tag_die_ueberfluessigen - © Foto: Anna Stoecher

„Die Überflüssigen“: Nicht Text, aber Subtext

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Die Regisseurin Sina Heiss erreicht Tschechows Vorlage nicht annähernd, überzeugt aber bei der Verwendung von nichtsprachlichen Darstellungsmitteln.

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Die Regisseurin Sina Heiss erreicht Tschechows Vorlage nicht annähernd, überzeugt aber bei der Verwendung von nichtsprachlichen Darstellungsmitteln.

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So manchem scheint es offenbar, als seien die Stücke von Anton Tschechow (1860–1904) durch ihre Abkehr von einer handlungsbetonten Dramaturgie in der gegenwärtigen Krise von besonderer Relevanz. Die 1981 in Tirol geborene Regisseurin Sina Heiss wollte das genau wissen. Sie hat Tschechows Frühwerk „Iwanow“ „sehr frei“ überschrieben und es unter dem Titel „Die Überflüssigen“ am Theater an der Gumpendorfer Straße auch gleich selbst in Szene gesetzt. Herausgekommen ist ein etwas langatmiger Theaterabend, dem es kaum einmal gelingt, die selbstgestellte Aufgabe nach der Aktualität des Stücks vor dem Hintergrund der Pandemie plausibel zu machen. Die Dramenproduktion von Tschechow war einerseits selbst Ausdruck einer Krise (die der Form), und andererseits passt dessen Absage an heroische Figuren wie auch an große Konflikte gut in unsere krisenhafte Gegenwart. Diese ist darüber hinaus eine fast perfekte Tschechow-Situation: Denn in einer Zeit mit beschränkter Handlungsmöglichkeit haben wir pandemiebedingt viel Gelegenheit, das Vergehen der Zeit zu beobachten und über den Sinn des Lebens nachzudenken.

Zeit und Ort der Handlung der „Überflüssigen“ ist „Frühling 2020“ und damit zwangsläufig der unspektakuläre Alltag eines leidlich erfolgreichen Software-Unternehmers. Nicki (Raphael Nicholas) ist wenigstens gut verheiratet, sodass ihn die drohende Insolvenz wenig kümmert. Moralisch bedenklicher wirkt da schon die Trägheit des Herzens, mit der er der Krankheit zum Tode begegnet, die seine Frau Anna (Michaela Kaspar) bedroht. Er ist eine jener unglücklichen, orientierungs- und freudlosen Gestalten, wie man sie aus fast allen Stücken von Tschechow kennt. So vermag ihn auch die neue Liebe nicht aus seiner Apathie zu befreien. Auch sie ist kaum mehr als Zerstreuung.

Tschechows Stücke sind genau komponierte ästhetische Gebilde, die man nicht ohne Verluste umarbeiten oder gar kopieren kann. Heiss ist sichtlich bemüht, die Charakteristiken von Tschechows Dialogkunst zu imitieren: so der Wechsel zwischen Banalität und Ernst, die jähen Themenwechsel, die mosaikartige Sequenzen entstehen lassen, der Umgang mit Unterbrechungen, Pausen und dem Schweigen. Ohne freilich die Vorlage auch nur annähernd zu erreichen. Überzeugender ist die Verwendung von nichtsprachlichen Darstellungsmitteln. Da folgt sie den Spuren, die Tschechows theatrales Schreiben ausgelegt hat. Über Soundloops und akustische Versatzstücke wie über gestische Wiederholungen und durchchoreografierte Szenen versucht sie, die Aufmerksamkeit von den äußeren auf die inneren Vorgänge zu lenken. Es gelingt ihr über diesen Subtext mitunter sogar, den inneren Menschen auch zu zeigen. So leisten die „Überflüssigen“ weniger die Klärung der Frage nach der Aktualität von Tschechows Stück. Sie sind vielleicht so etwas wie ein kleines Exerzitium, wie man diesen großen Theaterautor spielen könnte.

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