6755173-1967_43_14.jpg
Digital In Arbeit

GESPRÄCH MIT HOCHHUTH

Werbung
Werbung
Werbung

FRAGE: Verfolgte Sie, als Sie dieses Stück schrieben, eine bestimmte Absicht und wenn ja, welche?

ANTWORT: Ich habe zunächst ein Lesedrama geschrieben. Seine totale Bühnenwiedergabe erfordert etwa sechs Stunden. Zunächst war es nur meine Absicht, ein Stück über den Luftkrieg zu schreiben, um damit das Gewissen der Menschheit aufzurütteln und sie bereit zu machen für eine Ergänzung der Genfer Konvention der Land- und Seekriegsordnung

durch Schaffung eines Luftkriegsrechtes mit der Ächtung des Fläehenbombardements von Wohnstätten der Ziuilbeuölfce-rung.

FRAGE: Wie stellten Sie sich das auf der Bühne vor?

ANTWORT: Bombardements kann man auf der Bühne nicht zeigen. Ich habe daher die Auseinandersetzung und den Zusammenstoß zwischen Churchill und dem Bischof von Chichester zur Dokumentation meiner Ansichten aus meiner Phantasie gestaltet, toobei ich schließlich von der Figur Churchills einfach überwältigt wurde.

FRAGE: Und wie steht es dann mit der historischen Wahrheit?

ANTWORT: Es ist das Recht des Stückeschreibers, Situationen zu erfinden.

FRAGE: Sie haben auch, vermutlich aus rein dramatischen Erwägungen, die viel umstrittene Story von dem tragisch endenden Zusammenprall zwischen Churchill und dem Chef der polnischen Exilregierung General Sikorski eingebaut, obwohl diese Vorgänge mir mit dem eigentlichen Anliegen des Stückes in keinem Zusammenhang zu stehen scheinen. Was möchten Sie hierüber sagen?

ANTWORT: Erst später kam ich durch Informationen und Indizien — die Unterlagen befinden sich in einem Schweizer Banksafe und können erst in 50 Jahren der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden — auf die Hintergründe der geschilderten Gewaltlösung des Falles Sikorski.

*

Die entscheidende Schwäche des Stückes, dessen durchaus ernst zu nehmendes ethisches und moralisches Wollen wir keineswegs anzweifeln, liegt aber in der Uberfülle des in ihm enthaltenen Materials, dessen interessantester Teil nicht i in den oft banalen Dialogen, sondern in den spaltenlangen eingeklammerten Randbemerkungen seinen Niederschlag gefunden hat. In diesen, auf der Bühne nicht sichtbar werdenden Kommentaren Hochhuths aber ist die Brisanz und die berechtigte Aggressivität seiner Thesen enthalten. Davon freilich war in der auf drei Stunden reduzierten szenischen Deutung Hans Schweikarts kaum ein Hauch zu verspüren. Im Stile und mit der Flachheit eines historischen Bilderbuches läßt er uns einen Blick hinter die Kulissen des Regierens und Wirkens des Macht- und Realpolitikers Winston Churchill tun. Wir erleben ihn an Bord eines Kreuzers, im Bett und zum Schluß im Garten seines Landsitzes Chequers. Mit einem Frottetuch, gleich einer altrömischen Toga drapiert, rauscht er aus dem Bade herbei, um den russischen Botschafter per Telephon diplomatisch einzuwickeln. Wir sehen ihn zu Tränen gerührt über den Tod seines schwarzen Lieblingsschwans, während er zugleich mit hämischer Zufriedenheit die Zielphotos von den Devastierungen Hamburgs betrachtet. Ordonnanzen kommen und gehen. Telegramme ersetzen Aktionen. Und damit auch der menschliche Hintergrund nicht fehlt, wird zu guter Letzt noch eine eher peinlich wirkende Liebesaffäre zwischen einem polnischen Untergrundoffizier und der uniformierten Sekretärin des bulligen englischen Premiers aufgepfropft. Maria Emo und Günther Tabor waren die nicht zu beneidenden Interpreten des letztgenannten Paares, während O. E. Hasse den Part Churchills mit gekonnt knurrender Bonhommie herunterkonversierte. Der von vorbestimmter Tragik umhüllten Gestalt General Sikorskis wurde Dieter Borsche bestens gerecht. Peter Lühr, Albert Lieven, Rudolf Forster und Hans Christian Blech warfen das Gewicht ihrer schauspielerischen Intensität in die Waagschale, ohne an dem enttäuschenden Gesamteindruck dieser Inszenierung etwas ändern zu können. Schon vorbeugend hatte Hans Schweikart von einem regielichen Experiment gesprochen. Er und Hochhuth mußten sich am Ende einige massierte Buh-Rufe gefallen lassen.

