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Ein Autor für Salzburg

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Repertoire, Konzept, „geistiges Profil“ der Salzburger Festspiele — darüber wurde während der letzten Jahre viel diskutiert und geschrieben, und zwar hauptsächlich über die Schauspielaufführungen im Rahmen der Festspiele. Daß diese, gegenüber Oper und Konzert, ins Hintertreffen geraten sind, darüber besteht Ueberein-stimmung bei den meisten Kritikern. Wie aber soll das festliche Schauspiel-Repertoire aussehen? Worauf könnte es sich stützen?

Da stellt, nach dem sang- und klanglos verlaufenen Hofmannsthal-Gedenkjahr 1954, in das der SO.' Geburtstag des Dichters gefallen wäre und in dem sich sein Todestag zum 25. Male jährte, der deutsche Kunstkritiker K. H. Ruppel an das geistige Oesterreich die folgende Frage:

„Wie steht es eigentlich um den Platz Hugo von Hofmannsthals bei den Salzburger Festspielen, deren belebend-stiller Genius der große Dichter vom ersten Augenblick ihrer Konzeption gewesen ist?“ ... Läge nicht Salzburgs Verpflichtung gegenüber dem sich im Wort manifestierenden schöpferischen Genius gerade darin, dem Werk Hugo von Hofmannsthals dieselbe Heimstätte zu bieten wie dem Werk W. A. Mozarts? Hofmannsthal hier musterhaft aufzuführen — wäre das nicht eine ebenso salzburgische wie österreichische und europäische Angelegenheit? In welches anderen Dichters Werk und Natur lägen die Wirkungselemente, die Salzburgs internationalen Ruhm und seine • Stellung als eine Festspielhauptstadt von Weltruf bestimmen, auch ah Wesenselemente einer schöpferischen Persönlichkeit so nahe beieinander wie in Hofmannsthal? Der ideale Umstand, daß ein Geist und der Raum, in dem er sich kundgibt, einander vollkommen entsprechen, liegt wie im Falle Mozart auch im Falle Hofmannsthal vor... Er gehört dorthin. Als eine salzburgische Dignität. Als eine österreichische Verpflichtung. Als ein europäisches Ereignis. Wenn die Dichtung sich als Festspielregion wieder behaupten soll neben der Musik, dann ist er der erste, der in Salzburg von dieser Region Besitz ergreifen sollte.“

Wir haben diese Stimme aus Deutschland zitiert, um unseren eigenen Planern ein wenig ins Gewissen zu reden. Denn während der Festspiele 1957 wurde auf einer Pressekonferenz die Absicht verlautbart, heuer „Das gerettete

Venedig“ von Hofmannsthal aufzuführen, dem in den folgenden Jahren weitere Stücke folgen sollten. Dieses Projekt hat man offenbar fallen lassen. Denn außer dem traditionellen „Jedermann“ findet sich kein einziges der Sprechstücke Hofmannsthals in den Ankündigungen für die Festspiele 1958. Und das ist schade.

Studiert man nämlich das Werkverzeichnis beziehungsweise die vor dem Abschluß stehende Gesamtausgabe der Werke Hofmannsthals im S.-Fischer-Verlag, so stößt man auf eine Reihe von Stücken, die seinerzeit gespielt und an verschiedenen deutschsprachigen Bühnen aufgeführt wurden, in Salzburg aber überhaupt noch nicht oder seit Jahrzehnten nicht mehr zu sehen waren.

Da ist zunächst die Reihe der kleinen Dramen und Einakter: „Der Tod des Tizian“, „Der Tor und der Tod“, „Der weiße Fächer“, „Die Frau im Fenster“, „Das kleine Welttheater“, „Der Kaiser und die Hexe“, aus denen — wenn man je zwei koppelt — drei auf drei Jahre verteilte inhaltsreiche und interessante Abende zu gewinnen wären. Freilich bedarf es zu ihrer Realisierung einer vollkommenen Sprachkultur und eines Regisseurs, der ein Gespür für den lyrischen Charakter dieser literarischen Kostbarkeiten hat.

Dann ist da die Reihe der Stücke aus dem Umkreis der griechischen Mythologie: „Alkestis“, „Oedipus und die Sphinx“, die Sophokles-Nachdichtung „Oedipus der König“ 'unaElelctra'Tdie1 seinerzeit, noch vor der Vertonung durch Richard Strauss, ein erfolgreiches Sprechstück war.

Hofmannsthals Lustspiele sind bekannter und bedürfen keiner Präsentation: „Der Schwierige“, „Der Unbestechliche“, „Cristinas Heimreise“, die Moliere-Bearbeitungen „Der Bürger als Edelmann“ und „Die Lästigen“ sowie die Cal-deron-Nachdichtung „Dame Kobold“ wurden ja in Wien gespielt.

Dagegen sind Hofmannsthals große Stücke, „Die Hochzeit der Sobeide“. „Das gerettete Venedig“, „Das Salzburger große Welttheater“ und „Der Turm“, vollkommen in Vergessen* heit geraten, während das hochbedeutendc und szenisch anspruchsvolle „Bergwerk zu Falun“ in Oesterreich überhaupt noch nicht gegeben wurde und der Entdeckung harrt.

