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Genauigkeit mit dem Feuer des Liebenden

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Er steht heuer im Mittelpunkt der Wiener Festwochen: Nikolaus Harnoncourt, einer unserer berühmtesten Originalklang-Spezialisten, stellt mit den Regisseuren Jürgen Flimm und Marco Ärturo Marel-li drei exemplarische Opernproduktionen vor: Im Theater an der Wien führt er zwischen 10.Maiundl3. Juni „Alfonso und Kstrella" und „Des Teufels Lustschloß" seines Lieblingskomponisten Franz Schubert und die wenig bekannte Oper „Alcina" von Georg Friedrich Händel auf. Eine Koproduktion und zwei Gastspiele aus Zürich, wo man Harnoncourt für solche Ausgrabungen stets vorbildliche Konditionen geboten hat. Und bietet.

Wie immer bei Harnoncourt verspricht diese Annäherung an Schubert und Händel Ungewöhnliches: in der musikalischen Interpretation, in der Harnoncourt höchste wissenschaftliche Genauigkeit mit dem Feuer eines Liebenden füllt und das ganze musikalische Netz tiefer Zusammenhänge klarzulegen versucht; aber auch in der analytischen Vertiefung der Stoffe, die man bisher allzu leichthin als „schwache Werke" abgetan hat. Harnoncourt im Gespräch: „Eigentlich merkwürdig, daß man mich bittet nachzuweisen, daß diese Stücke nicht so schlecht sind, wie man bisher angenommen hat. Aber gerade bei diesen Werken geht es mir nicht nur um Schönheit in der Musik, sondern um Wahrheit."

Was Harnoncourt in Wien vorstellt, ist nicht mehr und nicht weniger als eine revolutionierende Entdeckung: „das dramatische Talent Schubert"! Der romantische Musikdramatiker, der in dem Horror-Thriller „Des Teufels Lustschloß" Menschen auf Herz und Nieren auf ihre Wahrhaftigkeit und Treue prüft und den Helden Oswald ausschickt, das Land vom Tyrannen und seinem Geisterschloß zu befreien; der in „Alfonso" die Geschichte zweier Königskinder nachzeichnet, die umherirrend zueinan-derfinden. In „Alcina" fasziniert ihn die Begegnung des Helden Orlando mit der Zauberin, die seine Freunde -voll tiefer erotischer Symbolik! - in Bäume und Steine verwandelt. Werke, hinter deren phantastischer Fassade die romantischen (Seelen-)Ab-gründe faszinieren, die - so Harnoncourt - auch musikalische Entsprechungen finden.

Es war eine Sternstunde, als Harnoncourt 1986 mit seiner fulminanten Premiere von Mozarts „Idomeneo" erstmals ans Pult der Wiener Staatsoper trat: Musikmanager und Opernfreunde erhofften, daß das die Geburtsstunde einer neuen Ära der Wiener Mozart-Interpretation werden sollte. Die Beziehungen zwischen Harnoncourt und dem Haus am Ring entwickelten sich indessen nicht reibungslos. Meinungsverschiedenheiten zwischen Harnoncourt und dem Orchester, sowohl bei der „Zauberflö-te" als auch bei „Cosi fan tutte", führten zum Bruch. Der Dirigent wandte sich daraufhin den Salzburger Festspielen zu, um aber auch dort nach künstlerischen (und vor allem besetzungspolitischen) Auseinandersetzungen mit dem Intendanten Gerard Mortier das Handtuch zu werfen. Der liebenswürdig-konziliante Harnoncourt hielt damit nicht länger hinter dem Berg, daß er sich in künstlerischen Fragen nicht an der Nase herumführen lassen wollte. Er wandte sich nach Zürich, dessen Opernchef, der Wiener Alexander Pereira, einst erfolgreicher Generalsekretär des Wiener Konzerthauses, ihm alle Wege ebnete: Harnoncourt konnte im eleganten Operntheater von Fellner und •Helmer stets seine Vorstellungen verwirklichen. Ob er nun Mozart-Opern in exemplarischen Aufführungen herausbrachte, sich der Barockoper widmete oder voll Experimentierlust sich einem für ihn völlig neuen Gebiet -etwa Verdis „Aida" - zuwandte.

Spannungen von einst sind inzwischen ausgeräumt. Die Zeitschrift „Bühne" hat Harnoncourt heuer zum „König der Wiener Festwochen" gekürt. Längst ist er erfolgreich wie einst Herbert von Karajan, der ihn bei den Salzburger Festspielen jahrelang aussperrte. In der Verwirklichung seiner künstlerischen Vorstellungen ist er konsequent wie dieser (ja, mitunter sogar noch rigider). Und wie dieser hat er die musikalische Welt auf den Kopf gestellt - doch als alle seine Ergebnisse im barocken und klassischen Bereich voll akzeptiert wurden, hatte er sie alle bereits überholt: Aus einem Originalklang-Denken hatte er ein Denkprinzip entwickelt, das seine fundamentale Gültigkeit für jede Musik hat - von Bach bis Wagner und Verdi.

Harnoncourt ist heute einer der meistgefragten Dirigenten. Bei den Wiener Festwochen und den Zürcher Festspielen, bei seiner glanzvollen Grazer „styriarte", wo er Schuberts „Lazarus" und Händeis „Trionfo" mit seinem Concentus musicus und Brahms-Symphonien mit dem Chamber Orchestra of Europe aufführt, 1998 mit einer „Fledermaus" im Theater an der Wien, mit seinem Debüt in den Abonnementkonzerten der Wiener Philharmoniker und so weiter. Er ist wirklich erfolgreich wie Karajan.

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