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Beginn mit Busoni in Graz

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Ferruccio Busoni hatte in jungen Jahren in Graz einige Zeit hindurch Musik studiert. Das allein wäre sicherlich noch nicht Motivierung genug dafür, daß seine Oper „Dok-tor Faust“ vierzig Jahre nach ihrer Entstehung nun eben in Graz ihre österreichische Erstaufführung erlebte; vielmehr steht Busonis 100. Geburtstag sozusagen vor der Tür — vor allem aber bedeutet der Griff nach dieser so selten gespielten Oper ein Bekenntnis des neuen Intendanten Karlheinz Haberland zur Tradition seines Vorgängers Andre Diehl, der dem zeitgenössischen Musiktheater und da insbesondere weniger bekannten und seltener gespielten Werken seine spezielle Bemühung angedeihen ließ. Haberland, der mit beachtlicher „Mottofreudigkeit“ und fühlbarem Ehrgeiz seine Grazer Tätigkeit einleitete, hat einen recht unkonventionellen Spielplan erstellt, wobei allerdings auch manch Obskures hervorgeholt werden soll, von dem noch nicht feststeht, ob es auch die Mühe lohnen wird. Gelohnt aber hat sich ganz gewiß die Bekanntschaft mit der „Faust“-Oper Busonis: sie ist ein interessantes und bedeutendes Werk. Die Doppelnatur des Komponisten, der, „amphibisch zwischen zwei Nationen lebend“, den italienischen Sinn für Form und für Kantilene mit dem grübelnden Ernst des Deutschen und dessen Vorliebe für barocke Polyphonie verbindet, spiegelt sich deutlich in dieser (von seinem Schüler Philipp Jarnach vollendeten) Oper. Freilich wirkt einiges an seiner Musik eklektisch; erstaunlich aber ist, wie manches, das später kam, hier schon vorweggenommen erscheint; erstaunlich auch, wie diese Musik, die geflissentlich jeden billigen Effekt, jeden Gefühlsüberschwang meidet, bei aller intellektuellen Kühle doch höchst ausdrucksvoll, ja stellenweise packend sein kann. Sie illustriert nicht, deckt aber die Hintergründe auf. Das Libretto, das der Komponist sich selber schrieb, ist eine Mischung aus dem Puppenspiel-

„Paust“ und der Goetheschen Dichtung, ein wenig verworren und verwirrend, voll dilettantischer Reimerei, aber durchaus nicht ohne Bühnenwirksamkeit. Hervorragend hatte sich der Dirigent Berislav Klobucar in die Besonderheiten der Busoni-Musik eingefühlt und durch seine Persönlichkeit in erster Linie zum guten Gelingen der Realisierung dieses nicht leichten Werkes beigetragen. Die Bühnengestaltung Wolfram Skalickis kommt den Intentionen des Komponisten, der auch hierin seiner Zeit vorausgeeilt war, sehr entgegen: Busoni hatte — lange vor Brecht — von der Oper verlangt, sie solle eine „Scheinwelt“ schaffen, der der Zuschauer sich nicht wie einem Erlebnis hingeben möge. Diese antiillusionistische Distanz kennzeichnet die Dekorationen, sie ist aber auch Ausgangspunkt der Inszenierung durch Robert Casapiccola; er stilisiert das Geschehen, wo es nur möglich ist, und hält die Darsteller deutlich von der Identifikation mit ihren Rollen fern. Diese geht natürlich auf Kosten des Bühnenzaubers, den Casapiccola nur sparsam verwendet, obwohl das Libretto ihm einen breiteren Spielraum zugestand. In Rudolf Constantin steht für den Faust ein Sänger zur Verfügung, der den Anforderungen der Partie mit seinem hellen Bariton stimmlich zwar entspricht, aber als Darsteller ihnen nicht gewachsen ist. Sehr bemüht ist Claude Hector als Mephi-stopheles, eindrucksvoll Stefka Todorowa in der einzigen weiblichen Rolle.

Weniger erfreulich war der Beginn im Schauspielhaus. So sehr es zu begrüßen ist, daß Grillparzers „Treuer Diener seines Herrn“ als Auftakt für Haberlands Ostzyklus gewählt wurde, so wenig konnte man sich mit der ausgesprochen schwachen Inszenierung Rudolf Kauteks (dem die schwere Bürde des Obenspilell eiters nach einem Fritz Zecha zugefallen ist) einverstanden erklären, es zeigte sich dabei, wie schwer gerade dieser Grill-parzer eiuf der Bühne wiederzugeben ist und wieviel Erfahrung zu diesem Unterfangen gehört. Bei der Premiere fehlte es an Sprechdisziplin, an Gebärden- und Bewegungsregie, vor allem aber wurde der Mangel eines Konzepts fühlbar, das Kauteks Inszenierung über Provinzniveau hinausgehoben hätte. Wäre nicht der prachtvolle Helmut Ebbs gewesen — eine geradezu ideale Verkörperung des Bancbanus —, man hätte diesen Abend als verloren betrachten müssen.

Weit besser ging es anderntags der deutschsprachigen Erstaufführung des Dramas „Der Gerechte“ von dem kroatischen Autor Mirko Bozic. Das Stüde spielt in Jugoslawien während des letzten Krieges, ist aber nicht eigentlich ein „Kriegsstück“. Der Richter eines kleinen Ortes wird vom deutschen Kommandanten gezwungen, eine von zehn Geiseln als den „Schuldigen“ an der Ermordung eines deutschen Offiziers zu bezeichnen. Aus dieser Extremsituation entwickelt der Autor ein fesselndes Problemstück, das die Frage nach Schuld und Unschuld in spannender Form untersucht. Daß es bei dieser Konstruktion mitunter etwas krampfhaft zugeht, stört nicht weiter, da das Stück (Regie Rolf Hasselbrink) brillant gespielt wird, und der Hauptdarsteller Horst Faber tiefen Eindruck hinterläßt.

Auf der Probenbühne des Schauspielhauses hat sich in dankenswerter Weise eine Art „Studio“ installiert, das sich die Pflege moderner, experimenteller Stücke angelegen sein lassen will. Den Anfang machten zwei Einakter des Linzer Dramaturgen Hans Heinrich Formann: „Manuel und die Giraffen“ weist den Autor als Pazifisten aus, zeigt viel gute Absicht, erstickt aber in allzuviel und noch dazu ungeschicktem Gerede; der zweite — ,JEtagen-vögel“ — ist eine kurze Groteske mit ein paar skurrilen Einfällen, möchte gern ionesconisch tun, und ist doch meilenweit von der schwächsten Farce des Franzosen entfernt

Bezaubernd belanglos ist eine Komödie der Amerikanerin Jean Kerr mit dem Titel „Nie wieder Mary“: kein dramaturgisches Meisterstück, nur mittlerer Pointen-reichtum, aber hinreißend gespielt von Gerti Poll und Rudolf Buczolich. Regie: Klaus Gmeiner.

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