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Der Ring ist geschlossen

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Ist von Wagners Bing die Bede, so wird man immer wieder in Versuchung kommen, beim tiefen „Es“ zu beginnen, auf dem sich das Vorspiel zu „Rheingold“ aufbaut, bei jenem „Es war einmal“, „Es hat sich ereignet“, „Es wird geschehen...“ Seit dem ersten Planentwurf zu „Siegfrieds Tod“ von 1848, der bekanntlich am Anfang stand und dessen Vorgeschichte Wagner zu erzählen unternahm, hat „Der Bing des Nibelungen“ ihn 26 Jahre lang beschäftigt: 1876 fand die Uraufführung in Bayreuth statt. Mit seiner Tetralogie, diesem Weltengleichnis in Tönen, dieser klingenden Kosmogonie, einer der großartigsten und vieldeutigsten Kunst-Schöpfungen, hat Wagner für Deutschland den wichtigsten Beitrag zur monumentalen Kunst des 19. Jahrhunderts geleistet (wie Bußland mit den Bomanen von Tolstoi und Dostojewski, Frankreich mit Balzacs „Comedie humaine“ und Zolas „Les Bougon Macquart“ und England mit den Werken von Dickens). Das Eigentümliche an Wagners großem Werk ist die Verbindung von Mythos und Psychologie. Der erstere ist keineswegs nur nordisch-germanischer Provenienz: die Bheintöchter sind den Okeaniden verwandt, Siegfried ist Prometheus, er ist auch Tammuz-Adonis, die der Eber schlug, und Osiris-Dionysos, die Zerrissenen.

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Ist von Wagners Bing die Bede, so wird man immer wieder in Versuchung kommen, beim tiefen „Es“ zu beginnen, auf dem sich das Vorspiel zu „Rheingold“ aufbaut, bei jenem „Es war einmal“, „Es hat sich ereignet“, „Es wird geschehen...“ Seit dem ersten Planentwurf zu „Siegfrieds Tod“ von 1848, der bekanntlich am Anfang stand und dessen Vorgeschichte Wagner zu erzählen unternahm, hat „Der Bing des Nibelungen“ ihn 26 Jahre lang beschäftigt: 1876 fand die Uraufführung in Bayreuth statt. Mit seiner Tetralogie, diesem Weltengleichnis in Tönen, dieser klingenden Kosmogonie, einer der großartigsten und vieldeutigsten Kunst-Schöpfungen, hat Wagner für Deutschland den wichtigsten Beitrag zur monumentalen Kunst des 19. Jahrhunderts geleistet (wie Bußland mit den Bomanen von Tolstoi und Dostojewski, Frankreich mit Balzacs „Comedie humaine“ und Zolas „Les Bougon Macquart“ und England mit den Werken von Dickens). Das Eigentümliche an Wagners großem Werk ist die Verbindung von Mythos und Psychologie. Der erstere ist keineswegs nur nordisch-germanischer Provenienz: die Bheintöchter sind den Okeaniden verwandt, Siegfried ist Prometheus, er ist auch Tammuz-Adonis, die der Eber schlug, und Osiris-Dionysos, die Zerrissenen.

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Die vier Teile der Tetralogie symbolisieren auch die vier Weltalter: „Rheingold“, noch vor dem Eintritt des Menschen in die „Geschichte“, den Übergang zwischen der Steinzeit und der Entdeckung der Metalle; „Die Walküre“ das Erscheinen des Menschen, „Siegfried“ die Erfindung des Stahls, und „Götterdämmerung“ eine der ersten großen geologischen Katastrophen, etwa die Sintflut. — Das Ganze aber, speziell die Gestalt Wotans, ist imprägniert von Schopenhauerscher Philosophie und ausgestattet mit allen Raffinessen moderner Tiefenpsychologie, deren Erkenntnisse Wagner fast um ein halbes Jahrhundert vorweggenommen hat.

Mit den monumentalen Meisterwerken des 19. Jahrhunderts teilt Wagners Kunst auch die Verliebtheit ins szenische Detail, ins Kleine, Minutiöse der Ausführung. Wichtigstes Vehikel zur Deutung und Erklärung, zum beredten orchestralen Kommentar ist das Homer entlehnte Leitmotiv als „Gefühlswegweiser“, und was man aus der Versenkung vernimmt, ist oft aufschlußreicher als die mythologische Konversation, der weihevolle Weltentratsch, etwa in der Nornenszene. Auf die Schwächen der Wagnerschen Texte ist oft genug hingewiesen worden. Da ist einmal, neutral ausgedrückt, der großartige Mut zur Langeweile, die sächsische Manie, alles zu erzählen und auszuplaudern. Und da gibt es dramaturgische Unzulänglichkeiten und Widersprüche: Die zentrale Gestalt Siegfrieds wird an zwei entscheidenden Stellen durch Zaubertränke manipuliert und verliert auf diese Weise an menschlich-psychologischem Interesse, der Handlung aber fehlt die echte dramatische Peripetie. Eigentlich ist nur Brünhilde eine echte tragische Figur. — Und wo bleibt die Macht des Ringes? Alberich, Fafner und Brünhilde wird er abgenommen. Und warum gehen die Götter in dem Augenblick unter, da der Ring den Rheintöchtern zurückgegeben wird und die „ewige Ordnung“ eigentlich wiederhergestellt ist?

