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Festtagstheater nicht ohne Probleme

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Ganz unbeschwert und in spielerischer Festtagslaune konnte man diese lahres-wende nicht begehen: nicht einmal bei Oscar Wilde. Ernst Lothar, der mit seiner Inszenierung des „Idealen Gatten“ am Burgtheater seiner eigenen Regietätigkeit eine abschließende (aber wohl doch nicht endgültige) Zäsur setzte, bewies dies. Man hat bei dieser Salonkomödie zu ihrer Entstehungszeit wohl in erster Linie die reine „Intrige“, die Gesellschaftshandlung zwischen Sar-dou und Sudermann gesehen. Als man dies für überholt hielt, legte man alles Gewicht auf die Gestalt des Lord Goring. Man servierte seine Pointen als kabarettistische Delikatesse, die Handlung rundum wurde nur „mitgenommen“. Lothars Verdienst ist es, den übersehenen Zusammenhang wieder deutlich gemacht zu haben. Goring ist kein danebenstehender Conferencier, er ist ein Mitspieler seiner Gesellschaft, die Wilde durchaus nicht nur verliebt-amüsiert sieht. Er macht die inneren Antriebskräfte dieser nur scheinbar weit entrückten Menschen sehr klarsichtig verständlich: ihren Drang zur Selbstbestätigung im Perfekten, den inneren Krampf eines auf Staubfreiheit bedachten Pharisäertums. Die nur scheinbar spielerisch-paradoxe Moral des Wilde-Sprechers Goring ist die Antwort des Dichters, des Iren an England: auslassen, lockerlassen, vertrauen. Boy G o b e r t war nicht nur für das Brillante, sondern auch für den verborgenen philosophischen Ernst der Rolle der geradezu geborene Interpret. Die anderen Gestalten, die den Wilde-Text in der ungelenkig-altmodischen Fassung Lothars zu sprechen hatten, wurden ihrem psychologischen Leitmotiv nur teilweise gerecht: am besten neben der bis in die Fingerspitzen richtig typisierten Adrienne Gess-ner Aglaja Schmid als liebenswürdigkomplexe Puritanerin. Susi Nicoletti war mehr die berechnende Geschäftemacherin denn die femme fatale. Ganz und gar „Oscar Wilde“, vor allem in den grünen und roten Farbtönen, das Bühnenbild der Ita Maximowna.

Daß es auch bei „Der Widerspenstigen Zähmung“ einen tieferen, existentiellen Sinn gibt, bestreiten die Shakespeare-Kenner, die das Werk als eine Gelegenheitsarbeit nach Vorlage ansehen. Die von der Regie losef G i e 1 e n s in den turbulenten, im ersten Teil unbestreitbar zu turbulenten Rahmen seiner Inszenierung am Akademiethe,ater ein-, bezö&hRäTiimenhatfaT&g1 Wdetf TOmW des Kesselflickers Sly ist zu fragrrtenta-risch für die zuweilen hineininterpretierte Sozialkritik. So macht man es denn am besten so, wie es die für die Katharina alle Nuancen ihres Könnens verschwendende Inge K o n r a d i mit der großen Lehr-Rede der Schlußmoral von den gehorsamen Weibern tat: man spricht sie so dezidiert, so überdeutlich, daß die Ironie dahinter wetterleuchtet und durchblitzt. Daß die Gewaltlosigkeit des weiblichen Widerstandes am Ende doch den auftrumpfenden Herrn der Schöpfung zum eigentlich Gezähmten macht. Diese Doppelbödigkeit des nicht nur auf Situationskomik beruhenden Lustspiels wurde erst im zweiten Teil erlebbar. Zu Anfang wa' alles überlaut, krampfig und besonders der kleinen Akademiebühne unangepaßt. Teo Ottos Bühnenbild war fast zu ideenreich verspielt. Die Musik Paul Andere r s blieb hingegen wohltuend dezent. Neben Inge Konradi hielt sich Walther Reyer als Petrucchio so ausgezeichnet, daß die kongeniale Partnerschaft dieser beiden Ehegesponse von Bild zu Bild überzeugender erschien. Nichts mehr vom schnauzbärtigen Bramarbas und Dompteur früherer Zeiten. Eine wahre Freude, der Sly des Heinz M o o g: nicht nur wegen seines Vorspieltextes, sondern besonders wegen seiner herzerwärmenden Verkörperung des „idealen“ und mitspielenden Zuschauers der Komödie.

Das bedeutendste geistige, wenn auch nicht unbedingt theatralische Ereignis dieser Tage: Jean Anouilhs „Armer B i t o s“ in der J o s e f s t a d t. Gewiß sind zwei seiner geistigen Ebenen dem hiesigen Durchschnittspublikum schwerer zugänglich als den Franzosen, als deren Familienauseinandersetzung das Stück ja wohl ursprünglich gedacht war: die der historischen Französischen Revolution und die der hier immer wieder beziehungsreich angedeuteten Aktualität der Nachkriegszeit zwischen Kollaboration und Resistance. Aber Anouilh ist eben nicht nur Chronist, Polemiker, Zeitsatiriker (das ist er alles auch). Er ist ein Dichter. Und so wird hinter der politischen, hinter der historischen Ebene eine dritte sichtbar: die der existentiellen Auseinandersetzung, das „Ja und Nein“, in das die Gedanken-Teihen dieses für tausend Jahre westlicher Tradition haftbaren Franzosen immer wieder einmünden. Die verzweifelte Alternative: Vollmensch-Sein und allen

Schmutz, alles Fragwürdige in Kauf nehmen, oder die Liebe zur absoluten Reinheit, die Tod und Gift für einen selbst, ja für die ganze Umwelt bedeuten, wie chemisch reines Wasser. Der Provinzstaatsanwalt, der in der fragwürdig-uÄhBlorndeW~i qualliger Welt dir' Überdauerer am Resistance-Ideal des Robespierre festhalten will und der sich vor dem eigenen allzu menschlichen Schwachwerden nur durch die Flucht in neue tödliche Reinheit retten kann, ist wahrhaft ein „Armer“. Leopold Rudolf hätte das auch klarzumachen vermocht, wenn er — vor allem bei der Halluzination des echten Robespierre — weniger an expressiver Übersteigerung eingesetzt hätte. Heinrich Schnitzlers Regie war besonders ein Dienst am Text, an seiner Durchgliederung und Sinnerfüllung. Die Schauspieler der Josefstadt mühten sich mit ganzem Einsatz: Erwähnen wir von den Herren Peter Gerhard und Kurt Hein-tel, von den Damen — bestochen durch die schlichte Interpretation des überaus schönen Textes — Gerlinde Locker.

Auch ein Klassiker von barbarisch-herber Unzulänglichkeit kann zum Kammerspiel verdichtet werden. Das Atelier-t h e a t e r versuchte dies mit einigem Erfolg an Hebbels „G y g e s“. Am besten gelang dies optisch. Ernst 6 r u-z e k s Bühnenbild und Agnes Laurents Kostüme (besonders das der Rhodope) gaben eine akzentsicher-anspruchsvolle Vorlage, die die Darsteller, um deren rhetorische Disziplin sich Regisseur und Hauptdarsteller Veit R e 1 i n (selbst ein ausgezeichneter Sprecher) mit Erfolg bemühte, von der persönlichen Substanz her nicht ganz auszufüllen vermochten. Aber wer kann das heute bei Figuren Hebbels? Wer müht sich aber auch darum?

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