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Die ersten Premieren in Salzburg

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Der neue Intendant des Salzburger Landestheaters hat seine erste Spielzeit mit einem Shakespeare und auf dem Gebiet der Oper mit Puccini und Leoncavallo eröffnet. Wenn man diese Wahl als Bekenntnis auffassen und daraus auf das Konzept Dr. Herterichs schließen darf, sollten in seiner Ära das poetische elementare Theater und die publikumssichere Oper dominieren. War der Opernabend auch entschieden geglückter als die von Herterich selbst stammende Neuinszenierung von Shakespeares „Wie es euch gefällt“ so wäre es doch voreilig, daraus ein Urteil abzuleiten. Daß die Eröffnungsvorstellung nur mittelmäßig besucht war, ist nicht dem Intendanten, sondern dem Publikum anzukreiden. Anderswo macht man mit Shakespeare noch immer ausverkaufte Häuser. Ein Wagnis allerdings war es. sich mit einem noch heterogenen Ensemble gleich an einem der schwierigsten Lustspiele zu versuchen. Diese dramatische Paraphrase über eine erzählende Vorlage enthält wohl eine Fülle lebens strotzender Rollen und genial skizzierter Chargen, aber sie verwandelt die epische Substanz nur ziim Teil. Shakespeares dichterischer (Jeist vernachlässigt hier die Handlung und lebt sich ganz in der Sprache aus, offenbart sich in einer unvergleichlichen Wortkunst. Dialektische Präsenz und lyrische Entrückung, süße Schwermut und tiefsinnige Narrheit umkreisen einander als anmutige Sinnbilder für den Kosmos menschlichen Denkens und Empfindens. Ihn in seinem Reichtum darzustellen, bedarf es natürlich guter Schauspieler, vor allem aber guter Sprecher, die nicht mit technischen Schwierigkeiten kämpfen und den Sinngehalt wie die Melodie eines Sprachgebildes vermitteln. Und die waren in der Minderheit. Das Märchenhafte in dieser Dichtung, wie Leid zum Glück ausschlägt und Böses zum Guten wird, das muß erst einer glaubhaft machen können in unseren Tagen. Gabriele Jacoby (Rosalinde) und Klaus Maria Brandauer (Orlando), beide Begabungen ersten Ranges, konnten es. Von den herzoglichen Brüdern hatte Friedrich in seinem herrischen Wesen das markante Profil Eberhard Wechselbergs; dem anderen, verbannten hätte man zu den sympathischen Zügen von F. M. Westen mehr Lebensfreude und größere Deutlichkeit beim Sprechen gewünscht. Siegfried Fetscher legte die Figur des

Jacques richtig an, Ohne sie äusfüllen zu können. Richard Tomaselli als Narr war bei all seiner lebhaften Gescheitheit eine Fehlbesetzung. Gerhard htörtl hätte die Rolle natürlicher verkörpert; übrigens sang Mörtl die Kanzonen des farblosen Amiens wirklich schön. Eugen Wintterles Szenenbilder, teils modisch stilisiert, teils von exotischer Romantik, wurden — oh, dieser Zwischenvorhang im Jugendstil — der Dichtung nicht annähernd gerecht. Dasselbe ist von der Musik Klaus Schölls zu sagen; ein paar Stücke aus dem 16. Jahrhundert hätten größere Wirkung erzielt. Und warum bediente man sich bei der Wiedergabe des Tonbandes? Will sich das Theater aus freien Stücken dessen begeben, was es der kulturellen Surrogatindustrie noch voraus hat? Heute gibt es die lebendige Musik preis, morgen wird es die menschliche Stimme, übermorgen der lebendige Mensch sein.

Für die Möglichkeiten eines Landestheaters war der Opernabend mit „Gianni Schicchi“ von Pucciniund mit Leoncavallos „Der Bajazzo“ außerordentlich respektabel. Es wurde mit Laune agiert und gesungen, und das dankbare Publikum kam auf seine Rechnung. Wieder waren Bühnenbild und Kostüme von Eugen Wintterle, der uns aber diesmal durch die Atmosphäre und kluge Raumordnung der Szene überzeugte. Der Regisseur des Abends, der Oberspielleiter Curt Bock, arbeitete die satirische Note in Puccinis drastischer Farce höchst ergötzlich heraus; die Tragödie des „Bajazzo“ ließ er in hellem Tageslicht abrollen, wodurch das Unabwendbare im Menschenschicksal bestürzend deutlich sichtbar wurde. Mladen Basic führte Orchester und Sänger mit gewohnter Sicherheit. Das Gesangsensemble enthält eine Anzahl vorzüglicher Solisten; an erster Stelle ist Marja Anloiiia Harvey, leider nur als Gast, zu nennen, die ihrer reizenden Lauretta eine ebenso leiden-' schaftliche wie seelisch vertiefte Nedda folgen ließ. Ihre Stimme ist ausgeglichen, besonders in der Höhe von kostbarer Klarheit und in den schwierigsten Koloraturpassagen unfehlbar sicher. Als Schicchi bot Robert Granzner sängerisch wie schauspielerisch eine glänzende Buffoleistung. Auch sein Silvio im zweiten Teil des Abends war durchaus ansprechend. In Nicolai Hantoff — er sang in „Gianni Schicchi“ einen sehr stabilen Vetter Simon — wurde ein aufbaufähiger machtvoller Baß slawischen Timbres gewonnen. Allen anderen Mitwirkenden an der Puccini-Oper sei für ihre fugenlose Ensembleleistung applaudiert. Der „Bajazzo“ bot Gelegenheit, drei neue Sänger kennenzulernen. Gunnar Johnsen, im Aussehen mehr ein Lord als ein italienischer Komödiant, bewältigte die Partie des Canio mit einem hellen, angenehmen Tenor; der Neger Thomas Carey (Tonio) ist mimisch sehr begabt und verfügt über einen samtweichen Bariton, der in der Tiefe noch kräftiger werden wird, und auch Edmund Kuhn als Beppo führte sich vielversprechend ein. Ein Opernabend, der eine gute Saison verheißt.

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