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Die Musik dominierte

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In Bayreuth gab es in diesem Jahr keine Neuinszenierung. Wieland Wagner, der die Regie für alle gezeigten Aufführungen geschaffen hatte, mußte sich außerdem unmittelbar nach dem Beginn der szenischen Proben zur Behandlung in ein Krankenhaus begeben und konnte die seinem Assistenten Peter Lehmann übertragenen Vorbereitungen nur noch aus der Ferne überwachen. Dieser Umstand hatte zur Folge, daß das im Vorjahr erstmals realisierte Versuchsmodell einer neuen Inszenierung des „Ring des Nibelungen“ bei seiner diesjährigen Wiederholung keinerlei Korrekturen erlebte, die Wieland Wagner sicherlich angebracht hätte, wenn es ihm möglich gewesen wäre. Aus diesem Grunde konzentrierte sich dieses Mal das Hauptinteresse auf die musikalische Ausführung. Dem Inszenator wird diese Tatsache durchaus behagen, da der Musik von vornherein ein spürbarer Vortritt im neuen Konzept eingeräumt worden war.

Der einst statuarisch starre Rahmen, der in der Ring-Inszenierung von 1951 bis 1958 sichtbaren Stilwillen demonstrierte, ist heuer kaum noch spürbar. Es gibt zwar noch einige gezwungene und verkrampfte Passagen, wenn etwa die Götter durchweg und Siegfried und Brünhilde im dritten Akt des „Siegfried“ plötzlich in quasi dingloser passiver Starre verharren; aber solchen Szenen, die wohl noch nicht vollständig im Gesamtkonzept eingeordnet sind, stehen in der Überzähl großartig gelöste, von dramatischer Spannung erfüllte Passagen gegenüber.

Die solistische Besetzung glich weitgehend der des Vorjahres. Theo Adam sang zum erstenmal neben der Partie des Wotans auch den Wanderer im Siegfried; in der hier vollzogenen Überwindung erreichte der Sänger-Darsteller den Höhepunkt in seiner freiwilligen Resignation. — Birgit Nilssons grandiose Brünhilde, Gustav Neidlingers machthungriger Alberich und Erwin Wohlfahrts grotesk exzessiver Mime erregten schon im Vorjahr Aufsehen. Wolfgang Windgassen enttäuschte nach seiner lässig-hämischen Loge-Darstellung als Siegfried, da er offensichtlich indisponiert war. James King hat seine Vorjahrsleistung als Siegmund noch überboten, ebenso Leonie Rysa- nek als Sieglinde. Nach dreijähriger Abwesenheit war Martha Modi als bezwingende Waltraute nach Bayreuth zurückgekehrt. Erstmals sang Annelies Burmeister die Partie der Frioka; Vera Soukupova fehlte für die Partie der Erda das nötige Stimmvolumen besonders in der tiefen Lage; Ludmilla Dvorakova blieb eine blasse Gutrune.

Karl Böhms musikalische Ausdeutung rührte an die letzten Geheimnisse der Partitur. Wohl kaum einem anderen Dirigenten unserer Zeit gelingt es so zwingend und überzeugend, fesselnde Dramatik und neutrale episch-musikalische Erzählung gleichermaßen ausgewogen nebeneinander zu stellen. Karl Böhm ist kein Wagner-Dirigent alter Schule, man spürt, wenn man Wagner- Musik unter ihm hört, daß er auch ein vortrefflicher Mozart- und Strauss-Dirigent ist; bei soviel Liebe zum Detail, zur Melodie und zum Weichen bleiben Trauermarsch, Rheinfahrt u. a. nicht länger nur „schöne Stücke“, die mit auftrumpfender Orchesterperfektion vnncrpt.rn ppn wprripn snnrfprn HIP

sind im dramatisch-musikalischen Handlungsablauf voll integriert.

Neben dem ersten „Ring“-Zyklus leitete Karl Böhm noch die Wiederaufnahme der Inszenierung von „Tristan und Isolde“ aus dem Jahre 1964. Erstmals sangen neben Wolfgang Windgassen und Birgit Nilsson in den Titelrollen Christa Ludwig die Brangäne und Martti Talvela den König Marke. Die Premiere wurde von der Deutschen Grammophon-Gesellschaft mitgeschnitten und soll noch in diesem Jahr auf Schallplatten erscheinen.

Carl Melles dirigierte die „Tannhäuser“-Aufführungen mehr schlecht als recht; manche Details waren gut herausgearbeitet, im ganzen betrachtet waren die Tempi jedoch spannungslos zerdehnt und verschleppt. In der Titelpartie stellte sich erstmals Jess Thomas mit einer bestechenden gesanglichen Leistung vor, doch vermißte man noch die darstellerische und geistige Ausformung der Gestalt.

Die musikalische Leitung des „Pdršifal“ war dieses Mal dem französischen Neutöner Pierre Boulez anvertraut worden. Spätestens hier vermißte man die Gegenwart Wieland Wagners, da auf der Bühne das altgewohnte geheimnisvolle Weihespiel zelebriert wurde, während das Orchester manchmal etwas vordergründig dramatisch, aber immer intensiv musizierte. Neben Karl Böhm hat Wieland Wagner in Boulez einen weiteren ihm und seinen Intentionen adäquaten Dirigenten gefunden.

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