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Dramaturgie der neuen „Seh-Spiele”

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Am Beginn standen Pioniergeist und die Verbindung von Kunst und Natur in dieser besonderen Landschaft.

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Am Beginn standen Pioniergeist und die Verbindung von Kunst und Natur in dieser besonderen Landschaft.

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Man fühlte sich am Abend dieses ersten Juli 1995 in Bregenz um 50 Jahre zurückversetzt: Auf zwei Kiesschiffen im idyllischen Gondelhafen wurde getanzt und musiziert, die Lichter spiegelte sich im Wasser, zum Schluß gab es ein großes Feuerwerk, und Tausende säumten das Ufer. Genau so mag es damals gewesen sein, im Sommer 1946, als man auf schwankenden Brettern an diesem Ort das erste „Spiel auf dem See” aus der Taufe hob, Mozarts „Bastien und Bastienne”.

Mit dieser liebevollen Bekonstruk-tion feierten die Bregenzer Festspiele heuer ihren 50. Geburtstag, zusammen mit der Bregenzer Bevölkerung, aus der damals eigentlich der Anstoß zur Gründung dieser Festspiele gekommen war, zaghaft zunächst, aber beseelt von einer fast trotzigen kulturellen Aufbruchsstimmung im ersten Nachkriegsjahr.Auch und gerade heute, da das Festival sich mit unverwechselbarer Identität und hoher künstlerischer Qualität zu Weltgeltung emporgeschwungen hat, ist die Idee der Verbindung von Kunst und Natur ihr Herzstück geblieben. Der Weg dorthin freilich war steinig und von Bückschlägen begleitet.

Denn genaugenommen krankten diese Bregenzer Festspiele jahrzehntelang an ihrem eigenen Image, das harmlos-liebliche „Operettenfestival” am Bodensee zu sein. Zwar gab es mit ersten Opern und Musicals am See immer wieder Emanzipationsversuche und abseits der Seebühne auch eine hervorragende Pflege von Schauspiel, italienischer Oper und Ballett. Der Buf indessen haftete beharrlich, das Beservoir an seeadap-tierbaren klassischen Wiener Operetten sich schön langsam zu erschöpfen begannen. Ein Besucherschwund war die Folge.

Als zudem ein Bechnungshofbe-richt finanzielle Unregelmäßigkeiten aufzeigte, schlitterten die Bregenzer Festspiele Anfang der achtziger Jahre in die schwerste Krise ihrer Geschichte. Und das ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, da man mit dem 1980 eröffneten Festspielhaus zum erstenmal in Bregenz endlich das langersehnte „Dach über dem Kopf hatte. Verzweifelte Bettungsversuche mit teuren Starengagements (Placido Domingo sang hier 1981 seinen ersten Otello, der junge Jose Carreras 1982 den Edgardo in „Lucia die Lammermoor”) lösten solche Strukturprobleme natürlich nicht. ... Erst :YIüte;jler achtzig'; -Jahre, nachdem Direktor Ernst Bär nach über dreißigjähriger Tätigkeit als Festspieldirektor einer neuen Führungsgarnitur Platz gemacht hatte, kam die Wende. Die Bregenzer Festspiele wurden nun durch zwei gleichberechtigte Direktoren für den künstlerischen und für den kaufmännischen Bereich geleitet, Intendant Alfred Wopmann und Direktor Franz Salzmann, dazu kam als innovativer Präsident der smarte Günther Bhomberg.

Dem neuen Team gelang der Erfolg in zweifacher Hin- — sieht: Das „Spiel auf dem See” wurde zum hochrangigen künstlerisch-technischen Open-Air-Event ausgebaut, und dieser hohe Einsatz schlug sich augenblicklich auch in Besucherzahlen nieder, wie sie Bregenz zuvor noch nicht erlebt hatte. Waren es 1979 noch 40.000 Personen pro Saison gewesen, so sahen allein im Vorjahr über 150.000 Menschen den sensationellen Bregenzer „Na-bueco”. Und seit 1986 hat die Seeproduktion, der großen Nachfrage wegen, eine Laufzeit von jeweils zwei Jahren.

Was die Massen faszinierte und mobilisierte, wird seit einigen Jahren mit dem Schlagwort „Bregenzer Dramaturgie” zu definieren versucht. Es ist die neue Bild- und Inszenierungssprache auf dem See, die unter Einbeziehung der Elemente zu einer Überhöhung der Darstellung führt und somit den Bereich Oper auf breiter Basis begreifbar werden läßt: Seespiele als „Seh-Spiele”. Der französische Theatermagier Jeröme Savary •^war der erste, der higr mit seinejj „Zauberflöte” und „Carmen” Geschichte in Sachen neuer Open-Air-Ästhetik geschrieben hat, gefolgt vom Engländer David Pountney, dessen „Holländer” und „Nabucco” jeweils atemberaubende psychologische Deutungen von dennoch höchstem Unterhaltungswert boten. Er wird heuer auch den mit Spannung erwarteten „Fidelio” inszenieren.

Im Gegensatz zum populären Musiktheater für jedermann auf der Seebühne werden im Festspielhaus seit 4988 fast vergessene Opernraritäten ans Bühnenlicht geholt - und auch das ist ein Teil der „Bregenzer Dramaturgie”. Mit „Samson und Dalila” von Camille Saint-Saens etwa brachten sich die Festspiele auch auf einer anderen Ebene als jener der Seebühne ins Bewußtsein von Opernken-rfern: Seit damals gilt Bregenz als erste Adresse für Opernfreaks, die das Außergewöhnliche lieben. Über „La Wally”, „Mazeppa”, „La Damnation de Faust” oder „Francesca da Bimini” führt der direkte Weg heuer zur Wiederentdeckung von Nikolaj Bim-sky-Korsakows „Legende von der unsichtbaren Stadt Kitesch”.

Besonders stolz aber sind die Festspiele darauf, daß trotz des aufwendigen Qualitätsangebotes durch die hohe Auslastung auch alemannischwirtschaftlich gearbeitet wird wie nie zuvor. Seit 1979 haben sich die Besucherzahlen vervierfacht, die Subventionen durch die öffentliche Hand (40 Prozent Bund, 35 Prozent Land, 25 Prozent Stadt Bregenz) wurden von 68 Prozent im Jahre 1979 auf heute 33 Prozent des Gesamtbudgets gesenkt, die Eigeneinnahmen haben sich verzehnfacht.

Und wenn heute von politischer F-Seite moniert wird, daß das „Fidelio”-Bühnenbild satte 100 Millionen Schilling gekostet habe, dann rechnen die Festspiele cool vor, daß allein diese Produktion in zwei Jahren Laufzeit mehr als das Doppelte dieses Betrages wieder einspielen wird.

Auch an Zukunftsplänen mangelt es am Bodensee nicht. Nach dem Willen Wopmanns soll Bregenz eine Ausbildungsstätte für angehende Begis-seure werden, mit dem Bau der dringend benötigten Probebühne zum Festspielhaus wird noch in diesem Herbst begonnen. Die schwankenden Bretter von einst sind heute längst einem absolut sicheren Fundament gewichen.

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