6685678-1962_15_15.jpg
Digital In Arbeit

Die Stuttgarter in Wien

Werbung
Werbung
Werbung

Der Kölner Intendant O. F. Schuh hat vor kurzem erklärt, das „emphatische Bekenntnis zum Ensemble“ gehe ihm nachgerade auf die Nerven“. Ob da sich nicht gleich der Regisseur Schuh berichtigend zu Wort melden müßte? Wir jedenfalls sind noch' 'imcnf soweit. 'Utk 6 geht-das Zufäl ligö^foki; Routinemäßig^ auf die Nerven,; ■md wir erholen uns, wenn wir in der Oper einmal ein echtes Ensemble am Werk sehen. Ein Ensemble, zu dem nicht nur die

Sängerschauspieler gehören (die gleichen, die bei der Premiere dabei waren und nun auch auswärts, in der zehnten oder fünfzehnten Aufführung, singen), sondern auch Regisseur, Bühnenbildner und Dirigent.

Noch haben wir das erste Gastspiel der Württembergischen Staats-o p er vor zweieinhalb lahren in bester Erinnerung. Dieses „bestens“ meint nicht nur die Deutlichkeit, sondern auch das Positive, Erfreuliche und Ermutigende jener ersten Begegnung. „Jephtha“ von Händel, „Parsi-fal“ und Ianä£eks „Jenufa“ - das waren drei unvergeßliche Abende modernen Musiktheaters und hochrespektable Leistungen eines Sängerensembles, unter dem sich keiner fand, der auf das Niveau drückte. Da war zugleich auch eine Einheit von Bühne, Musik und Aktion, von Optischem und Akustischem, die nur durch ein wohlabgestimmtes und aufeinander eingespieltes Ensemble zu realisieren ist. Ob hierfür die Zeit heute tatsächlich vorbei ist, ob sich ein Ensembletheater nur noch da und dort für eine begrenzte Zeit verwirklichen läßt - wer könnte diese Frage positiv beantworten, wenn man sieht, wie allerorten die Flinte ins Korn geworfen wird. (Auch der oben zitierte O. F. Schuh war früher einmal, wenn ich mich recht erinnere, anderer Meinung.) Wie dem auch sei: wir haben wieder einmal, beim zweiten Gastspiel derWürttember-

gischen Staatsoper, ein (echtes Ensembletheater zu sehen bekommen. Und wir beneiden die Stuttgarter darum.

Dieses Gastspiel ist für uns deshalb von besonderem Interesse, weil allgemein bezeugt wird, daß der Initiator und Spiritus rector des Stuttgarter Ensembles dessen In-, tendant Prof. Dr. Schäfer, ist, den Karajan als seinen Kp-Direktor,,,wenri auch vorlaut fig nur für ein Jahr, für die Wiener Staats-1 oper gewonnen hat. Und es wird, von allen

noch zu überwindenden Schwierigkeiten abgesehen, für Prof Schäfers endgültige Entscheidung sicher von Bedeutung sein, ob er den Eindruck gewinnt, ein solches Ensembletheater auch in Wien auf die Beine stellen zu können...

„Der Türke in Italien“, eine Buffa Rossinis, die 1814 an c't Scala uraufgeführt wurde, ist recht eigentlich eine Wiederentdeckung der Stuttgarter, die diese vergessene Oper (es existierte nur ein einziges Aufführungsmaterial) während der vorigen Spielzeit in einer szenischen Neufassung von Dr. Günther R e n n e r t herausgebracht und mit großem Erfolg gespielt haben. Das Verlockende daran mag vor allem die „offene Dramaturgie“ dieses Stückes gewesen sein, der Reiz, eine Oper „in statu nascendi“ vorzuführen. Hauptper;on ist nämlich der Poet, der zwar ein halbes Dutzend Personen, aber noch keine Handlung im Kopf hat. Das Ganze ist eine Intrigen- und Eifersuchtsgeschichte zwischen einem mit Recht eifersüchtigen Ehemann, dessen lebenslustiger Frau, einem reichen Türke, einer Zigeunerin und dem Hausfreund. Der Witz der Sache besteht nun darin, daß diese wohlbekannten Typen sich selbst parodieren. Das war so recht ein Stoff für Günther Rennens einfallsreiche und