Die folgende Uebersicht, welche zeigt, wo überall nach 1945 Hofmannsthals Theaterstücke aufgeführt wurden, möge den in Salzburg tätigen Direktoren und Regisseuren zur Ermutigung dienen:

„Der Tor und der Tod“: Coburg, Bielefeld, Göttingen, Trier, Wiesbaden, Bonn, Worms, Bamberg, Neuwied, Bremen. Düsseldorf, Gießen.

„Der Kaiser und die Hexe“: Düsseldorf.

„Das gerettete Venedig“: Zürich.

„Das Bergwerfe zu Falun“: Konstanz, Zürich (durch Hilpert).

„Jedermann“: Salzburg, Hersfeld, Zürich, Kaiserslautern, Ulm, Leer (durch Landesbühne), Münster i. W„ Gießen, Detmold, Goslar, Hof a. d. Saale, Berlin, Pforzheim, Lübeck, Gelsenkirchen, Konstanz, Remscheid, Köln, Braunschweig, Neuwied, Schwäbisch-Hall, Castrop-Rauxel, Karlsruhe, Rheydt.

„Das Salzburger Große Welttheater“: Hersfeld, Essen, Wuppertal, Karlsruhe, Würzburg, Stromberger Festspiele, Köln, Passau, Oldenburg, Kassel, Cuxhaven, Dortmund, Wunsiedel (Luisenberg-Festspiele), Hannover, Lübeck, Kleve, Aachen, Gelsenkirchen .Verden, Bamberg, Neuwied, Göttingen, Krefeld, Koblenz, Frankfurt, Münster, Wilhelmshaven.

„König Oedipus“: Berlin, Bad Hersfeld, Ha nover, Marburg.

„Elektra“: Memmingen, Celle, Berlin.

„Semiramis“: Oberhausen (Lesung).

„Der Turm“: Göttingen, Heidelberg, Wien.

„Cristinas Heimreise“: Darmstadt, Bochum, Wiesbaden, Berlin, Wien.

„Die Hochzeit der Sobeide“: Freiburg (Studiobühne der Universität).

„Der Schwierige“: Bielefeld, Göttingei München, Berlin, Düsseldorf.

„Der Unbestechliche“: Karlsruhe, Düsseldorf, Hamburg, Göttingen, Köln, Bielefeld, Essen, Wien.

„Dame Kobold“: Frankfurt, Bielefeld, Berlin, Kassel, Baden-Baden, Wien.

„Eduard und die Mädchen“: Wien. „Die Lästigen“: Wien.

In dieser Liste figuriert Salzburg ein einzige; Mal. Mit dem „Jedermann“. Soll das so bleiben?

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Die ungenügende Kenntnis des Hofmanns-thalschen Werkes, seine echt österreichische Existenz im Schatten, war bisher bedingt durch die Indolenz der mittleren und . höheren Schulen, durch eine sieben- bzw. zehnjährige Unterdrückung im deutschen Sprachraum und durch ungenügende oder völlig vergriffene Ausgaben. Da gab es zunächst, von Hofmannsthal sehr großzügig redigiert, eine Auswahl in sechs schmalen, wenig haltbaren Pappbänden (1924). Zehn Jahre darnach brachte der S.-Fischer-Verlag eine besser ausgestattete Edition in drei Ganzleinenbänden heraus, die auf der ersten Auswahl basiert und die durch einzelne Bände, wie „Loris — die Prosa des jungen Hofmannsthal“, „Nachlese der Gedichte“, „Die Berührung der Sphären“ und das Romanfragment „Andreas oder Die Vereinigten“, ergänzt wurde. Erst 1946 begannen die „Gesammelten Werke“, herausgegeben von Dr. Herbert Steiner, zu erscheinen, von denen bisher 14 Bände vorliegen: die Erzählungen, die Gedichte und kleinen Dramen und je vier Bände Lustspiele, Dramen und Prosa. Für diese Ausgabe muß man dem Herausgeber und dem Verlag dankbar sein. Aber sie ist für den Liebhaber oft zu teuer und bietet dem Wissenschaftler nur sehr karge Hinweise und Kommentare. — Nun hat vor kurzem Doktor Rudolf Hirsch im S.-Fischer-Verlag eine handliche, mustergültig ausgestattete zweibändige Auswahl (Dünndruck in zwei Ganzleinenbänden in Kassette, je 752 und 784 Seiten, Preis 48 DM) herausgegeben. Der erste Band enthält die aus der „Nachlese“ ergänzten Gedichte und eine Auswahl der Dramen und Lustspiele, der zweite Band die Erzählungen und Aufsätze. — Natürlich mußte hierbei manches Opfer gebracht, auf manches wertvolle Stück verzichtet werden. Nicht ganz zu Unrecht hat der Herausgeber die am meisten zeitbedingten Stücke („Oedipus und die Sphinx“, „König Oedipus“, „Elektra“ und „Alkestis“) weggelassen. Leider fehlt auch das „Salzburger große Welttheater“, für das man gern die „Aegyptische Helena“ gegeben hätte. In dem Prosaband dagegen steht alles Wichtige und Wertvolle, vom Andreas-Fragment über die Oesterreich betreffenden Essays bis zu Hof-manntshals letzten Prosaarbeiten: „Vermächtnis der Antike“, „Wert und Ehre deutscher Sprache“ und „G. E. Lessing“. Der letzte der eingangs erwähnten Gründe für die mangelnde Kenntnis des Hofmannithalsc'ien Werkes ist also endgültig beseitigt.

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