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Fidelios Leidensgeschichte

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Im Jahre 1803 (nicht, wie Beethovens späterer Mitarbeiter Georg Friedrich Treitschke berichtet, 1804) erhielt Beethoven vom Eigentümer des k. k. priv. Theaters an der Wien, Freiherrn von

aun, den Auftrag, eine Oper für diese Bühne zu schreiben. Joseph Sonnleithner bearbeitete zu diesem Zweck das von Beethoven gewählte Sujet nach Jean Nicolas Bouillys „Leonore ou 1 amour conjugal“, obwohl es bereits zwei Opern nach diesem Buch gab: eine französische mit Musik von Pierre Gaveaux und eine italienische von Ferdinand Paer. In der zweiten Hälfte des Jahres 1805 wurde Beethovens Partitur fertig. Am 15. Oktober, dem Geburtstag der Kaiserin, tollte die Premiere stattfinden.

Da erhielt Sonnleithner, der Hoftheater-lekretir war, von der Zensurstelle das Textbuch zurück, weil es angeblich für eine öffentliche Aufführung ungeeignet war. In seiner Eingabe macht er geltend, daß Ihre Majestät die Kaiserin und Königin das Original sehr schön finde; daß ferner eine Oper nach dem gleichen Sujet bereits in Prag und Dresden gegeben worden sei; daß Beethoven über eineinhalb Jahre mit der Komposition seines Buches zuhalten worden seien; daß viertens die Handlung leibst im 16, Jahrhundert spielt, „also gar keine Beziehung unterliegen kann“; daß fünftens ein großer Mangel an guten Opernbüchern herrsche und „Leonore“ das rührendste Gemälde der weiblichen Tugend darstellt.

Zwar erhielten die Autoren hierauf den Bescheid, daß die Aufführung „nach einiger Abänderung der gröbsten Szenen“ stattfinden könne, aber der vorgesehene Zeitpunkt war vorüber. Inzwischen waren — am 13. November — die Franzosen in Wien eingerückt und das Ungewitter des Krieges „raubte den Zuschauern die zum Genüsse eines Kunstwerkes erforderliche Ruhe“. Unter diesen ungünstigen äußeren Umständen fand am Mittwoch, den 20. November 1805, in dem k. auch k. k. priv. Schauspielhaus an der Wien die Premiere statt. Trotz Besetzung mit besten Kräften erhielten die Aufführungen vom 20., 21. und 22. November wenig Beifall. Am 26. Dezember 1805 berichtet i.Der Freimütige“:

„Eine tttut Beethovensche Oper: .Fidelio, oder die eheliche Liebe' gefiel nicht. Sie wurde nur einige Male aufgeführt und blieb gleich nach den ersten Vorstellungen ganz leer. Auch ist die Musik wirklich weit unter den Erwartungen, wozu sich Kenner und Liebhaber berechtigt glaubten. Die Melodien sowohl als die Charakteristik vermissen, so gesucht auch manches darin ist, doch jenen glücklichen, treffenden, unwiderstehlichen Ausdruck der Leidenschaft, der uns in Mozartschen und Cherubinischen so unwiderstehlich ergreift. Die Musik hat einige hübsche Stellen, aber sie ist sehr weit entfernt, ein vollkommenes, ja auch ein gelungenes Werk zu sein.“

In der „Allgemeinen Musikalischen Zeitung“ vom 8. Januar 1806 heißt es:

„Beethoven hatte bis jetzt so manchmal dem Neuen und Sonderbaren auf Unkosten des Schönen geopfert; man mußte also vor allem Eigentümlichkeit, Neuheit und einen gewissen originellen Schöpfungsglanz von diesem, seinen ersten theatralischen Singprodukte erwarten — und gerade diese Eigenschaften sind es, die man am wenigsten darin antraf. Das Ganze, wenn es ruhig und vorurteilsfrei betrachtet wird, ist weder durch Erfindung noch durch Ausführung hervorstechend. Die Ouvertüre (es handelt sich um die zweite Leonorenouvertüre op. 72) besteht aus einem sehr langen, in allen Tonarten ausschweifenden Adagio, worauf ein Allegro aus C-dur eintritt, das ebenfalls nicht vorzüglich ist und mit anderen Beethovenschen Instrumentalkompositionen — auch nur z. B. mit seiner Ouvertüre zum Ballett „Prometheus“ — keine Vergleichung aushalt. Den Singstücken liegt gewöhnlich keine neue Idee zugrunde, sie sind größtenteils zu lang gehalten, der Text ist unaufhörlich wiederholt und endlich auch zuweilen die Charakteristik auffallend verfehlt... Die Chöre sind von keinem Effekt, und einer derselben, der die Freude der Gefangenen über den Genuß der freien Luft bezeichnet, ist offenbar mißraten. Auch die Aufführung war nicht vorzüglich.“

Eine Umarbeitung der Oper schien notwendig, vor allem eine Kürzung. Die Beratung hierüber fand bei einer 'Zusammenkunft im Hause des Fürsten Lichnowsky statt, worüber der für die Rolle des Florestan vorgesehene August Rockel seinem Freund Ferdinand Ries später ausführlich berichtet hat. Diese denkwürdige Sitzung, die für das weitere Schicksal der Oper von entscheidender Bedeutung wurde, dauerte von sieben Uhr abends bis zwei Uhr früh. „Nicht eine Note“ wollte Beethoven anfänglich opfern,

aber den Bitten der Fürstin gab er schließlich nach und nahm bedeutende Kürzungen vor.