geistvolle Regie, wobei er durch die ausgezeichnete Bühnenbildnerin und Kostüm-zeichnerin Ita Maximowna jede nur denkbare Hilfe erhielt. Denn was sie da auf die Bühne zaubert an phantastisch gewandeten Figuren, mobilen Pavillons und Schiffen, ein persifliertes Traumitalien des modernen Tourismus samt pseudoorientalischen Typen (die drei leibdiener des reichen Türken etwa, die Zigeunerin und das kleine Negerballett), ist wirklich erheiternd und wird von Rennert auf die witzigste Art benützt und in Bewegung gesetzt. Dazu musiziert das Orchester der Stuttgarter unter GMD Ferdinand Leitner genau und delikat, nur in den Streichern zuweilen etwas trockener klingend, als wir es bei Rossini gewohnt sind. Aber vielleicht wollte es der Dirigent so haben... In den Hauptrollen: Horst Günther (Poet), Klaus Bertram, Fritz Linke, Ruth-Margret Pütz (virtuos singend, mit unfehlbaren Koloraturen), Fritz Wunderlich (als Liebhaber ein sich selbst persiflierender Belcantist), Hetty Plümacher, Conrad Spitzer und die drei Leibdiener Praast, Eggert und Poddine in Paraderollen.

Als zweites Stück: Garcia Lorcas lyrische Tragödie „B 1 u t h o c h z e i t“. deren deutsche Erstaufführung als Sprechstück übrigens ebenfalls in Stuttgart stattfand, in Wien durch eine eindrucksvolle Aufführung im Akademietheater bekannt, mit Musik von Wolfgang Fort er. Zweifellos ist diese Partitur in strenger Zwölftontechnik Fortners beste Arbeit. Wie der Dirigent der Aufführung, Ferdinand L e i t n e r, bei einer Pressekonferenz sagte, findet sich hier keine Note zuviel, und alle Ausführenden hatten mit dem Werk (das in Stuttgart schon zwölfmal auf dem Spielplan stand) eine immer wachsende Freude und ein ästhetisches Vergnügen. Dem Publikum, das diese Musik zum erstenmal hört, macht es Fortner nicht ganz leicht. Immerhin wird die Sprödigkeit seiner Tonsprache aufgelockert durch Spanisch-Folkloristisches: diese ganze Partitur ist durchtönt von Kastagnettengeklapper, Gitarren und Bolero-Rhythmen. Technisch arbeitet Fortner mit Variationen und verschiedenen Rondo-Formen. So ist eine große Einheitlichkeit erreicht, wen auch zuweilen, und an entscheidenden Stellen, der lyrische Zauber und die großen dramatischen Gebärden fehlen. Die Bühnenbildnerin Leni Bauer-E c s y hielt sich im wesentlichen an Lorcas genaue Anweisungen und hat überdies eine Fülle nobler spanischer Kostüme geschaffen. Sehr gut gelöst wurden von Nika Nilanoya die Tanzszenen. Rennert als Regisseur hielt sich an eine einfache , und Wenge. Linie., Für die Demonstration der' SpamiwelteHvOrV RetM' nerts Talent hätte es kaum geeignetere Objekte gegeben als die fast kabarettistische Verspieltheit von Rossinis Buffa und Lorca-Fortners hochtragischen Stil. Die Szene beherrschte Martha M ö d 1 als Mutter, eine Figur vom Format antiker Tragödien. Imposant in Spiel und Stimme auch Hans Günther Nöcker als Leonardo, neben ihm Lore Wissmann (Braut), Margarete Bence (Magd), ferner Hetty Plümacher, Paula Brivkalne und Res Fischer. Ferdinand L e i t n e r holte mit dem soliden und aufmerksamen Orchester alles aus der komplizierten Partitur und verhalf dem ungewöhnlichen Werk zu einem schönen Erfolg.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung