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„Dantons Tod“ und „Stundenlied“

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In der soeben erschienenen Biographie „Gottfried von Einem“ analysiert der Wiener Musikkritiker Dr. Dominik Hartmann die Gründe und Motive, die den auffallenden Erfolg der Oper „Dantons Tod“ bewirkt haben. (Seit ihrer Uraufführung in Salzburg, 1947, ist die Oper Einems an 35 Bühnen aufgeführt worden.) Da war, als erster „Glücksfall“, die Entdeckung des Büchner-schen Dramas als Operntext durch Gottfried von Einem und seinen Lehrer Boris Blacher. In dieses konnte der junge Komponist alles einströmen lassen, was ihn während der schicksalsschweren Jahre — die Niederschrift der Partitur begann 1944 — erregt und bedrückt hatte. Zugleich besaß der Büch-nerscha Text jene distanzierende Aktualität, die es erlaubte, Gegenwart und Vergangenheit zu synchronisieren. Und schließlich sprach er, als sein Werk erschien, alle jene vielen an, die nach einem Sinn, einer Deutung des Erlebten und Durchlit-tenen suchten. — Der andauernde Erfolg, die „Aktualität“ des Werkes, ist aber so lange gegeben, wie die Schatten der Vergangenheit hervordrängen und vom Blut der Lebenden trinken wollen, um in die Gegenwart zurückzukehren. Ihnen ist nur mit dem „Schwert des Geistes“ entgegenzutreten ... Als ein solches „Schwert“ kann die Oper „Dantons Tod“ gelten. Soweit das „Glück“, das der Komponist hatte. Sein Verdienst ist es, eine von echter Dramatik erfüllte Oper geschrieben zu haben, deren eigenwillige Sprache heute noch ebenso fesselt wie vor 20 Jahren und die als Ganzes wie im Detail das kompositorische „bien fait“ erkennen läßt. (Hierüber wurde an dieser Stelle nach der Salzburger Premiere, nach der Übersiedlung dieser ersten Inszenierung ins „Theater an der Wien“ Anfang November 1947 und nach der Neuinszenierung während der Wiener Festwochen 1963 ausführlich berichtet.)

Ohne die Regiekünste von Schuh und Schenk abzuwerten, muß doch festgestellt werden, daß die letzte Inszenierung von „Dantons Tod“ am vergangenen Donnerstag durch den Frankfurter Intendanten Harry Buckwitz die eindrucksvollste war. Natürlich kam dem Werk und seiner authentischen Wiedergabe sehr zustatten, daß hierfür die große Bühne und die künstlerische Kapazität der Wiener Staatsoper zu Verfügung standen. Die Philharmoniker und der von Norbert Baiatsch einstudierte Staatsopernchor, Joseph Krips als Leiter der Aufführung, die Solisten Eberhard Wächter (in der Titelrolle! William Blanship, Kurt Esquihiz. Helmut Melchert (als Gast aus Berlin in der Rolle Robespierres), Tugo-mir Franc, Gerd Nienstedt, Peter

Klein, Gertrude Jahn, Lisa Deila Casa, Laurence Dutoit. Elisabeth Höngen u. a. bildeten ein Ensemble, wie es kaum ein anderes Opernhaus zur Verfügung hat.

Vielleicht waren zwei Bühnenbilder Theo Ottos und einige Kostüme Ronny Reiters zu „schön“. Aber die offenen Plätze —der vor der Con-ciergerie und der Revolutionsplatz — sowie Gefängnis und Tribunal waren von faszinierender Echtheit, obwohl der Regisseur der „Folklore“ weitgehend ausweichen wollte und sich eine „lapidare Bühne“ wünschte. Nie war diese von den sinnvoll bewegten und übersichtlich gegliederten Menschenmassen verstopft. Auch die Solisten verstand Harry Buckwitz ohne Effekthascherei und trotzdem

unkonventionell zu führen. Ebenso dankbar sind wir dafür, daß die Hinrichtung Dantons, Desmoulins und de Sechelles nicht auf offener Bühne stattfand. Die vor blutrotem Hintergrund sich abhebende Guillotine genügte vollkommen.

Für den Komponisten urfd alle Ausführenden war's ein eindeutiger Erfolg, für die Wiener Staatsoper ein großer, festlicher Abend.

*

Am nächsten Tag hörten wir im Großen Konzerthaussaal unter der Leitung von Peter Lakovich (1927 in Linz geboren, zuletzt am Staatstheater in Wiesbaden tätig) Gottfried vov Einems „Stundenlied“ op. 26 nach Versen von Bertolt Brecht, dem das „Requiem“ seines Lehrers Boris Blacher vorausging. Die beiden umfang-

reichen Chorwerke wurden anläßlich ihrer Wiener Erstaufführungen (im Juni und Dezember 1959) an dieser Stelle ausführlich besprochen. Im „Stundenlied“ erzählt Brecht in Knittelversen und auf neun Stationen verteilt die Leidensgeschichte. Durch die zum Teil allzu flotte und zügige Musik entsteht eine doppelte Verfremdung der Passion, die nicht jedermanns Sache ist. — Blacher legt seinem im Auftrag der Wiener Konzerthausgesellschaft geschriebenen Requiem den Messetext zugrunde und fügt diesem noch das Libera me hinzu. Beim Wiederhören ist man mehr von der Kunstfertigkeit als von der Aussage Blachers beeindruckt. Ausführende waren die Wiener Singakademie, der Chor und das Orchester des österreichischen Rundfunks sowie die Solisten Christiane Sorell und Otto Wiener. Sie alle und der Dirigent dieses überaus schwierigen und anspruchsvollen Programms haben Außerordentliches geleistet.

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