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Bekenntnis zum Humanen

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Höhepunkt des „Steirischen Herbstes“ war die Uraufführung von Rudolf Weishappels „Stück mit Musik“: „Die Lederköpfe“ in der Grazer Oper. Er schrieb das Werk nach Georg Kaisers Ende der zwanziger Jahre entstandenem prophetischen Erfolgsdrama. Für Weishappel schien vor allem der „flammende Protest gegen jede Art von Diktatur und gegen die Verletzung der Würde des Menschen, wie sie jede Diktatur zwangsläufig mit sich bringt“, aktuell. Nicht von ungefähr! Er ist zutiefst Humanist, ein Kämpfer für Ethos und Freiheit. Und selbst wenn es um das Wort in der Oper geht, will er nicht oktroyieren: Musik und Wort sollen vielmehr eine natürliche Einheit ergeben.

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Höhepunkt des „Steirischen Herbstes“ war die Uraufführung von Rudolf Weishappels „Stück mit Musik“: „Die Lederköpfe“ in der Grazer Oper. Er schrieb das Werk nach Georg Kaisers Ende der zwanziger Jahre entstandenem prophetischen Erfolgsdrama. Für Weishappel schien vor allem der „flammende Protest gegen jede Art von Diktatur und gegen die Verletzung der Würde des Menschen, wie sie jede Diktatur zwangsläufig mit sich bringt“, aktuell. Nicht von ungefähr! Er ist zutiefst Humanist, ein Kämpfer für Ethos und Freiheit. Und selbst wenn es um das Wort in der Oper geht, will er nicht oktroyieren: Musik und Wort sollen vielmehr eine natürliche Einheit ergeben.

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Diese Überlegung hat ihn besonders eigenwillige Wege gehen lassen: Fast den ganzen ersten Akt wird nur gesprochen, eine merkwürdige, knarrende, stelzende Sprache. Erst mit dem Auftritt des Basileus, des Diktators, setzt Musik ein: spröde, kalte Machtansprüche charakterisierende Musik in Zwölftonreihen. Melos, unirdisch klar und durchsichtig, ist nur den Humanen in dieser Welt politischer Vergewaltigung des Individuums zugestanden, so der schönen, edlen Tochter des Basileus, und dem ihr zugedachten Gatten, einem Fddhauptmann, der sich um des Sieges willen das Gesicht grauenvoll verstümmelt und nun einen Lederkopf trägt.

Die Uraufführung in der Grazer Oper hatte hohes Niveau: Gottfried Neumann-Spallart entwarf zwei kubi-stische Bühnenbilder von erschrek-kender Glattheit, Räume, die von 1940 stammen könnten. Sie stehen in scharfem Kontrast zu den klar-linigen, farblich eleganten Kostümen. Hans Hartleb führte Regie. Massen weiß er suggestiv zu gruppieren Auftritte des Tyrannen und seiner Handlanger in aufdringlicher Großspurigkeit und Aufgeblasenheit vorzuführen.

Berislav Klobuöar betreute Sängerensemble und Philharmoniker sorgfältig, arbeitete die schwierigen Details sehr exakt heraus. Unter den Protagonisten gefiel vor allem die junge Margareta Kyriaki als Tochter des Basileus. Eine ebenso schöne Frau wie sie über eine kultivierte Sopranstimme verfügt. Der Amerikaner Richard Arnes sang die Partie des Basileus: schwierige Reihengebilde, an denen sich sein schwacher Tenor verausgabte. Hans Laettgen überzeugte als Feldhauptmann, Fritz Holzer gab sich als Stadthauptmann komödiantisch. Das Publikum stellte sich nach dem Schock dieser harten Aufführung mit großem Uraufführungsjubel ein.

Ebenfalls uraufgeführt wurden im Grazer Schauspielhaus György Lige-tis „Aventures & Nouvelles Aventures“ in der Bühnenfassung, von der sich der Komponist freilich erneut distanzierte, weil ihm die Zusammenhänge zwischen akustischen Ereignissen, Gestenspiel und szenischer Inszenierung zu vordergründig, zu wenig entsprechend erschienen.

