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Das neue Bayreuth

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Die Bayreuther Wagner-Festspiele feierten in diesem Sommer nicht nur ihr Wiedererstehen nach achtjähriger, durch Krieg und Nachkriegszeit bedingter Pause, sondern auch das Jubiläum ihres 75jährigen Bestehens. Alle 21 Aufführungen des diesjährigen Festspielsommers waren bi6 auf den letzten Platz ausverkauft, so daß sie rund 40.000 Besucher aus der ganzen Welt gesehen haben. Damit dürfte bewiesen sein, daß Bayreuth und Richard Wagner ihre Anziehungskraft nicht verloren haben.

Wer die Bayreuther Festspiele 1951 gerecht beurteilen will, muß sich vor Augen halten, daß nach der abgrundtiefen Pause zwischen 1943 und 1951 völlig neu und von vom angefangen wurde und in einer Probenzeit von rund vier Wochen 6e<hs Bühnenwerke — „Ring“, „Meistersinger“ und „Pansifal“ — künstlerisch und technisch auf die Bühne gestellt werden mußten. Daß hier nicht alles gleich „vollkommen“ geriet, sondern manches Improvisation, Entwurf und Versuch blieb, versteht 6ich von selbst. Aber gerade dieser Neubeginn, dieses Wagnishafte gaben dem diesjährigen Bayreuther Festspielsommer die besondere und erregende Note.

Mit den „Meistersingern“ hatte man Wagners populärstes, sein menschlichstes Werk in den Festspielplan aufgenommen. Als Dirigent erlebte man Herbert von Karajan, der, zum erstenmal am Bayreuther Pult, zunächst dadurch von sich reden machte, daß er die altüberlieferte, noch von Richard Wagner selbst festgelegte Sitzordnung des Orchesters umwarf, um die vielen kammermusikalischen Feinheiten der „Meistersinger“-Partitur hörbar zu machen. Und gerade das ist Karajan bestens gelungen. Er gab dem Orchesterpart eine altmeisterliche Zierlichkeit, Durdisichtig-keit und Verinnerlichung, eine unerhörte Beweglichkeit der Tempi und erzielte mit dem Festspielorchester bisweilen einen so berückenden Schönklang, daß dem Zuschauer der Atem stockte. Die Regie Rudolf Hartmanns hatte das Spielgesdiehen ganz auf warme, natürlich-herzliche Menschlichkeit gestellt, alles falsche Pathos, alle unnötige Monumentalität ausgemerzt, und es war wohl kein Zufall, daß er auf der Festwiese mit dreihundert Chorsängern auskam, wo die frühere Inszenierung Tietjen6' achthundert aufgeboten hatte. Die Bühnenbilder Hans C. Reisigers zeigten den gleichen Zug zur Einfachheit ohne Schnörkelei und Butzenscheibenromantik, und bewiesen, daß man den zweiten Akt auch ohne Spitzwegiade bewältigen kann. (In den Hsupt-rollen: Otto Edelmann, Hans Hopf, Elisabeth Schwarzkopf und Erich Kunz.)

Das eigentliche Ereignis und das Tagesgespräch von Bayreuth, in leidenschaftlichen Diskussionen erörtert, war der „Parsifal“ in der Inszenierung von Wieland Wagner Alte Bayreuthianer sollen die Hände gerungen und von Verrat gesprochen nahen. Man kann es ihnen nachfühlen. Denn was hier auf der

Bühne — bei aller Sorgfalt, Hingabe und Treue der Partiturdeutung durch Hans Knapperts-busch — zu sehen war, war etwas völlig Neues, das mit allen früheren Bild- und Regievorstellungen des „Parsifal“ radikal gebrochen hatte. — „Weihe der Weltentrürkung“ hat Richard Wagner seinen „Parsifal“ einmal genannt — in dieser Inszenierung seines Enkels Wieland ist die Entrückung vollkommen. Alles „Wirkliche“ ist getilgt, mit einfachsten szenischen Mitteln — Projektionen und Schleiervorhängen — Ist ein Traumreich kosmisch-visionärer Welt-Bilder errichtet, das in kongenialer Schau- und Bildkraft zu den Urab6ichten des Werkes vorstößt, ja ihm über Richard Wagner hinaus die unmittelbare Gegenwartsnähe sichert. Wieland Wagner hat mit dieser Neuinszenierung, die fast einer Neugeburt gleichkommt, auf eine unerhörte

Art die Kunst des Weg!assen6 geübt, indem er das Visuelle geistiger Vorgänge mit geistigen, das heißt abstrakten Mitteln darstellte, und das in einer Weise, die den abstrakten Mitteln der Musik sehr genau, ja notengetreu entspricht. Am überzeugendsten ist das wohl im zweiten Aufzug gelungen. Klingsors Zauberschloß: eine gitterartige, streng geometrische Büdkomposition ist auf die gesamte riesige Bildöffnung projiziert, und in diesem gähnend-nachtsehwarzen Spinnennetz sitzt, irgendwo aufgehängt im Nichts, Klingsor, während unten im Wesenlosen Kundry sich windet wie ein Wurm, und der höllische Dialog beginnt. Keinerlei Requisiten, keine Einzelheiten: geistige Prinzipien, sichtbar gemacht. Ähnlich der Beginn des dritten Aufzuges mit dem „Karfreitagszauber“. Nichts mehr von „anmutiger Frühling6gegend“. Ein endlos sich dehnender Wolkenhintergrund und im Vordergrund eine grell beleuchtete Kreisscheibe mit ein paar Säulenstümpfen: das Ende der Welt und der Zeiten, der ewige Karfreitag, an dem Gurnemanz, Kundry und Parsifal den Tod des Herrn beweinen und das reinigende Sühnewerk beginnen. Auch die berüchtigte Blumenmädchenszene ist wie in weite Fernen gerückt und zu einer kompakten Choreographie verdichtet, während die entscheidende Begegnung zwischen Kundry und Parsifal in brennenden Gluten eines orgiastischen Liebeskampfes leuchtet, der optisch mit reiner Farbensymbolik erfaßt ist Von parkender Eindringlichkeit und „Entrückung“ ist das Innere der Gralsburg, ein in riesige Weiten verschwimmender Lichtdom ohne alle Stilanklänge, das Abstraktum eines Doms, ein Raum, erfüllt von unsäglicher Feierlichkeit, wenn in der in 6trenger kultischer Haltung gestalteten Abendmahlsze'ne der Raum sich vollends verflüchtigt und nur noch der rotleuchtende Gralskelch im Nichts schwebt.

Zum Glück hatte man tür diesen wahrhaft revolutionären „Parsifal“ ta6t durchweg würdige Gestalter gefunden: Martha Mödl, Hermann Uhde, George London, Ludwig Weber, und Wolf gang Windgassen (Parsifal). Die Chöre der Gralsritter wie der Blumenmädchen waren über jedes Lob erhaben.

Man hatte das Gefühl, einer historischen Stunde anzuwohnen. Diese Neuinszenierung läßt Richard Wagner und Bayreuth einmünden in die Gestaltungsprinzipien des modernen Theatere und der Kunst der Gegenwart. Wieland Wagner aber hat gezeigt, daß er einer der genialsten Regisseure unserer Zeit, daß er der kühnste und ideenreichste Wagner-inszenator ist, den wir haben. Vielleicht hat er Bayreuth gerettet in letzter Stunde; vielleicht gelingt es auf diesem Wege, auch die Jugend für Richard Wagner zu gewinnen.

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