Der Selbstmörder - © Foto: Matthias Horn

Es geht um die (Leber-)Wurst

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Das Burgtheater bringt „Der Selbstmörder“, die vieldiskutierte Komödie des russischen Autors Nikolai Erdman, unterhaltsam auf die Bühne.

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Das Burgtheater bringt „Der Selbstmörder“, die vieldiskutierte Komödie des russischen Autors Nikolai Erdman, unterhaltsam auf die Bühne.

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Das zischende Geräusch, das bei einem Kurzschluss entsteht, begleitet von völliger Finsternis, markieren Anfang und Ende dieses Premierenabends im Burgtheater. Es ist Nacht im Russland der Sowjetära. Semjon Semjonowitsch ist auf der Suche nach einer Leberwurst, um den Frust der Arbeitslosigkeit runterzuschlucken. Seine Frau missdeutet das Verschwinden ihres Ehemannes als Todessehnsucht und schon nimmt diese Geschichte ihren eigenwilligen Lauf. Nikolai Erdmans Stück „Der Selbstmörder“ erzählt von Verlogenheit und Doppelmoral seiner Zeitgenossen. Erst die vermeintliche Kurzschlusshandlung macht den ungeliebten Taugenichts für die Umgebung interessant. Es ist eine beißende Kritik an der sowjetischen Gesellschaft, die 1928 geschrieben, erst vierzig Jahre später und nur ein Jahr vor dem Tod des Autors, in Deutschland zur Uraufführung kam.

Peter Jordan und Leonhard Koppelmann als Regie-Duo inszenieren sein vieldiskutiertes Werk als schwarzhumorige Komödie mit derben Commedia-dell’Arte-Anklängen. Florian Teichtmeister als Semjon ist der tragische Held und Hanswurst dieser Aufführung. Ob als beherzter Tubabläser oder als redselige Leiche im offenen Sarg: Es ist ein kurzweiliges Vergnügen, ihm und seinen Schauspielkollegen bei ihren Slapstick-Einlagen zuzuschauen. In wechselnden Rollen versuchen sie dem Protagonisten das Sterben schmackhaft zu machen. Dietmar König begeistert als Vertreter der russischen Intelligenz genauso wie als finnische Zwiegestalt. Alexandra Henkel reüssiert als liebestolle Domina und als ihre romantische Gegenspielerin. Markus Hering tummelt sich abwechselnd als Schießbudenbesitzer, wackelige alte Dame und Bestattungsunternehmer mit Stufenhaarschnitt auf der Bühne. Überhaupt ist das Ensemble in Bestform und scheinbare Patzer (wenn etwa König die Bühne vorschnell verlassen will und das charmant in die Handlung integriert) werden zu vielbejubelten Theatergags.

Kostüme und Bühne machen jeder „Mad Max“-Filmkulisse Konkurrenz. Alles in Schwarz, Grau und ein wenig Rot getaucht. Hammer und Sichel fehlen auch nicht. Die Kleider sind aus Lack, Leder und Netz, die Körper der Schauspieler über und über mit Tattoos verziert. Industrieschick trifft Motorradgang mit Sadomaso-Leidenschaften, oder hat man sich für die anstehende Halloweenparty herausgeputzt?

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