Everywoman - © Foto:  © SF / Armin Smailovic

„Everywoman“ – Der Tod ist jetzt weiblich

19451960198020002020

Salzburger Festspiele: Mit seiner neuen Produktion zielt Regisseur Milo Rau direkt ins Herz des Publikums, „Everywoman“ wirkt unmittelbar existenziell und steht dem „Jedermann“ letztendlich überraschend nahe.

19451960198020002020

Salzburger Festspiele: Mit seiner neuen Produktion zielt Regisseur Milo Rau direkt ins Herz des Publikums, „Everywoman“ wirkt unmittelbar existenziell und steht dem „Jedermann“ letztendlich überraschend nahe.

Werbung
Werbung
Werbung

Mit Hugo von ­Hofmannsthals „Jedermann“ haben wir die Geschichte vom gro­ßen Wandel. Ein liederlicher Kerl besinnt sich im Angesicht des unmittelbar bevorstehenden Todes, gewinnt Einsicht und geht geläutert aus seinem Leben. Vor genau hundert Jahren, nach entmutigender Premiere in Berlin im Jahr 1911, feierte das Stück auf dem Salzburger Domplatz seine fulminante Auferstehung. Seither ist es aus dem Festspielprogramm nicht mehr wegzudenken. Mit der Hofmannsthal’schen Moral-Offensive haben Milo Rau, Jahrgang 1977, und Ursina Lardi, geboren 1970, nichts zu schaffen. Was sie aber beschäftigt, ist der Tod, für sie nicht weniger eine gewaltige Zumutung als für Elias Canetti, der sich darüber heftig empörte.

Was jetzt noch zählt

Und wenn schon vom Tod die Rede ist, gehört, damit gehen sie mit Hofmannsthal noch konform, die Vorgeschichte dazu. Denn vor dem Sterben kommt das Leben, das, im Rückblick vom nahen Ende aus gesehen, auf markante Ereignisse schrumpft. Was ist wichtig, woran lohnt es sich zu erinnern, welche Momente drängen aus den Tiefen des Gedächtnisses ans Licht? Das führt weniger zu einer spirituellen Erfahrung als zu sehr sachlich abgeklärten Berichten über geglücktes Leben. Zwei Frauen aus verschiedenen Generationen stehen dafür ein. Wenn Ursina Lardi von einer Kindheit in der Schweiz spricht, kommen Momente der Unbefangenheit ins Spiel, sie ist jung, hat viel vor, der Tod ist in unnahbare Ferne verschiebbar. In ihrer Unbekümmertheit ist sie mit dem Buhlschaft-Charakter ausgestattet, der das Leben leicht nimmt, auch wenn ihm dämmert, dass er momentan verschont geblieben ist von den Härten der Existenz, die jeden irgendwann heimsuchen.

Für die erschreckenden Vorkommnisse ist Helga Bedau zuständig. Im Programmheft wird die 1949 Geborene knapp vorgestellt: „Im Frühjahr 2020 erhielt sie die Diagnose inoperabler Bauchspeicheldrüsenkrebs.“ In Videosequenzen wird sie eingeblendet, kommt ins Gespräch mit Ursina Lardi, die Empathie und Feingefühl aufbringt, um sie zum Reden zu bringen über das, was jetzt noch zählt. Eigentlich wäre nach Prognose der Ärzte ihre Zeit schon abgelaufen, sie hat es aber noch geschafft, diese Produktion zu Ende zu bringen. Sogar bei der Premiere war sie anwesend. Einmal fragt sie, ob sie im Stück eigentlich eine Hauptrolle spiele. Sie brauche nämlich dringend 6000 Euro, um in Griechenland begraben zu werden, wo ihr Sohn lebt. Die Transportkosten seien nicht gering.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung