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Eine Stadt kämpft um ihr Theater

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Die Rolle, die die Stadt Graz im österreichi- ichen und im übrigen deutschsprachigen Theaterleben seit Jahrhunderten spielte und die sie noch heute innehat, ist bekannt: Graz ist seit langer Zeit für Sänger und Schauspieler das Sprungbrett nach Wien und auf die großen Bühnen der Welt. Daß die Oper mit ihren für eine „Provinzbühne" oft mehr als beachtlichen Aufführungen einen bedeutenden Platz im Ganzen des mitteleuropäischen Musiktheaters einnimmt, ist vielleicht geläufiger als die Tatsache, daß in dieser Stadt echter und geradezu sprichwörtlicher Theaterbegeisterung auch das Schauspiel eine nicht minder wesentliche Aufgabe zu erfüllen hat.

Heute nun ist in der Theaterstadt Graz kein rechtes Heim mehr da für das Sprechstück. Obwohl auf dem Freiheitsplatz, gegenüber dem spätgotischen Dom und dem Campanile des Mausoleums sich nach wie vor das klassizistische Schauspielhaus erhebt. Ein Kleinod österreichischer Theaterkultur blickt in unaufhaltsamen Verfall, mit abblätterndem Verputz, aus blinden Fenstern den Vorübergehenden an. Seit fast fünf Jahren wird in dem Haus nicht mehr gespielt. Das Grazer Schauspielensemble muß sein Dasein in einem beschämenden Notquartier — dem Rittersaal des Landhauses — fristen, einem völlig unakustischen, alle Illusion ertötenden Saalschlauch. Man versucht dort auf geradezu heroische Weise noch das menschenmögliche aus den tristen Verhältnissen zu holen, obwohl die technischen, sanitären, ja die moralischen Zustände (die Damen müssen vor ihrem Auftritt die Herrengarderobe durchqueren) ganz einfach desolat sind. Trotzdem wird in diesem als Theater unzureichend adaptierten Barocksaal mit Idealismus und Hingabe gespielt, eine wahrhaft bewundernswerte Leistung, wenn man bedenkt, daß Aufführungen gewisser Werke, insbesondere die der Klassik, in diesem Raum schon vor dem Aufgehen des Vorhangs eine Totgeburt sind.

Der zweite Weltkrieg war gnädig und verschonte das Haus auf dem Freiheitsplatz vor seinen Bomben. Nicht lange darauf gastierten, wie einst vor 300 Jahren, wieder englische Komödianten, die berühmten ,;English Players“. So schien in den Nachkriegsjahren das alte Haus nach dem Niedergang während des Krieges wieder zu neuem Ruhm emporzusteigen. Doch da erließ im Jahre 1951 die Baupolizei plötzlich das Verbot weiterer Aufführungen, lieber Grillparzers Trauerspiel „Des Meeres und der Liebe Wellen“ fiel am Ende der Spielzeit 1951/52 der Vorhang über einem bemerkenswerten Kapitel österreichischer Theatergeschichte.

Seit fünf langen Jahren schläft das Grazer Schauspielhaus nun schon seinen Dornröschenschlaf. Die Geldmittel, die die Grazer Bevölkerung vor mehr als 100 Jahren noch für ihr Theater aufgebracht hatte, sind heute nur allzuschwer flüssigzumachen. Zwar fehlte es dies halbe Jahrzehnt hindurch nicht an mahnenden Appellen, an bewegten Stellungnahmen in der lokalen Presse, ja sogar eine Unterschriftensammlung wurde durchgeführt. Die Behörden aber arbeiteten nur zäh. Ein Hoffnungsschimmer war der Architektenwettbewerb zum Wiederaufbau des Hauses im Jahre 1955. Zwei finanzielle Versuche, die inzwischen gestartet wur den, blieben ohne Erfolg. So ist es nur verständlich, daß die glanzvolle Wiedereröffnung der Wiener Staatstheater neben der großen Mitfreude am nationalen Ereignis eine gewisse Bitterkeit bei den Grazer Theaterfreunden auf- kommen ließ, zumal die Hoffnung auf eine Restaurierung des eigenen Theaters nur noch in weitere Ferne entrückt schien.

In letzter Zeit aber hat sich diese Depressionsstimmung in berechtigten Optimismus gewandelt: das Land Steiermark stellte in seinem Budget eine Summe für das Bauvorhaben zur Verfügung (die Kosten des Wiederaufbaues betragen dem Vernehmen nach etwa 40 Millionen Schilling), der Generalsekretär der Vereinigten Bühnen, Hofrat Coudenhove, legte das Problem in einer Rundfunkrede der österreichischen Oeffentlichkeit vor. Ein Ereignis schließlich gab den Anstoß zu ernsten Aktionen: der Direktor des Grazer Schauspiels, Ludwig Andersen, erhielt im vergangenen Dezember aus den Händen des Unterrichtsministers den Staatspreis für Theaterdirektoren. In seiner Dankansprache an den Minister verwies Ludwig Andersen in bewegenden Worten auf die Notlage des Theaters in der zweitgrößten Stadt Oesterreichs und tat seinen Entschluß kund, den ihm eben verliehenen Preis in seiner vollen Höhe als ersten Baustein für das Schauspielhaus zu spenden. Diese schöne menschliche Haltung des verdienten Theatermannes hatte eine wahre Kettenreaktion zur Folge. Eine Publikumsorganisation zeichnete einen namhaften Betrag, andere Institutionen und Privatleute folgten und werden folgen. Nun hat sich im Jänner dieses Jahres ein „Komitee zur Rettung des Grazer Schauspielhauses“ konstituiert, dessen Ehrenschutz Unterrichtsminister, Landeshauptmann und Bürgermeister innehaben werden. Das Proponentenkomitee, dem auch der Dichter Max Mell angehört, stellt sich zur Aufgabe, in Propaganda- und Spendenaktionen einerseits möglichst viele Grazer einen Beitrag zum gemeinsamen Werk leisten zu lassen und anderseits die Oeffentlichkeit, insbesondere den Bund, um Hilfe anzurufen.

• Wiederum stellte der Bund heuer 50 Millionen Schilling den Bundestheatern zur Verfügung, die Subventionen für die Provinzbühnen dagegen wurden gekürzt, so daß beispielsweise das Klagenfurter Stadttheater bereits ernstlich in seinem Bestand bedroht ist. Es ist aber doch so, wie Ludwig Andersen kürzlich sagte: „Die österreichische Kultur ist nicht nur ein Fremdenverkehrsfaktor, darf sich also nicht nur auf Wien und Salzburg beschränken. In einem Kulturland muß die Kultur in erster Linie für das Land selber da sein. Und da sind die Provinzbühnen ebenso wichtig wie die Staatstheaterl“

Es ist also zu hoffen, daß man sich auch in Wien und in der Bundesregierung klarmacht, daß das Haus, in dem Mitterwurzer, Sonnenthal und Aslan begonnen haben, wieder seine Tore öffnen muß. Denn das Schauspielhaus der Theaterstadt Graz hat einen großen Auftrag im österreichischen Kulturleben zu erfüllen. Es ist hoch an der Zeit, einzusehen, daß es sich bei dieser scheinbar lokalen Frage um ein ernst zu nehmendes Anliegen der kulturellen Würde Gesamtösterreichs handelt. Und deshalb sollte man auch außerhalb der steirischen Hauptstadt die Konsequenzen aus dieser Einsicht endlich ziehen.

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