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Dantons Tod

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Der Worte wurden viel gewechselt, von berufener, vielleicht noch mehr von unberufener Seite, ehe zur Tat geschritten werden konnte. Als die Öffentlichkeit erfuhr, daß man die sechsundzwanzigjährige Tradition der Festspiele durchbrechen wolle und die Oper eines jungen österreichischen Komponisten zur Welturaufführung gelangen würde, erhob sich ein Sturm der Entrüstung bei jenen, denen alles Neue mißfällt, die glauben, daß damit die Überlieferung entweiht werde, denn nur die Musik von Gluck bis Richard Strauß ist ihrer Ansicht nach „festspielwürdig“; die andere Seite nahm die Nachricht mit Beifall auf, zugleich aber setzte bis kurz vor der Aufführung eine Flut von Vorberichten und Sensationsmeldungen ein, die nicht allein dem Ruf des Komponisten, sondern auch seinem Werk hätten abträglich werden können. So erfreulich die Tatsache auch ist, daß in unserer kulturarmen Zeit eine neue Oper, von der man eine richtungVeisende Entwicklung “der modernen Musik erwartet, gerade von einem österreichischen Komponisten der Welt geschenkt wird, so scheint es doch unangebracht, daß die österreichische Presse, die ja auch eine kulturelle Aufgabe in unserem Lande zu erfüllen hat, sich einer Scnsationshasdierei befleißigte, die wir sonst als unösterreichisch ablehnen. Es ist fast als ein Glück zu bezeichnen, daß es durch theoretische Analysen nicht gelang, das Werk vor der Geburt zu “Tode zu sezieren. Schließlich ging die Aufführung in einem würdevollen Rahmen als ein wichtiges musikalisches Ereignis vonstatten, wurde zu einem tiefwirkenden Erfolg, der seine Strahlungen über die Festspiele hinaussenden wird — schon haben eine Reihe namhafter Opernhäuser „Dantons Tod“ angenommen —, aber die „Sensation“ blieb glücklicherweise aus.

Noch können wir nickt von Erfüllung sprechen, noch ist der endgültige Weg nicht gefunden, aber Gottfried Einem hat gezeigt, daß es die Möglichkeit gibt, vns von dem engbegrenzten Begriff „Oper“ zu befreien und ein „Musiktheater“ zu entwickeln, wie es Wagner-Regcny nennt, das wegstrebt von dem Musikdrama Richard Wagners und von seinen Nachfolgern, deren letzter Richard Strauß ist. Daß Einem das Drama „Dantons Tod“ von Büchner als Vorwurf wählte, ist kein Zufall, denn ebenso wie dem Dichter kommt es ihm nicht auf Schönheit oder Häßlichkeit in der Kunst an, sondern einzig auf die Möglichkeiten des Daseins, auf blutvolles Leben, wie man es bei Goethe und Shakespeare findet. Gleich dem Drama Büchners, das ein zeitloses Dokument menschlicher Verirrungen darstellt, wird die Musik, die aus unserem Chaos herausgewachsen ist, zu einem Sinnbild unserer Zeit. Die französische Revolution, die um die Freiheit der Menschen kämpfte, aber in einem Meer von Blut versank, und unsere Sehnsucht nach neuen Menschenrechten, die von Hoffnungslosigkeit überschattet ist, schmolzen zu einer Einheit zusammen; darum hat das Werk uns gepackt. Gottfried Einem und sein Lehrer Boris Blacher haben aus den 29 Szenen des gewa'-igen Dramas von Georg Büchner durch Raffung und Verdichtung das Textbuch mit sechs Bildern in zwei Teilen gestaltet. Diese Straffung gibt dem Büchnerschen Drama eine Eindringlichkeit, Erhöhung und Leidenschaftlichkeit der Gefühle, die bei dem Zerfall in viele kleine Szenen verloren zu gehen drohen, wie man es bei der jüngsten Aufführung im Burgtheater deutlich verspürte. Auf die gleiche Ebene ist die Musik Gottfried Einems gehoben. Er führt mit seiner Komposition eine völlige Trennung von dem Begriff der großen und romantischen Oper mit all ihren Requisiten, der Arie, der Einheit von Wort und Ton, der thematischen Beziehung zwischen Stimme und Orchester durch. Gleichstellung, nicht Unterstellung von Orchester und Stimme geben der dramatischen Entwicklung den Impuls, denn durch dieses Nebeneinander wird die Charakteristik der Instrumente selbst dramatisch genutzt. Durch diese Zweiteilung folgt die Stimme dem Dichterwort, seinem Rhythmus und seiner Melodik, bleibt also Ausdruck der rein persönlichen Gefühle, während das Orchester und der elementar im Vordergrund stehende Chor die Handlung der Stimmen selbständig erlebt. Jede Szene hat ihr eigenes Themenmaterial, wobei aber der Stimmungsgehalt und nicht die Themen oder Motive den Ausdruck entscheiden; es gibt daher auch keine Leitmotive und keine Wiederholungen. Die Regeln der Kompositionslehre werden mit erstaunlichem Können angewendet: die Fuge, der Kontrapunkt und der Kanon sind bei genauer Durchdringung des musikalischen Aufbaues in dem scheinbar nur von Dynamik und Rhythmus getragenen Grundzug der Oper erkennbar.

Die Ouvertüre bereitet die Grundstimmung des Werkes vor; voll innerer Spannung, die sich nicht löst, bricht sie in harten Dissonanzen ab. Im ersten Bild tritt bei den Worten Dantons: „Die Statue der Freiheit ist noch nicht gegossen, der Ofel) glüht“, auch das Jazz-Element deutlich hervor. Von breiten Chorsätzen wird das zweite Bild beherrscht, das den dramatisch wirksamen Auftritt Robespierres und seinen Zusammenstoß mit Danton bringt; kein lyrischer Farbton läßt Zeit zur Entspannung, die Leidenschaftlichkeit des musikalischen Geschehens treibt unbarmherzig weiter bis zur Szene zwischen Camille und Lucile, die als Ritardando die Dramatik ruhevoll unterbricht. Im zweiten Teil der Oper nimmt der Chor immer steigend an der zur Katastrophe eilenden Handlung teil. Wenn in der Tribunalszene die bis zur höchsten Ekstase geführte Musik in Chor und Orchester kaum mehr an eine weitere Steigerung glauben läßt, so findet noch die Gesangstimme einen erschütternden Höhepunkt, der in den Worten Dantons: „Ich sehe großes Unglück über die Menschen hereinbrechen. Das ist die Diktatur“ ausbricht. Das ist auch der Augenblick, in dem man mit grausamer Klarheit die Zeitnähr des Dramas fühlt. Als unheimliches Symbo' ragt im Hintergrund des letzten Bildes das Gerüst der Guillotine auf, vor der die Volksmassen mit der Carmagnole den Freiheitsruf der zum Tode verurteilter Revolutionäre, die Marseillaise, ersticken Lyrisch, doch ohne die Stimme der Hoffnung, klingt die Oper aus, wenn Lucile ir wohltätiger Umnachtung klagend die alte Volksweise vom Schnitter Tod singt.

Die Leistung der nachschaffenden Kunst ler war für den Erfolg von ausschlaggeben der Bedeutung. Mit souveränem Schwung, überragender Musikalität und minutiöse! Präzision meisterte Fcrenc Fricsay die Schwierigkeiten der ständig wechselnden Rhythmen. Der Chor der Wiener Staatsoper, der die außergewöhnlichen Anforderungen durch Stimmreinheit und Exaktheit in bewegtem Spiel voll erfüllte, muß an der Spitze der gesanglichen Leistungen genannt werden. Oscar F. Sdiuh hat als Regisseur das theatralische Kunstwerk von der üblichen Opernform weg zu neuer realistischer Gestaltung des musikalischen Theaters geführt, wobei ihn Caspar Neher mit seinen düsteren, ins Weite gehenden Bühnenbildern sehr wirkungsvoll unterstützte. Von den Hauptträgern des dramatischen Geschehens: Paul Schöffler — Danton, Julius Patzak — Camille, Josef Witt — Robespierre, Ludwig Weber — St. Just, Herbert Alsen — Hermann, Maria Cebotari — Lucile bis zur kleinsten Episodenrolle waren alle von ihrer Aufgabe erfüllt, und die verschiedenartig gefärbten schönen Stimmen erblühten in voller Pracht über dem bunten Gewehr der instrumentalen Musik.

Das Werk Einems läßt in seiner Konzeption und künstlerischen Anlage die starken Impulse einer bedeutenden Begabung klar erkennen.

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