In der Reihe der zwölf „Musik-protokoll“-Konzerte mit 21 Ur- und 19 Erstaufführungen interessierte besonders eine öffentlich zugängliche Produktionsaufnahme, in der nach Workshop-Art „Complexiones“ (1970) des Fortner-Schülers Wilfried Michels und „Isondc I“ von Marc Antonio Consoli, einem Schüler Kre-neks, geprobt und für den ORF aufgenommen wurden. Vor allem Michels Stück sollte man häufiger präsentieren: Es ist eine klare, durchsichtig gearbeitete Studie, in der Zerstörungs- und Aufbauprozesse einheitlichen Materials miteinander verflochten sind, was überhaupt zu den immer wieder zu neuen Versuchen anregenden Arbeitsproblemen experimenteller Musik zählt. Consoliis Stück erwies sich dagegen als schicke Modemache mit viel Effekthascherei. Wichtig für die Zuhörer war, daß man dank des Dirigenten Peter Keuschnig sachlichen Probenarbeiten mit seinen „Kontrapunkten“ sehr genau die Aufführungspraktiken und Schwierigkeiten der Produktdon verfolgen konnte. Im Rahmen der „Kapfenberger Kulturtage“ wurde übrigens Darms Mühauds „Musique pour Graz“, ein ungemein wohlklingendes, satztechnisch feto austariertes Opus, uraufgeführt, dessen Satzbezeichnungen eine Huldigung In Art eines Akrostichons ergaben: ein elegantes, virtuoses Kammerstück für neun Instru-mentalisten, wenn auch in der Kompositionstechnik eher retrospektiv, resümierend, so doch eine Delikatesse für Kenner. Dürftig wirkte die Uraufführung der Auftragskompositton „Triga einer chromatischen Leiter“, an der Boris Blacher, der Japaner Sesshu Kai und der Indonesier Paul Gutama Soegijo je einen Satz beisteuerten: ein langweiliges chromatisches Getändel mit Klangflächenspielereien und viel Meditation zwischendurch. Wichtiger schienen uns Franz Koringers „Linien“, eine spannungsgeladen aufgebaute Schichtenpiece mit viel Dynamik.

In der Reihe des „Edgar-Varese“-Minifestivals hörte man seine wichtigsten Kompositionen, allerdings in sehr unterschiedlicher Wiedergabe. Nur wendige davon entsprachen dem expressiven, hartkonturdgen Charakter: Das Collegium musicum instrumentale unter Max Haider etwa nahm in seiner Wiedergabe des „Octandre“ dem Stück alle statistische Genauigkeit, ebenso der Grazer Akademiekammerchor unter Karl Ernst Hoffmann, der mit „Ecuatorial“ wenig anzufangen wußte. Vor allem, es wurde da kaum klar, warum Varese noch heute Außenseiter der Musikgeschichte ist, was ihn von seinen Altersgenossen Bar-t6k, Webern, Strawinsky trennt: die scharfe Unkonzdlianz, hart zupackende Aggressivität, die Aussparung des Sentiments zugunsten betont statistischer und technischer Momente. Daß die meisten Jungen für ihre oft etwas verwaschenen Partituren bei ihm viel lernen können, steht außer Frage.

Wenig ergiebig war übrigens ein Konzert des Orchesters der Radio-televizija Ljubljana unter den Dirigenten Samo Hubad und Vinko Glo-bokar. Gleich vier Musterbeispiele musikalischer . Pseudoavantgarde wurden da beschert. Charakteristikum: übertriebene dramatisch-expressive Malerei, der Aufwand an großen Gesten, die erbarmungslose Ausschrotung von Effekten. Einfach nicht wert aufgeführt zu werden ist Slavko Osterc' „Mouve-ment symphonique“ von 1936. Chromatische Reihen dienen als Material, aus dem Osterc banale Mdnikantile-nen schält. Sie werden in solistischer Verpackung sentimental-modischen Orchesterpassagen gegenübergestellt. Im ganzen: ein härm- und charmeloses verkapptes Concerto. Osterc Schüler, Primoz Ramovs, war mit einem dreiteiligen, recht theatralischen Flötenkonzert vertreten, in dem der Wettstreit zwischen dem Solisten — hier dem virtuosen Fedj'a Rüpel — und dem Orchester immer wieder zu Farbexplosdonen führt. Was dieser hektischen Piece fehlt, ist streckenweise Ruhe, Sammlung, Reflexion über das Material. Marek Stachowskis „Irisation 1969 bis 1970“ entstand als ORF-Auftragswerk. Drei viel zu lange Sätze lang probiert Stachowski Spannungs- und Entspannungsverhältnisse aus. Das Resultat wirkt recht exaltiert. Mühsam aufgebaute Steigerungen zerfallen ahm unter den Händen. Und Klänge irisieren zu lassen ist, weiß Gott, nicht stück- und abendfüllend. Das weiß auch Penderecki, Sta-chowskys Lehrer, seit seinen „Fluorescenses“.

Wert fürs Musdkrepertodre protokolliert zu werden, ist lediglich Vinko Globokars „Etüde pour folklora II“ von 1968, in der Versdon für großes Orchester. Was ihm so alles in Paris an jugoslawischer Folklore einfiel, wurde hier kunstvoll verflochten: Tänzerisches, klingende Deformationen, Mikrototervalltechnik, auch die Art „primitiver“ Kontaktnahme in der volksmusikalischen Imitation und Improvisation sind mit ungemein delikatem Geschmack verarbeitet. Es ist eine Komposition aus feinst nuancierten Farben und Strukturen.

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