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Das Trugbild Welt

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Die Welturaufführung des bisher verschollenen, in einem böhmischen Schloß entdeckten Dramas, de santo „El Gran Duque de Grandia” unter dem Titel „Die Welt ist Trug” von Pedro Calderón de la Barca am ersten Tag der Wiener Festwochen 1966 bildete zugleich einen ihrer natürlichen Höhepunkte. Neben dem theatergeschichtlichen Interesse, ein bisher unbekanntes und in kompo- sitorfccher Hinsicht neuartiges Werk des (neben Dante) allerchristlichsten unter den Dichtem Europas kennenzulernen, gibt auch der Umstand, daß es sich bei diesem 1671 entstandenen Festspiel wahrscheinlich um ein vom Wiener Hof seinerzeit an den Madrider Hofdramaturgen als Preisung des spanischen Nationalheiligen Franziskus Borja in Auftrag gegebenes Werk handelt, der Uraufführung einen besonderen Akzent. Zu all dem kommt, daß mit dem Werk (nach den Worten des Bearbeiters) auf „eine für die österreichische Dramatik wichtige Verbindung vom fremdsprachigen Hoftheater zu Grillparzer” hingewiesen werden will. Dem österreichischen (dem Wiener) Publikum sollte als erstem das „ethische und ästhetische Erlebnis”, wie es , der Prager Romanist Václac Öemy in seinem Bericht über „Die Auffindung des Werkes” nannte (siehe auch „Die Furche” — Literarische Blätter Nr. 21 vom 21. Mai), vongeführt werden. Als ein „dichterisches Werk unserer gemeinsamen Kultur” (Öerny); die Figur des heiligen Franziskus Borja ziert noch heute mit anderen Heiligenfiguren die Prager Karlsbrücke.

Das Festspiel zeigt (neben einer barocken Huldigung an Kaiser Karl V.) den Läuterungszwang des kaiserlichen Palastgroßmeisters,, des Vizekönigs von Katalonien und Herzogs von Gandía, Francisco de Borja, aus dem berühmten und berüchtigten Geschlecht der Borgias, von Macht und Ehren zur demütigen Weltentsagung und zum Eintritt in die Gesellschaft Jesu. Durch einige erschütternde Lebenserfahrungen: Tod der Kaiserin Isabella, Tod seiner geliebten Gattin Leonor, erkennt Francisco die Nichtigkeit aller Macht („In der Welt ein großer Herr, und vor Gott ein kleiner Knecht”), den eitlen Prunk, den eitlen Schein der trügerischen Welt und ringt sich durch zur Entscheidung, ganz in Gott zu leben. Erfahrung einer geistigen Gotteskindschaft im wachsten Geist und damit Erlangen von Gewißheit, Freude, Ordnung, Harmonie und natürlicher Autorität. Denn noch die letzten Erfahrungen, die letzten, Leidenschaften führen bei Calderón in das unwandelbare Königreich der Transzendenz Gottes. Ein Drama der inneren Wandlung also mit nur ganz wenigen äußeren dramatischen Steigerungen. Das Ewige durch das Zeitliche hindurchscheinend. Aber immer und so auch hier das Gran teatro del mundo, das große Welttheater, mit Figuren, wie an den Drähten des unberechenbaren Schicksals hängend, von jenem Regisseur bewegt, der (nach Claderón) Gott heißt, „el autor”, Schöpfer, Schauspieldirektor und Autor zugleich. Der Mensch dem größtmöglichen Raum (dem Universum) ausgesetzt. (Calderóns Stücke wurden in Spanien bei Tag unter freiem Himmel gespielt.) Was unsere Barock- und Spanienferne, was die oft frostige Unbegreiflichkeit von Calderóns Werken überwinden hilft, ist seine Sprache, die in Glut und Glanz leuchtende Sprache des spanischen Barocks. Auch in „Welt ist Trug” hilft sie mit, die Askese der Innerlichkeit aufzuhellen.

Ulrich Baumgartner, Regisseur der Uraufführung und dramatischer Bearbeiter des Werkes, setzte sich in einem Beitrag des (übrigens ausgezeichnet redigierten) Programmheftes mit den Schwierigkeiten auseinander, die eine Inszenierung des „recht ungleichmäßigen” Dramas mit sich brachte. Als Hauptmängel des Originals nennt er einen gewissen Schematismus der Szenenführung, einen Dialog voll stereotyper Wiederholungen, allzu äußerlich eingesetzte allegorische Handlungselemente und ein Überwiegen der Späße des „Gracioso”, des spanischen Hanswursts. Baumgartner erreichte durch Streichungen, Umreihungen und Aufnahme von Texten aus anderen Werken Calderóns, aber auch anderer spanischer Barockautoren eine weit flüssigere Szenenfolge als im Original. Elemente der barocken Mantel- und Degenkonvention (zwei Söhne Borjas werben um eine Hofdame), farbige Faschingsszenen, burleske Diener- und Räuberepisoden sollten in typisch barok- ker Gleichzeitigkeit von tragischem Ernst und Komik das völlig verinnerlichte „Reifen einer Seele hin zu Gott” belebend umranken. Die dreistündige Aufführung bezieht, nach dem völlig nichtssagenden Vorspiel und den nicht eben kurzwei-

ligen ersten Szenen, ihre stärkste Wirkung von Robert Freitag als Francisco de Borja. Ein großartiger Sprecher, glaubt man dieser männlich ritterlichen Erscheinung die Wandlung zur weltentsagenden, vergeistigten Demut vollkommen. Selbst jener Teil des Publikums, dem die religiöse Übereinstimmung mit Cal- deröns Text fehlt, wird sich dem ergreifenden Ernst dieses Darstellers kaum entziehen können. Aus dem übrigen großen Ensemble seien noch Erik Frey als Kaiser Karl V., Bruno Hübner als Ignatius von Loyola, Kurt Jaggberg als Jesuitenpater Fabro, das Bedientenpaar Walter Blum und Grita Kral als „lustige Personen”, Gerlinde Locker als Hofdame Magdalena und das Räuberpaar Pit Krüger und Rudolf Schippel genannt. Ausgezeichnet das Bühnenbild von Heinz Ludwig. Weniger gefiel uns die Choreographie der Tanz- und Ballszenen (Rolf Scharre) sowie die ausgiebige Musik von Paul An- gerer als der Klangwelt von heute angenäherte „akustische Dekoration, klangliches Kostüm und klingendes Requisit”. Ein Sonderiob gebührt Anton M. Rothbauer (Graz) für die reimlose Übersetzung, in der die dichterische Schönheit, besonders der großen Monologe, zur Geltung kommt.

„Wozu in eine Welt zurückgreifen, welche für den Inhalt unserer Kunst religiös wie politisch überlebt ist? Wozu Stücke in Szene setzen, die uns durch ihren Inhalt fremdartig anmuten?” Dieses Urteil Heinrich Laubes über Calderón ist heute sowohl für die großen Dramen wie für diese „Gelegenheitsarbeit” (wie sie der Übersetzer nennt) sicherlich überhalt. Aber so ganz ohne Zweifel wird man „Die Welt ist Trug” kaum „als einen der Höhepunkte von Calderóns dichterischem Schaffen” (Cerny) gelten lassen wollen, dessen szenische Realisierung aber nicht nur als eine Theatersensation, sondern auch als eine künstlerische und kulturelle Tat hohen Ranges zu werten ist. Julius Mader

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