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Dostojewski) und Shakespeare

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Mit zwei großen Abenden im Burgtheater von je vierstündiger Spieldauer endeten die heurigen Festspiele der Wiener Sprechbühnen. Walter Liebleins (Jahrgang 1890) ur-aufgeführte Dramatisierung von Do-stojewskijs gewaltigem Prosaepos „Die Brüder Karamasow“ läßt ungeachtet einiger merkwürdiger Ereignisse — zurückgelegte Regie, fremde Eingriffe in das Dramenoriginal, Verärgerung des Autors — daran erinnern, daß Dostojewskij die Frage, ob man seine Romane dramatisieren könne, kategorisch verneint hat. Seine Romane — schon Thomas Mann nannte sie „kolossale Dramen“ — sind fast zur Gänze szenisch kom-

poniert, die Personen außerordentlich dramatisch angelegt, wobei die vorbereitenden Spannungen in Dialogen gipfeln und sich entladen. Der Theatermann scheint also das volle, Sprache gewordene Leben vorzufinden, in das er nur hineinzugreifen braucht. Daher die immer wieder versuchten Dramatisierungen. Aber all das Gewirr von Geschichten und miteinander verknüpften Handlungsfäden hebt sich — antidramatisch — von einem unentbehrlichen Hintergrund ab und eröffnet unerwartete Horizonte. Dazu kommt, daß Dostojewskij, der die menschlichen Dinge in ihrer Tiefe und purpurnen Finsternis sieht, kein Schauender, sondern ein „Denker“ ist. Er wittert um die ■'Gefühle und Gedanken seiner; „Helden'.' und;“,,Ahtihelden“ herum, er lauscht, spürt, gräbt, redet, aber er sieht nicht, wie er es mit seinen eigenen Worten gestanden hat. Es handelt sich nicht um eine Epik im üblichen Sinne, sondern um eine Art von Überrealismus, weil die Vorgänge viel zu innerlich, reflektiert und symbolgetränkt sind.

Hier liegen die unüberwindlichen Schwierigkeiten, die sich jedem Versuch, den vielschichtigen Reichtum des Romans zusammenzufassen und umzustilisieren, entgegenstellen. Indem das Schwergewicht vom inneren Geschehen auf die äußere Handlung verlegt wird, schwindet der geistige Horizont. Das ist der Hauptgrund, warum bisher noch keine Romanbearbeitung ein dramatisches Meisterwerk geworden ist. Was das Theater gewinnt, verliert im allgemeinen die Literatur und umgekehrt. Die Auseinandersetzungen, im Roman von einem breiten epischen Strom getragen, wirken von der Bühne herab, gleichsam als These und Antithese proklamiert, seltsam isoliert und theoretisch. Die „grimmige, entfesselte, rohe, rasende Erdkraft“ der Karamasows, die sich unter einem immerwährenden Jüngsten Gericht auswirkt, wird nur zahm vorgeführt. In der entscheidenden Szene zwischen dem Nihilisten und Atheisten Iwan und dem erbärmlichen Lakaien und Halbbruder Smerdjakow, dem späteren Mörder des alten Karamasow, bleiben in Liebleins Fassung von der ungeheu-

ren „Legende vom Großinquisitor“ gerade noch die Schlußsätze. Der wunderbaren Gestalt des Starez Sossima, der allein durch seine tätige All-Liebe und gütige Weisheit die verheerende „Kraft“ der Karamasows erkennt, sind in einem knappen Auftritt der ersten Szene lediglich einige Dutzend Worte vorbehalten. Unerträglich auch, wenn die leidenschaftlich bewegte Sprache Do-stojewskijs immer wieder durch banale Wendungen aus der Umgangssprache durchsetzt wird, etwa: „Wunder passen mir, aufrichtig gesagt, nicht in den Kram“ (Cousin Pjotr). „Nach meiner Überzeugung kann man in jedem Weib etwas Interessantes finden“ (der alte Karamasow). „In der Tiefe meines Herzens bin ich schuldig, aber das ist meine Privatangelegenheit“ (Dmi-trij).

In der Aufführung des Burgtheaters gelangen am besten die ersten Szenen, dann zerbröckelt das Geschehen zu einem privaten Kriminalfall und löst sich schließlich in die viel zu breit geratenen Gerichtsszenen auf. Einigen Darstellern gelingt es, die dämonische Besessenheit und Zerrissenheit der Personen, ihre Grausamkeit und Selbstquälerei, die zum Verhängnis drängt, heraufzubeschwören. Am besten Walther Reyer als Dmitrij, recht gut Heim Moog als zügelloser, lasterhafter Vater Karamasow, Alexander Trojan als Iwan, Heinz Striebeck als Smerdjakow; Heinz Ehrenfreund ist als „Engel“ Aljoscha gar zu sanft. Sonja Sutter (Katerina Iwanowna), Martha Wallner (Gruschenka) haben nur wenig Gelegenheit zur Entfaltung. Die Spielleitung des jugoslawischen Regisseurs Bojan Stupica enttäuschte; seine Bühnenbilder wechseln zwischen Häßlichkeit und Kitsch. Der Beifall galt vornehmlich den Hauptdarstellern.

Auch Shakespeare hat in „Romeo und Julia“ nur eine Erzählung dramatisiert; aber indem er völlig frei schaltete, hinzu erfand und wegließ, ist ein völlig selbständiges Dramengebilde entstanden. Nicht die Tragödie der Liebe, sondern die der unbändigen, der maßlosen Jugend, die, unfähig, irgendeine Entwicklung abzuwarten, jeden Widerstand mit ihrem Trieb vergewaltigt u:;d <m der Ungeduld ihres Herzens stirbtTAls „Romeo und Giulietta“ hat uns nun das Florentiner Teatro della Pergola Shakespeares Drama unter der Regie des genialen Franco Zeffirelli und in der Prosaübersetzung von Gerardo Guerrieri mit echt italienischer Komödiantik vorgeführt. Wann hat je die lyrische Grundmelodie dieser waffenklirrenden moralischen Mär von Liebe und Tod im Zusammenklang mit einer entfesselten Bewegungsdynamik die Bühne des Burgtheaters so bis in den letzten Winkel mit Leben erfüllt! Einige Szenen wird man so schnell nicht vergessen: die hinreißende Realität der sich prügelnden Bedienten auf dem Marktplatz, die Fechtszenen, der Tod Mercutios, die bezaubernde Anmut der ersten Begegnung der Liebenden auf dem Fest, die beiden Balkonszenen, die atemlose, glückschluchzende des Werbens und die tragisch verdunkelte des Abschieds.

Von dem Ensemble seien besonders genannt: Anno Maria Guarnieri als eine Julia voll leidenschaftlicher Grazie, Giancarlo Giannini als Romeo In Erscheinung und Schwung des Spieles gleichwohl überzeugend, Ave Ninchi als umwerfend komische und redselige Amme, Paolo Graziosi als männlicher Mercutio und Alfredo Bianchini als heiterer, gütiger, geschäftiger Mönch. Jubelnder Beifall dankte für vier Stunden, die fern allem üblichen klassischen Bildungstheater von staunenswerter Lebendigkeit erfüllt waren.

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