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Die Großmacht auf Zypern

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Verdi begann die Arbeit an seiner vorletzten Oper 1882 und hat die Partitur, im Unterschied zu allen seinen früheren, erst nach fünf Jahren beendet. Die mehr als zehnjährige Pause vorher und die lange Arbeitszeit erklären die Verdi-Biographen vor allem psychologisch. Der Schatten Wagners habe die beiden letzten Jahrzehnte verdunkelt. Aber nun, 1883, ist der große Konkurrent in Venedig gestorben und Verdi konnte aufatmen (so wie eine ganze Generation junger deutscher Dichter, die sogenannten Romantiker, beim Tod Goethes). Auch hatte Verdi das Gefühl, etwas ganz Neues schaffen zu müssen, und mit „Othello“ ist es ihm gelungen. Hier war, auf Arrigo Boitos Textbuch nach Shakespeare, etwas entstanden, das sich zu vielfältiger Interpretation und wechselnder Akzentuierung eignet: Oper und Musikdrama, Moritat und Volksstück, Sängerund Regisseuroper...

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Verdi begann die Arbeit an seiner vorletzten Oper 1882 und hat die Partitur, im Unterschied zu allen seinen früheren, erst nach fünf Jahren beendet. Die mehr als zehnjährige Pause vorher und die lange Arbeitszeit erklären die Verdi-Biographen vor allem psychologisch. Der Schatten Wagners habe die beiden letzten Jahrzehnte verdunkelt. Aber nun, 1883, ist der große Konkurrent in Venedig gestorben und Verdi konnte aufatmen (so wie eine ganze Generation junger deutscher Dichter, die sogenannten Romantiker, beim Tod Goethes). Auch hatte Verdi das Gefühl, etwas ganz Neues schaffen zu müssen, und mit „Othello“ ist es ihm gelungen. Hier war, auf Arrigo Boitos Textbuch nach Shakespeare, etwas entstanden, das sich zu vielfältiger Interpretation und wechselnder Akzentuierung eignet: Oper und Musikdrama, Moritat und Volksstück, Sängerund Regisseuroper...

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Die Breitwandbühne des Großen Festspielhauses bestimmt den Charakter der Inszenierung im Ganzen und im Detail. (Kein Regisseur und kein Bühnenbildner kommt um diese Auseinandersetzung beziehungsweise Adaptierung herum!) In enger Zusammenarbeit mit dem Regisseur und Dirigenten der Aufführung Herbert von Karojon hat Günther Schneider-Siemssen für die vier Akte drei imposante Szenenbilder und ein schwächeres geschaffen: Der 1. Akt vollzieht sich zwischen der mächtig aufragenden Mauer einer Bastion und der Mole, mit einem Leuchtturm in der Mitte; exemplarisch schön, im veredelten Stil realistischer Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts, gelang das zweite Bild (unsere Photoreproduktion); eine mächtige Säulenhalle gewährt den Akteuren des 3. Aktes freien Auslauf und bildet den imposanten Rahmen für den Empfang der venezianischen Delegation; schließlich galt es, Desdemonas Schlafgemach in die Riesenibühne einzubauen, was tant bien que mal gelang.

Voraussetzung der Bühnenbilder Schneider-Siemssens ist freilich, daß Zypern nicht eine der vielen „Außenstellen“ Venedigs, sondern das Zentrum seiner Macht ist. Nichts von einem sonnverbrannten Eiland, wo auch die Leidenschaften sich bis zur Weißglut erhitzen; nichts Zwielichtiges auch im Verhältnis Desde-mona — Roderigo — Cassio. Das alles hat ja Boito bereits simplifiziert; wenn wir neueren historischen Forschungen Glauben schenken dürfen, hat Othello sehr wohl Grund dafür gehabt, der schönen Venezianerin zu mißtrauen. — Aber all das steht für den interpretierenden Regisseur nicht mehr zur Diskussion. (Nur Wieland Wagner hat an diesen kritischen Punkten nicht nur herumgerätselt, sondern auch eingegriffen). In diesen Rieseinräumen die Protagonisten richtig zu führen, stimmlich nicht zu benachteiligen oder zu überfordern, hat Karajan allmählich gelernt. Fast alles war logisch, richtig und eindrucksvoll, wenn auch die großen Distanzen zwischen den Akteuren ungewohnt und desillusionie-rend wirken.

Die Besetzung sämtlicher Hauptpartien kann als „festspielwurdig“ bezeichnet werden, wenn auch die Salzburger Aufführung eigentlich „Desdemona“ heißen müßte. Mirella Frgni hat eine der allerschönsten Stimmen, die wir kennen, sang und spielte höchst ausdrucksvoll, war ergreifend und in Spiel und Stimme ihrer Partie durchaus gewachsen. Jon Vicfcers ersetzte durch Intensität des Vortrags, Intelligenz und klugen Einsatz seiner Mittel was ihm an Schönheit des Timbres ein wenig mangelt. Wenn man bei der Darstellung des Jago durch Peter Glossop nicht gerade an Paul Schöffler dachte, so konnte man auch ihn gut finden. Freilich wichen sein Spiel und seine Maske von der Vorstellung die sich Verdi von dieser Gestalt gemacht hat (in den Briefen nachzulesen) beträchtlich ab. Aber das geht nicht auf das Konto des ausgezeichneten Sängers. — Alle Nebenrollen waren mit Stefania Malagu und den Herren Davies, Wegmann, Roni, Frese und von Haiem solide, aber ein wenig glanzlos besetzt.

Die Musik Verdis ist so bekannt, daß sie bei dieser Gelegenheit keiner besonderen Beschreibung und Würdigung bedarf. Erstaunlich, wie es Karajan immer wieder gelingt, vom quasi kammermusikalischen Detail zum farbenprächtigen Alfresco den Übergang zu finden. Nur manchmal hat man das Gefühl, daß einzelne orchestrale Passagen aneinandergereiht werden, wobei der große Bogen sich nicht spannen kann. Die Wiener Philharmoniker folgten Karajans Anweisungen aufmerksam und mit größter Virtuosität. Außerdem haben sie diese Musik nicht nur im Griff, sondern verleihen ihr auch den spezifischen philharmonischen Schönklang. Raffiniert, wie sie die Klangfarben treffen, noch raffinierter, wie sie unter Karajans Leitung einzelne Banalitäten überspielen oder gewissermaßen unter die Pulte fallen lassen.

Der überaus lebhafte und langanhaltende Beifall galt allen Beteiligten, nicht zuletzt dem von Wolter Hagen Groll einstudierten Staatsopernchor (verstärkt durch den Kammerchor der Salzlburger Festspiele), dessen Mitglieder Georges Wakhewitsch mit der gleichen Sorgfalt und dem gleichen noblen Prunk gekleidet hatte wie die Protagonisten. Bühnenbilder und Kostüme hat der Regisseur Karajan (ein weiteres Positivum der Aufführung) diesmal auch ins entsprechende Licht gerückt. Eine wahre Wohltat!

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