Bereits 1911 bedauerte Thomas Mann — einer der kenntnisreichsten Kommentatoren und Verehrer des Wagnerschen Werkes, daß „sein Stern am Himmel deutschen Geistes im Sinken begriffen ist“. Dieses Urteil mochte wohl hauptsächlich durch die damaligen Wagner-Inszenierungen, die mit Helmen, Bärenfellen und allerlei anderen germanischen Antiquitäten an einem Tiefpunkt angelangt waren, ausgelöst worden sein. Es gab in jener Zeit eine berühmte Wagner-Sängerin, die mit ihrem Ross Grane von Stadt zu Stadt zog, und hinter manchem deutschen Stadttheater fuhren Lokomobile auf, deren Dampf durch lange Röhren auf die Bühne abgeblasen wurde. — Um 1930 erfolgte eine erste Renaissance des Inszenierungsstils und nach 1951 die zweite entscheidende Reform durch Wieland Wagner. — Seit drei Jahren erkundet Herbert von Karajan mit seinem Bühnenbildner Günther Schneider-Siemssen in Salzburg einen „dritten Weg“.

*

Am vergangenen Samstag wurde im Neuen Festspielhaus mit der „Götterdämmerung“ der „Ring“ geschlossen. Die Aufführung des Riesenwerkes, das innerhalb der Tetralogie die abwechslungsreichste Handlung sowie die gewichtigste musikalische Substanz hat und mit mehreren geschlossenen Nummern (Speerschwur, Mannenchöre und zwei große Interludien) am meisten an den Typus „Große Oper“ erinnert, dauerte einschließlich zweier halbstündiger Pausen sechs Stunden. Eine enorme Arbeit wurde da von allen Ausführenden geleistet, und zwar, das kann man resümierend sagen, mit gutem Gelingen. Der Regisseur Karajan hat, seit er mit der „Walküre“ seinen Salzburger Wagner-Zyklus begann, viel dazu-gelernt und seinen Stil profiliert. Vor allem versteht er es jetzt, gemeinsam mit seinem Bühnenbildner, die cinemascopeförmige Bühne (Höhe zu Breite = 1:3), besser zu beherrschen und auszunützen. — Es gab Bilder von monumentaler Schönheit und großer Ausdruckskraft: Gleich zu Beginn das der am Schickaalsseil spinnenden Nornen, die Gibichungen-halle, deren Säulen und Wände ä la Wotruba aus Quadern zusammengefügt waren; besonders schön das vorletzte Bild am Rhein, das von Manet oder Seurat inspiriert schien. Hier waren auch die Farben „farbiger“, freundlicher, während sonst oft ein schmutziges Graubraun vorherrschte. Leider. (Es gibt so viele schöne Farben, aber nein, es muß immer dunkel oder graubraun sein!) Sehr eindrucksvoll gelangen Schneider-Siemssen und dem Regisseur die letzten Szenen: Die Mannen mit Siegfrieds Leiche (bei ihrem ersten Auftreten viel zu turbulent geführt und dem statischen Inszenierungsstil des Ganzen widersprechend), der Brand und der Einsturz der Gibi-chungenhalle, die von den Wassern des Rheins überflutet wird u. a. — Auch mit den Kostümen Georges Wakhewitschs kann man sich einverstanden erklären: sie waren weder altgermanisch-museal noch modernistisch-elegant (wie manchmal bei Wieland Wagner). Nur der Siegfried hätte besser in ein Bühnenbild von Josef Hoffmann von 1876 hineingepaßt als in die Salzburger Aufführung 1970.

Von den Sängern muß primo loco Helga Dernescli genannt werden, die darstellerisch und stimmlich eine hervorragende Leistung bot und die anspruchsvolle Riesenpartie bis zum Schluß ohne hörbare Ermüdungserscheinungen durchhielt. (Daß sie keine Nilsson ist, wissen wir.)

Bestens besetzt waren die oeiaen Mezzo-Partien (Waltraute und zweite Norn) mit Christa Ludwig, ebenso die des Hagen mit Karl Ridder-busch und die undankbar-matte des Gunther mit Thomas Stewart. Das Problem war, wie bei den meisten Wagner-Aufführungen der letzten zehn Jahre, der Tenor. Er hieß Helge Brilioth, kommt aus Schweden, scheint noch sehr jung zu sein, hat eine angenehme Erscheinung und wird vielleicht einmal ein Siegfried werden, allenfalls auf der Schallplatte. Vorläufig ist die Stimme noch zu klein, und wäre nicht die etwas baritonale Färbung, so könnte man von einem Tenorino sprechen. — Ausdrucksvollen Wohlklang verströmten die Nornen und die Rheintöchter (die Damen Chookasian, Ligendza, Rebmann, Moser und Reynolds). Die Gutrune sang schön timbriert und spielte nobel Gundula Janowitz, den Alberich scharf charakterisierend und mit bedrohlichem Baß Zoltan Kelemen.

Diszipliniert und sonor klangen die von Hagen-Groll einstudierten Männerchöre. Hervorragend: Die Leistung der Berliner Philharmoniker, bewunderungswürdig die Herbert von Karajans, der, ohne Partitur dirigierend, die Sänger stets berücksichtigte, alle nur vorstellbaren Farben aus dem Orchester holte (die Stereoeffekte der Hörner zu Beginn des 3. Aktes!), es keinen Augenblick an Kraft und Intensität fehlen und im Ganzen weniger „kammermusikalisch“ musizieren ließ, als in den vorhergegangenen Teilen der Tetralogie, und der die beiden großen Orchesterzwischenspiele (Siegfrieds Rheinfahrt und die große Trauermusik) zu Höhepunkten dieses glanzvollen Abends emporsteigerte. — Der Beifall des bis auf den letzten Platz gefüllten Hauses war entsprechend. Neben Karajan, der die Ovationen immer wieder auf das Orchester lenkte, wurde Helga Der-nesch stürmisch gefeiert.

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