Das ewige Sterben des Homo Oeconomicus

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Gnadenlos halten uns Schmalz und Bachmann den Spiegel vor, wenn es um den jähen Abschied vom irdischen (und schuldigen) Genuss geht.

Das Burgtheater unter Karin Bergmann hat dem 1985 in Graz geborenen Dramatiker Ferdinand Schmalz den Auftrag erteilt, Hugo von Hofmannsthals "Jedermann", mit dem seit 1920 jedes Jahr die Salzburger Festspiele eröffnet werden, ins Heute weiterzuschreiben. Wie sich nun anlässlich der Uraufführung am Burgtheater zeigt, war das eine prächtige Idee. Konsequent hat der hochdekorierte Jungautor, seinesgleichen der Ingeborg-Bachmann-Preisträger des letztes Jahres, den Stoff ins Heute fortgeschrieben und dabei so kunstvoll wie hinterhältig an den verschiedensten Stellschrauben gedreht, dass das Original zwar kenntlich bleibt, aber etwas gänzlich Gegenwärtiges entstanden ist.

Noch immer bildet "das Sterben des reichen Mannes" das Zentrum des Stückes. Schon seit dem Mittelalter weiß man, dass unter allen Menschen die Reichen am meisten bedroht sind. Sie vor allem gilt es zu überzeugen, den Freuden der Welt zu entsagen und sie gegen ihre eigene Neigung auf einen guten Tod vorzubereiten. Bei Schmalz ist dies aber gänzlich von katholischen Agenden befreit, was heißt, dass es nicht mehr darum geht, den reichen Jedermann zum richtigen Glauben zu bekehren, um auf diese Weise dessen Seele vor dem Sturz in die Hölle zu retten. Statt um die metaphysische Frage nach der richtigen Bewältigung der letzten Dinge dreht sich seine, gleichsam säkularisierte Fassung um die Frage nach dem richtigen Leben vor dem Tod, oder genauer darum, wie das Sterben und das Leben ausschauen könnten, wenn letzteres nicht unablässig der Vermehrung des Reichtums gelten würde.

Eine Reihe von Tableaus

Stefan Bachmann nimmt sich bei seiner Uraufführungsinszenierung auffällig, aber mit Bedacht zurück. Man kann sagen, seine Inszenierung ist eine mit Musik (Sveb Kaiser, Béla Fischer jr.) unterlegte Reihe von Tableaus, was nicht zuletzt der Wirkung des Textes sehr zugutekommt. Der Regisseur hat sich von Olaf Altmann dafür eine Bühne bauen lassen, die in ihrer Einfachheit wie in ihrer Verweiskapazität etwas Bestechendes hat. Nah an der Rampe steht über die ganze Breite und Höhe der Bühne eine goldene Wand, in deren Mitte ein schwarzes Loch klafft, in das eine (rotierende) Röhre eingelassen ist. Einerseits Geburtskanal und Tunnel für die letzte rite de passage, ein Gully oder -wie Adorno im Programmheft zitiert wird -das "letzte Loch, welches die Warenwelt noch offen ließ". Sie ist auch Spielort, wenn etwa Markus Hering als Jedermann wie im Hamsterrad dem Geld hinterher oder dem nahen Tod davonzulaufen versucht, oder ebenda Leonardo da Vincis berühmten Vitruvianischen Menschen mimt, wie er nicht zuletzt die italienischen Ein-Euro-Münze ziert.

Überhaupt arbeitet Bachmanns Inszenierung mit vielen Verweisen aus der bildenden Kunst. So erinnert die Bühne auch an suprematistische Malerei, etwa an Kazimir Malevitchs "Black Circle" von 1915, ein Symbol der Verdichtung, der absoluten geometrischen Ökonomie, der absoluten Gegenstandslosigkeit, des absoluten Nichts. Andererseits verweist schon das Gold auf die komplexe Symbolik in der christlichen Kunst, als Kennzeichen des Göttlichen oder als Symbol für Reichtum im materiellen und spirituellen Sinne, was bei Bachmann und der ihm eigentümlichen Ironie allerdings konterkariert wird. Weil aber alle Figuren in goldene Kostüme gekleidet sind, ihre Frisuren ebenfalls in Gold glänzen und sie meist nebeneinander aufgereiht agieren, wirkt das recht statische Geschehen mitunter auch wie Goldgrundmalerei aus dem 14. Jahrhundert. Gewollt oder nicht, weckt es passende Assoziationen wie etwa zum Fresko "Triumph des Todes" im Camposanto von Pisa.

Auch der Zitatcharakter der Figuren ist überdeutlich, nicht nur im Bild des toten und bis auf die weiße Unterhose nackten Jedermann, wenn es dazu im Text heißt, "dass einer hier geopfert wird, um unsere gemeinschaft rein zu waschen", sondern auch schon am Anfang: "die (teuflisch) gute Gesellschaft" trägt fleischfarbene Ganzkörperanzüge, schneidet mit blutigen Zungen Grimassen und imitiert mit den Fingern obszöne Gesten und Teufelshörner. Das erinnert an die Dämonen des Hieronymus Bosch oder wie sie auch über Kirchenportalen abgebildet sind.

Gnadenlos halten uns Schmalz und Bachmann den Spiegel vor, wenn es um den jähen Abschied vom irdischen (und schuldigen) Genuss geht -die Angst davor "kommt mit den altersflecken", wie es bei Schmalz unvergleichlich heißt. Daher ist bei ihm nicht nur der Jedermann ein durch nichts anzufechtender, von keinem Zweifel angenagter Turbokapitalist, sondern jedermann, die ganze "(teuflisch) gute Gesellschaft" ein "schmähliches getier mit verhärteten herzen, die lebt raubtierhaft in einer wildbahn drin. sich alles zu dieser wildbahn hat gemacht, die sie geschäft, investment nennt. Und nichts ist er, rein gar nichts darüber raus. In sünd ersoffen, das ist, was sie sind."

Fulminantes Plädoyer

Klug hat Schmalz die Hofmannsthal'schen Figuren zusammengelegt. Die Buhlschaft ist auch der Tod (Barbara Petrisch), Gott ist "der arme nachbar gott" (Oliver Stokowski). Die "guten werke" werden auf diese Weise sogar in ihr Gegenteil verkehrt. Mavie Hörbiger stellt sie als Charity vor "ganz erschöpft von der hingabe an die allerärmsten","die füsse wund vom walzertanzen, die hände krumm vom schütteln, die nase rau vom vielen pudern". Letztendlich ist sie aber doch bloß Mammon, wie das fulminante Plädoyer über Geld offenbart, in dem sie zu bedenken gibt, dass "alles geld ist, das für dich fickt". Und in einer Welt, in der das das oberste oder das alleinige Prinzip ist, meint Schmalz resignativ, "sterben wir ewig, leben nicht."

jedermann (stirbt) Burgtheater, 2., 5., 17. März

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