6749949-1967_23_14.jpg
Digital In Arbeit

Dalibor“ und „Sache Makropulos

Werbung
Werbung
Werbung

Smetanas „Dalibor“, vom Staatstheater Brünn in der Volksoper präsentiert, ist ein typisches Beispiel der Kategorie „heroisch-pathetische Nationaloper“ des 19. Jahrhunderts. So bewegt auch die Geschichte vom legendären Raubritter Dalibor im Original ist, stellt sie sich im Werk Smetanas — trotz der Lizitation in die Höhen des Freiheitsepos — doch als höchst undramatische Aktion dar, als Kostümoper, in der am ehesten die breit ausschwingenden lyrischen Momente und die impetuosen Chorsätze überzeugen.

Um so mehr muß man natürlich bei der Beurteilung der Wiedergabe die stets problematisch, weil nicht ganz logisch wirkende Handlung und die schwer zu kaschierende seichte Dramatik berücksichtigen, die jedem Regisseur eine packende Inszenierung erschweren: Immerhin, MiloS Wasserbauer ging in seiner Regie primär von den Auftritten Miladas und Dalibors aus, führte deren Szenen straff, gab ihnen Farbe, Leidenschaftlichkeit, Fluidum. Nicht minder gefielen und beeindruckten die musikalisch und in der Aktion großzügig angelegten Chorpartien. Recht schwerfällig, weil zu sehr grau in grau und im Einheitsbühnenbild Vojtech Stolfas zu phantasiearm muteten hingegen die Thronszenen mit König Wladislaw und die unorganisierte Schlacht im Finale des dritten Aktes an.

Musikalisch hatte die Aufführung absolut Niveau: FrantiSek Jilek, ein solider Schlagtechniker, der die Kontakte zur Bühne mit akkuraten Markierungen sichert, leitete das Orchester des Staatstheaters Brünn sauber, auf kräftige Konturen und herbe koloristische Valeurs bedacht und hielt es in den ausladenden lyrischen Passagen zu sattem Streicherklang an. Unter den Protagonisten fiel speziell Nadezda Kniplova auf, ein dramatischer Sopran mit großem Volumen und Heroinentitnbre, das sich allerdings in den Lyrismen als nicht genügend geschmeidig erwies. Vilem Pfibyl blieb dem anspruchsvollen Titelpart, von ein paar gepreßt klingenden Einsätzen in der hohen Lage abgesehen, kaum etwas an Intensität des Ausdrucks und tenoraler Glanzentfaltung schuldig. Jaroslav Soucek war von der Rolle des Königs Wladislaw II. entschieden überfordert. Die übrigen Beteiligten, vor allem die männlichen, erfüllten die stimmlichen Anforderungen teilweise noch akzeptabel, teilweise bereits wenig befriedigend.

Nach der bäuerlichen Tragödie „Jenufa“ schrieb Janäcek die burlesken „Abenteuer des Herrn Brouöek“, nach „Katja Kabanova“ folgte „Das schlaue Füchslein“ und darnach, vor seiner letzten Oper „Aus einem Totenhaus“ nach Dostojewsiky, „Die Sache Makropulos“. Sie wurde in den Jahren 1923—25 komponiert und, wie die meisten Janäcek-Opern, in Brünn uraufgeführt. Ein Brünner Ensemble brachte, mit mehr als vierzigjähriger Verspätung, das merkwürdige Werk nun auch nach Wien.

Man ersieht aus der oben angeführten Reihe, daß der große mährische Komponist an gewissen Punkten der Entwicklung seinen bizarren Neigungen nicht widerstehen konnte. Janäceks vulkanisches Temperament entzündete sich wiederholt an ungewöhnlichen Stoffen. Hier war es der Fall der Emilia Marty — alias Eugenia Montez, Elian Mac Gregor, Else Müller, Ekaterina Mys-kin, ursprünglich Elina Makropulos, die die Tochter des Leibarztes und Alchimisten Makropulos am Hof Kaiser Rudolfs II. war und an der ein das Leben um 300 Jahre verlängerndes Elixier ausprobiert wurde. Das erfährt man in der Tragikomödie Karel Capeks, nach der Janäcek seine Oper schrieb, erst am Schluß. Vorher gibt es, zweieinhalb Akte lang, Dialoge und Streitereien über komplizierte Erbschafts- und Familienangelegenheiten. Der Heldin Emilia Marty, die unter verschiedenen Namen drei Jahrhunderte lang als Schauspielerin gelebt hat, kommt es darauf an, in den Besitz eines bestimmten Testaments zu gelangen, da an dieses das Geheimrezept zur Verlängerung des Lebens angeschlossen ist. Aber im letzten Augenblick verzichtet Emilia Marty darauf, und die junge Kristine, die Tochter des Solizitators Vitek, verbrennt feierlich die Papiere, die niemand haben will. Denn „das Leben, die Liebe und der Ruhm sind schön, weil sie kurz und vergänglich sind.“

Das war eine These nach Janäöeks Geschmack und sehr wohl geeignet, einen faszinierenden Opernstoff abzugeben. Davon war der Komponist so gefesselt, daß er ein trockenes Konversationsstück mit einer innerlich bewegten, farbigen und eigenwilligen Musik ausstattete, deren leidenschaftliche Ausbrüche und Kaskaden man nur bewundern kann. Gleich das Vorspiel mit seinen Bläserfanfaren (das sich unsere Konzertdirigenten bisher konsequent entgehen ließen) macht aufhorchen, und der Hörer ist von der Meisterschaft dieser zugleich leidenschaftlichen und asketischen Musik fast drei Stunden lang, -bis zum Schluß gefesselt, obwohl Arien und traditionelle Ensembles absolut fehlen.

Der Hörer also kommt voll und ganz auf seine Rechnung, der Zuschauer weniger. Da konnten auch die modernistischen Bemühungen von Milos Wasserbauer (Regie) und Frantisek Tröster (Bühnenbilder und Kostüme) nicht viel helfen. — Nadezda Kniplova überragt — und übertönt — wie die Gestalt, die sie verkörpert, alle ihre Mitspieler. Ihre ungemein kräftige Stimme mit trompetenartiger Höhe kommt im Format fast dem einer Birgit Nilsson gleich. Ihr pausenloser Einsatz war ebenso zu bewundern wie dramaturgisch zu beanstanden; das gleiche gilt von dem nur wenig modulierten Forte ihres Vortrags. Sie konnten nichts dafür, die Herren Hlavsa, Kurfürst, Tucek, Veverka, Halir und die hübsche junge Jindra Pokornd, daß sie neben der Kniplova als 300jährige Diva verblaßten. — Klangschöne, starke und differenzierte Emotionen holte Frantisek Jilek, der ein ausgezeichneter Janäcek-Kenner zu sein scheint, aus dem anfangs etwas nervös, aber stets intensiv und tonschön spielenden Orchester.

Bedenkt man die ungewöhnliche Aktion, ihre unbeholfene Dramatisierung und die fremde Sprache, in der uns die Sache Makropulos vorgetragen wurde, so kann man sagen, daß der Applaus nach den einzelnen Akten und am Schluß der Aufführung mehr als nur einen Achtungserfolg bestätigte.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung