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Festliche Oper in Florenz

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Man muß nicht nach Florenz pilgern, um die „Elektra von R. Strauß zu entdecken. Aber das Bekenntnis eines jungen italienischen Musikenthusiasten, dem mit ihr die deutsche Musikbühne zum frühen Erlebnis wurde, wird erst in der Stadt des Grafen Bardi und seiner Opern-Camerata zur bezeichnenden Wahrheit: „Wir brauchen die deutsche Musik, ohne sie fehlt uns etwas.“ Auch die erste italienische Aufführung der Pariser Originalform von V e r d i s „D o n Carlos“ (1867) in Florenz bewies auf dem Gebiet der Interpretation auf ihre Weise die Notwendigkeit einer kulturellen Ergänzung von Süd und Nord. Man begab sich auf den Boden des Originals, verzichtete jedoch auf eine überzeugende geistige Konzeption, die aus den gewaltigen, an Michelangelos Torsen gemahnenden „historischen Fragmenten“ Verdis jenes Drama geformt hätte, um das Verdi selbst dann in mehrfadien Überarbeitungen gerungen hat. Es sdiien, als ob man die theatralische Verwirklichung der wichtigsten Schiller-Oper Verdis einem internationalen Publikum opferte, das sich nach jedem der fünf Akte im Lichter- und Blumenglanz der Gänge und Säle des Teatro Communale froh zu ergehen gewohnt ist: aus dreieinhalb Stunden Werkdauer wurden fünf, und es war zwei Stunden nach Mitternacht, als der Vorhang endgültig gefallen war. Auf der Bühne blieb es bei Szenen, die lose gereiht waren (Regie: G. Salvini, Bild: M. Sironi), Szenen freilidi, in denen die größten Sänger, über die Italien heute verfügt, brillierten: Maria Ca-niglia, E. Stagnani, M. Picchi, B. Christoff, P. Silveri und G. Neri.

Zwischen „Elektra“, mit Anny Konetzni, Martha Mödl, Däniza Ilitsch und Hans Braun in deutscher Sprache gegeben, von Herbert Graf (New York) sinnvoll szenisch entwickelt und von Dimitri Mitropoulos zur vordergründigen orchestralen Manifestation im Sinne einer „symphonisdien Tragödie“ erhoben, und Verdis „Don Carlos“ waren drei weitere Werke angesiedelt, die die Entwicklung der italienischen Musikbühne von höfischer Allegorie über klassizistisch-rationalen Prunk zum Symbolismus der Gegenwart markierten Lullys „Arm i da“ (1686) war zweifellos die Perle des diesjährigen Florentiner Opernreigens, und die so ferne, uns heute wieder so sehnsuchtsnahe Unschuld Ihrer tänzerischen Grazie, der eine gefühlsverhaltene Musik dient, wurde dank der wahrhaft genialen Choreographie von Aurel M. Millosy inmitten der leuchtenden Farben der Dekorationen und Kostüme (F. Clerici und St. Lepri) und im Verein mit den glanzvollen Stimmen Marianne Radevs, T. Tygesens und H. Rehfuß' (Zürich) zu einem Fest zauberhafter Zwecklosigkeit, zu einer Frühlingsapotheose, eine's Botticelli würdig. Der 80jährige Antonio Guarnieri dirigierte.

Kaum vorstellbar heute, daß S p o n t i n i s „Olimpia“ (1819) am Schnittpunkt der rationalistischen Kaiserepoche Napoleons und des deutsch-romantischen Opernaufbruchs steht. (Webers „Freischütz“ kam wenige Tage nach der Berliner Premiere der Spontini-Oper, die ein E. T. A. Hoffmann gepriesen und übersetzt hat, heraus.) Der Gegensatz ihrer orchestralen Reihentechnik der galanten Zeit zu ihren Kantilenen. in denen sich die Figuren ihrer Individualität bereits langsam bewußt werden, erscheint heute unüberbrückbar. Interessant blieb der lebendige Beweis für die auch hier kontinuierliche Entwicklung: in einem Hochzeitschor klingen Weber und Wagner voraus, und die Gestalt des Antigono wird in Telramund ihre psychologische Vertiefung erfahren. Uber der Aufführung lag der Staub teils billiger Repräsentation. (Regie: C. Picci-nato, Bild: P. Conti.) Sie wurde praktisch durch die überragenden Gesangsleistungen von Renata Tebaldi (Olimpia) und Elena Nicolai (Statira) gerettet. Tullio Serafin, der auch den „Don Carlos“ einstudiert hatte, ließ jeweils in dem akustisch überaus „hellhörigen Teatro Communale blitzende Fanfaren und biegsame Hörnerkantilenen aufrauschen, während die Streicher des Florentiner Orchesters nur unter Mitropoulos und Scherchen ihren vollen Glanz entfalteten. ,

Von keiner dieser Opern führt eine organische Entwicklung t;u D a 11 a p i.c o 1 a s „Der Gefangene“, der nach einer Radiowiedergabe nun seine erste szenische Aufführung, wieder unter den rastlos tätigen, bewußt formenden Händen Hermann Scherchens, erlebte. Mehr klug denn aufschlußreich, als „ein Prolog und ein Akt“ bezeichnet, bleiben diese endlosen Monologe eines Gefangenen, in dessen trügerischer Hoffnung auf Freiheit die Menschenangst unserer Epoche symbolischausweglos angeklagt wird, im Zustand einer unbewegt-flächigen Konstruktivität stecken. Nicht Drama und nicht Oper und auch nicht Oratorium, sondern allzu ausgeweitete „Gesangsszene“ im Stile von Schönbergs „Erwartung“ und mit der spürbaren Sehnsucht nach Monteverdis „Lamentation im — Kopf. Ob Zwölftonmusik oder nicht: in diesem Falle blieb der Mensch jedenfalls unerreichbar, und es wäre — ist man doch sonst so weise — klüger gewesen, den an sich bedeutenden und echten Vorwurf (nach de l'Isle-Adam und de Coster) ganz in der oratorischen Plastik von Chor und Orchester zu verankern. Der Einzelmensch verkümmert in diesen Irrgängen graphischer Konstruktion — wie auch das Florentiner Bühnenbild ä la Feininger bewies —, warum also ihn erst bemühen? überragend S. Colombo in der Titelrolle, hilflos die Regie von B. Horowicz.

Eine schöne Wiedergabe von Proko-fieffs „Chout“ (1919), den Milossy gänzlich neu gestaltet hat und der nun den Titel ,11 Burlane (Der Spaßmacher) trägt, wurde im Blick auf die Ballettmetropolen Paris und London als wesentliche Station auf dem Wege zu einem neuen italienischen Ballettstil gefeiert. Mit viel Recht. Nur schade, daß Prokofieffs urwüchsig-russische Musik, der man allerdings allzusehr die Nähe von Stra-winskys „Petruschka“ anmerkt, nun zu einer Harlekinade venezianischen Geblüts erklingt. Musikalischer Charakter und Choreographie sollten niemals zweierlei Dinge sein.

Die Kunst hat viele Gesichter, und im Süden ist Schönheit ihr Trumpf. Von ihrem bloßen Kult zu einer Kultur, die erst aus lebensvollem Inhalt erwächst, ist ein weiter Schritt. Ihn zu tun, war man in Florenz nicht immer bereit.

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