Am 10. April 1806 fand die Aufführung der neuen Fassung statt. Die „Zeitung für die elegante Welt“ schrieb am 20. Mai:

„Die Umarbeitung besteht in der Zusammenziehung dreier in zwei Akte. Es ist unbegreiflich, wie sich der Komponist entschließen konnte, dieses gehaltlose Machwerk Sonnleitners mit der schönen Musik beleben zu wollen, und daher konnte.. . der Effekt des Ganzen unmöglich von der Art sein, wie sich der Tonkünstler wohl versprochen haben mochte, da die Sinnlosigkeit der rezitierenden Stellen den schönen Eindruck der abgesungenen ganz oder doch größtenteils verwischte. Es fehlt Herrn B. gewiß nicht an hoher ästhetischer Einsicht in seine Kunst, da er die in den zu behandelnden Worte liegende Empfindung vortrefflich auszudrücken versteht, aber die Fähigkeit zur Uebersicht und Beurteilung des Textes in Hinsicht auf den Totaleffekt scheint ihm ganz zu fehlen.“

Ueber die Leonorenouvertüre Nr. 3 las man am 11. September im „Freimütigen“:

„Vor kurzem wurde die Ouvertüre zu seiner Oper .Fidelio', die man nur einige Male aufgeführt hatte, im Augarten gegeben, und alle parteilosen Musikkenner und Freunde waren darüber vollkommen einig, daß so etwas Unzusammenhängendes, Grelles, Verworrenes, das Ohr Empörendes schlechterdings noch nie in der Musik geschrieben worden sei. Die schneidendsten Modulationen folgen aufeinander in wirklich gräßlicher Harmonie und einige kleinliche Ideen, welche auch jeden Schein von Erhabenheit daraus entfernen, worunter z. B. ein Posthornsolo gehört, das vermutlich die Ankunft des Gouverneurs ankündigen soll, vollenden den unangenehmen, betäubenden Eindruck. Es sind nicht Herrn v. Beethovens Freunde, die solche Dinge bewundern, vergöttern, ihre Ansicht anderen gleichsam im Sturme aufdrängen, mit neidischem Hasse jedes andere Talent verfolgen und auf den Trümmern aller anderen Komponisten nur Beethoven einen Altar errichten

möchten. Alles, was gerade in den Beethoven-ichen Kunstschöpfungen offenbar nicht schön genannt werden kann, weil es dem gebildeten Schönheitssinn durchaus widersteht, wollen sie unter die weitere Sphäre des Großen und Erhabenen bringen, als wenn nicht eben das Große und Erhabene einfach und anspruchslos wäre.“

Als Beethoven den Hofbankier Braun aufsuchte, der auch das Theater an der Wien leitete, um sich über den geringen Ertrag seiner Tantiemen zu beschweren, erklärte ihm dieser den Ausfall der Kasse dadurch, daß wohl alle logen und Sperrsitze besetzt gewesen wären, nicht aber die Plätze, auf welchen, wie bei den Mozartschen Opern, sich die Volksmasse drängt und die höheren Einnahmen bringt. Worauf Beethoven, aufgebracht durch das Zimmer rennend, laut schrie: „Ich schreibe nicht für die Menge, ich schreibe für die Gebildeten.“ Die Unterredung endete damit, daß Beethoven erzürnt seine Partitur zurückverlangte.

Acht Jahre später veranstalteten die Inspizienten der k. k. Hofoper eine Vorstellung zu ihren Gunsten. Die Wahl eines Werkes „ohne Kosten“ fiel auf „Fidelio“. Beethoven stellte seine Partitur zur Verfügung, bedingte sich jedoch ausdrücklich zahlreiche Aenderungen aus, die Treitschke — was den Dialog betrifft — mit Erlaubnis Sonnleithners durchführte. Nunmehr erhielt „Fidelio“ im wesentlichen jene Form, unter der wir die Oper heute kennen. Die neue Ouvertüre war zu dem für die Aufführung vorgesehenen Termin, den 23. Mai 1814, nicht fertig geworden, so daß man für diesmal die Ouvertüre zu „Prometheus“ voranstellte. Beethoven dirigierte, „aber — so berichtet Treitschke — Kapellmeister Umlauf lenkte hinter seinem Rücken alles zum Besten mit Blick und Hand.“ Der Beifall war groß und stieg mit jeder Vorstellung. Die siebente, am 18. Juli, wurde Beethoven zum Vorteile statt eines Honorars überlassen. Auswärtige Bühnen bestellten die Oper, andere sagten ab, wieder andere zogen es vor, „auf wohlfeilerem Wege durch hinterlistige Abschreiber sich zu versehen, die, wie noch gebräuchlich, Text und Musik stahlen und mit einigen Gulden Gewinn verschleuderten“. Der Kampf Beethovens mit diesen Schmarotzern bildet die letzte Phase der Leidensgeschichte „Fidelios“.

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