6772519-1969_08_13.jpg
Digital In Arbeit

Erlösungstheater

19451960198020002020

Die „Ring“-Konzeption, die Staatsinteridant Dr. Günther Bennert Januar' Februar 1969 im Münchner Nationaltheater realisierte, ist die Artikulation eines Mannes, der seine Zeit einbezieht in sein Schaffen. Wir stehen vor Abgründen, wir wissen, daß in Stalingrad ebenso sinnlos gestorben wurde, wie jetzt in Vietnam, in Prag und an den Grenzen Israels sinnlos gestorben wird, wir kennen den Mond von hinten, aber wir werden nicht fertig mit den Hungernden, wir schicken Sonden zur Venus, können aber weder Rassen noch Religionen dieser Erde friedlich vereinen

19451960198020002020

Die „Ring“-Konzeption, die Staatsinteridant Dr. Günther Bennert Januar' Februar 1969 im Münchner Nationaltheater realisierte, ist die Artikulation eines Mannes, der seine Zeit einbezieht in sein Schaffen. Wir stehen vor Abgründen, wir wissen, daß in Stalingrad ebenso sinnlos gestorben wurde, wie jetzt in Vietnam, in Prag und an den Grenzen Israels sinnlos gestorben wird, wir kennen den Mond von hinten, aber wir werden nicht fertig mit den Hungernden, wir schicken Sonden zur Venus, können aber weder Rassen noch Religionen dieser Erde friedlich vereinen

Werbung
Werbung
Werbung

Mit geistiger Konsequenz und künstlerischer Intensität geht Rennert den Weg weiter, der von der pessimistischen Weltanschauung Arthur Schopenhauers über Oswald Spenglers Erfahrungen unabwendbar zu einem neuen Nihilismus führt. Der Durchbruch vom „Dunkel zum Licht“, den man Beethovens „Fünfter“ oder „Neunter“ unterstellt, wird in Rennerts Münchner Ring-Deutung ein Durchbruch durch die Nacht zum Nichts — in das letzte, totale Nihil! München hat, neben Bayreuth, die am tiefsten verwurzelte Wagner-Tradition, und durch die Sternenfreundschaft zwischen König Ludwig II. und Richard Wagner haben allein aus der Ringtetralogie die beiden ersten Werke, also „Rheingold“ und „Walküre“, ihre Uraufführung hier gefunden. So ist es zu erklären, daß kein Opernereignis seit der Eröffnung des wiedererstandenen Nationaltheaters mit so viel Spannung von den Münchnern erwartet und aufgenommen wurde. Es war aber nicht anzunehmen, daß völlig neue Lösungen erzielt würden. Nach der „Generalentrümpelung“, wie Rennert den Stil Wieland Wagners bezeichnet, und den mannigfachen Versuchen in Hamburg und Berlin sowie in Wien und London, strebte Rennert einen „Münchner Ring“ an, der an konkreten Situationen das mythologische Geschehen demonstriert, der eine Synthese ergibt aus gewonnenen Erfahrungen und eigener Sicht. Nicht alles konnte gelingen (manches wird bereits in den Wiederholungen der ersten und zweiten Märzhälfte, mit teilweise alternierenden Besetzungen, verbessert sein). Die Bühnenbilder, die Johannes Dreher nach Entwürfen des verstorbenen Ausstattungsleiters der Bayrischen Staatsoper, Helmut Jürgens, weiterentwickelte, erstarren oft zum Kompromiß, für1 „Rheintöchter“ scheint der Regisseur nicht zu schwärmen, auch liegt ihm das Liebespaar Brünnhilde-Siegfried weit mehr am Herzen als „Sieglinde-Siegmund“ und Lovro von Matacic hätte dem Bayerischen Staatsorchester bei einer differenzierteren und präziseren Diktion und bei noch wesentlich mehr Proben, einen authentischeren Wagner-Klang entlocken können, aber die Tatsache, daß dieser „Ring“ während des laufenden Repertoirebetriebes, innerhalb einer Woche geschlossen über die Bühne gehen konnte, ist das Ergebnis einer erstaunlichen Energie und der gestaltenden und formenden Besessenheit eines meisterhaften Szenikers, der sich eine Besetzung zusammenholte, wie sie sonst nur bei Festspielen zu finden ist. Die Sänger-Darsteller des ersten Ringkomplexes sollen hier summarisch gewürdigt sein: Birgit Nils-son (Brünnhilde), Hildegard Hillebrecht (Sieglinde), Hertha Töpper (Fricka), Leonore Kirschstein (Gutrune), Jean Cox (Siegfried), Theo Adam (Wotan), Wolfgang Windgassen (Siegmund), Gerhard Stolze (Mime), Benno Kusche (Alberich), Richard Horn (Loge) u. a. Günther Rennert wollte nicht um jeden Preis originell sein, er will den „Ring der Nibelungen“ als die Genietat eines revolutionären Geistes gegen alle bürgerlichen Überlieferungen verstanden wissen und sein Endzis' lautete: Erlösung durch Vernichtung! (Darin sind auch die letzten Takte der „Götterdämmerung“ in strahlendem Es-Dur einbezogen.) Die Höhepunkte der Rennert-schen Konzeption sollen rückblickend noch einmal verdeutlicht werden: In unseren Tagen ist „Siegfried“ wohl der darstellerisch heikelste Teil der gesamten Ringtetralogie. Dabei stellt sich immer wieder heraus, daß unsere Zeitgenossen ein sehr feines Gespür für echte Romantik besitzen („Siegfried“ war der einzige Abend ohne die „Buhrufer vom Dienst“, das ist kein Zufall, sondern- sehr symptomatisch), und hier liegt die Stärke von Rennerts Siegfried-Interpretation. Schon der erste Aufzug gelingt ihm ausgezeichnet, in die Behausung von „Mime“, in die man nur durch einen engen Höhlenschlund gelangt, der das Zwergenhafte, Niedrige eindrucksvoll symbolisiert, tritt „Siegfried“ mit der strahlenden Unbekümmertheit der Jugend, kein Held mit dem Dünkel des Übermenschen, sondern ein unbeschwerter junger Mann, der langsam erst seinen Auftrag zu erkennen beginnt, gewissermaßen in sein Schicksal hineinwächst. Wie er dann, in der „Götterdämmerung“, den toten Helden in ein nebuloses Grau hineintragen läßt und eine Welt in ein von Woilkenfetzen umspieltes Nichts auflöst, das hat geistiges Format und menschliche Größe zugleich.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung