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Bregenzer Festspiele 1954

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Die Bregenzer Festspiele 1954 brachten drei künstlerische Höhepunkte verschiedener Art: den „Hamlet" des Wiener Burgtheaters, Beethovens „Neunte", vermittelt durch die Wiener Symphoniker, und die Bekanntschaft mit dem Pariser Ballett Janine Charrat.

Der Bregenzer „Hamlet" holte aus dem einzigartigen Werke das Aeußerste heraus. Albin Skoda bot in der Titelrolle eine Vollendung, die einer Steigerung nicht mehr fähig gewesen wäre. Ein Teil der Kritik glaubte eine gewisse Einheitlichkeit der Aufführung vermissen und feststellen zu dürfen, daß jeder der Hauptrollenträger sein eigenes Spiel spiele. Der Vorwurf kommt allerdings um volle vier Jahrhunderte zu spät; er hätte William Shakespeare gemacht werden müssen. König Claudius, Königin Gertrude, Polonius, Ophelia, Horatio oder der Erste Schauspieler, vielleicht auch der Erste Totengräber, sind weit mehr als Rahmen um den Helden, sie sind Persönlichkeiten von gewaltigem Zuschnitt und können deshalb nur von ersten Meistern der Schauspielkunst widergegeben werden. Wenn wir Vergleiche mit Ewald Balsers „Othello" vom Vorjahr anstellten — diesmal gab Balser den Claudius —, so war es höchstens das Bedauern darüber, daß dieser Künstler nunmehr im Schatten der stärkeren Rolle des Hamlet stand. Dieselbe Beobachtung konnte man bei Raoul Aslans König im Spiele machen. Der Eindruck des vorjährigen „Othello" wurde noch weit Überboten.

Das Wiener Burgtheater wird die heurigen Festspiele mit Bernard Shaws Komödie „Der Kaiser von Amerika" abschließen; der Vergleich des Ersten Schauspielers mit dem ebenfalls von Raoul Aslan repräsentierten König Magnus wird dankbar sein.

Die musikalische Gipfelleistung war die IX. Symphonie von Ludwig van Beethoven. Ueber die Schöpfung zu sprechen, ist ebenso überflüssig wie über die Interpretation durch die im Geiste des Meisters wandelnden Wiener Symphoniker. Das schwierige Werk dem Hörer im vollen Sinn des Wortes offenbart zu haben, ist das Verdienst des Dirigenten Generalmusikdirektors Ferdinand Leitner. Die eigentliche große Ueberraschung — und hier darf ein wenig der Bregenzer Lokalpatriotismus, der ansonsten während der Festspiele zu verstummen hat, mitsprechen — war der Bregenzer Festspielchor. Dr. Wilhelm Schosland hat aus seinen Kräften viel herausgeholt und es ermöglicht, daß sein Chor neben den Wiener Symphonikern in Ehren bestehen kann. In aller Stille ist hier ein Chor entstanden, der sich vor der Hörerschaft vieler Länder zeigen darf.

Wir hörten die Wiener Symphoniker ein zweites Mal unter Volkmar Andreae in einem Programm aus Cherubin Schumann und Bruckner, dessen VI. Symphonie den allertiefsten Eindruck machte, sowie zum drittenmal in der Matinee, die heuer zum erstenmal der Oper, nicht der Operette gewidmet war und daher an Tiefe gewann. Vom sonstigen musikalischen Programm seien der Schubert-Abend des Konzerthausquartetts und das Konzert des Straßburger Domchors mit besonderer Anerkennung erwähnt. Als Schauplatz der Serenaden war diesmal nicht nur die Bregenzer Oberstadt ausersehen, sondern auch die Schattenburg und der Marktplatz in Feldkirch. Wieder ist es gelungen, den Raum in den Dienst der Festspiele zu stellen und Möglichkeiten zur Verbindung akustischer und optischer Eindrücke auszuschöpfen.

Die eigentliche künstlerische Ueberraschung der Bregenzer Festspiele war das Ballett Janine Char- rat aus Paris. Wir haben es zum erstenmal bei der Seeaufführung geschaut und glaubten damals feststellen zu können, daß es den Walzer „An der schönen blauen Donau" im Wiener Stil tanzen könne. Vier Tage später wußten wir, daß sich Janine Charrat zur klassischen Wiener Tanzkunst verhalte wie die Nacht zum Tage. Was in Wien sanfte Linie ist, ist in Paris harte Kontur und schar-fer Schnitt der Formen. Man hat den Unterschied auch so zu deuten versucht, daß Wien den Stil vor dem ersten Weltkrieg tanze, Paris aber das Erlebnis der letzten Jahrzehnte zu den strengen Formen der Zukunft verarbeite. Darum machte auch keine der Leistungen der Pariser Gäste einen so dämonischen Eindruck wie der „Tod des Herakles", wobei es gelang, die ganze Härte der antiken Schicksalstragödie in tänzerische Form zu bannen.

Das große Schaustück der Bregenzer Festspiele ist nach wie vor das Spiel auf dem See. Die Wahl war heuer auf „Die Fledermaus" gefallen. Zweifellos trägt Johann Strauß’ berühmte Operette phonetisch, auch zeigt sie dem Bühnenbildner, dem die breite Seebühne zur Verfügung steht, allerlei Wege; der „Hauptakteur" aber, der See, kam ein wenig zu kurz. Wir freuen uns bereits auf das nächste Jahr, da „Eine Nacht in Venedig" wieder die Möglichkeit bieten wird, das Wasser mit seinem Farbenzauber bühnenwirksam zu machen.

Im Rahmen der Festspiele wurden in Bregenz drei Ausstellungen geboten. Das Landesmuseum führte in die Kunstgeschichte Vorarlbergs und vereinte Werke vbn Moritz und Jörg Frosch, Welf Huber und Angelika Kaufmann. Aus dem Privatbesitz der Hohenemser Grafen und der Familie Schwerzenbach kam viel ans Tageslicht, was sonst der Oeffentlichkeit verborgen bleibt. Verschiedene Totentafeln der beiden Frosch, vor allem das herrliche Rosenkranzbild, lohnten allein die Fahrt nach Bregenz.

Die neue Kunstgalerie im Thurn-und-Taxis- Palais gab einen Ueberblick über das gegenwärtige Vorarlberger Kunstschaffen und gewährte auch der abstrakten Moderne Raum.

Eine erfreuliche Ueberraschung war die Briefmarkenausstellung, die sich weit über ihren engeren Zweck in das Gebiet der Kulturgeschichte erhob.

Der Beginn der Bregenzer Festspiele fiel glücklicherweise mit dem Einsetzen schönen Wetters zusammen, so daß die Stadt am Bodensee sehr bald der Treffpunkt aller Völker des mittleren ‘und westlichen Europa wurde. Trotz Verschiedenheit der Sprache fanden sie sich jeden Abend um österreichische Kunst, für die Vorarlberg die Brücke nach dem Westen geworden ist.

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