhut” auf dem Programm. Für drei der Stücke wurden Neuübersetzungen in Auftrag gegeben. Kurzum: mindestens an dieser Pressekonferenz blies eitel Theaterluft, und man glaubt Dügge- lin, daß er sich nur der Theater- arbeit in Basel widmen will und nirgends gastieren. Denn er hat alle Hände voll zu tun.

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