*

Nur ganz schüchtern waren dagegen die Mißfallenskundgebungen bei der Premiere des dritten auf politische Zustände gemünzten Stückes dieser Festwochen, das der Brecht-Epigone Peter Weiss mit seinem neuesten Oeuvre „Gesang vom Lusitanischen Popanz“ beigesteuert hatte. Durch seine ziemlich einseitig gefärbte Brille nahm der auf kommunistischen Spuren wandelnde Agitator und Propagandist die Me-

thoden des Kolonialismus in Afrika, ausgehend von den Zuständen in der portugiesischen Provinz Angola, aufs Korn. Den geknechteten, nach Bildung lechzenden Schwarzen stehen die unbarmherzigen und heuchlerischen weißen Ausbeuter gegenüber, denen Kirche und Militär willig Handlangerdienste leisten. Diese politisch unterspickte Schwarzweißmalerei verzichtet bewußt auf jede psychologische Vertiefung oder gar dichterische Formung bei der Schilderung der unzweifelhaft vorhandenen sozialen Probleme. Mit rasanter Wucht und wirbelnder Dynamik läßt der von seinen überschäumenden Einfällen gejagte Karl Paryla als szenischer Inspirator die Schauspieler vor dem aus Blechresten zusammengestoppelten Popanz agieren. In einer Mischung von Musical, kabarettistisch überdrehter Posse und Agit-Prop-Schau der zwanziger Jahre knallen die verführerisch-aufrührerischen Sentenzen in Knittelversen und Satzfetzen über die kahlen Bretter der Schaubühne am Halleschen Ufer. Es stimmt einen freilich nachdenklich, daß Menschen nur wenige hundert Meter von der Realität der Berliner Mauer entfernt, dieser szenisch geschickt aufgeputzten, intellektuellen Tendenzkost, die kaum zu den Wegbereitern demokratischhumanitärer Gesinnung gehört, zujubeln können. Beklemmende Ahnungen schon erlebter, schauriger Totentänze steigen in einem auf und wollen so gar nicht zu diesem artiflziell vereinfachten Rechenexempel über Recht und Unrecht in der Welt passen.

Daß Nestroy auch an der Spree zu rauschenden Kritiker-und Publikumserfolgen kommen kann, dafür sorgte im Moabiter Hansa-Theater der vielseitig vitale Wiener Kurt Sobotka als Titus Feuerfuchs in der frischfröhlichen Posseninszenierung „Der Talisman“ inmitten eines spielfreudigen Ensembles reinrassiger Österreicher, die ihre lustigen Schmäh ebenso charmant verkaufen, ob sie nun seit Dezennien in Spree-Athen leben oder erst seit wenigen Wochen die „Berliner Luft“ atmen. <. ji

In dieser vielgerühmten Luft konnte auch die schockierende Zumutung der drei Einakter des nach New York emigrierten Belgiers Jean Claude van Itallie in der literarischen Werkstatt des Schiller-Theaters gedeihen. Harry Meyen ließ diese unter dem Titel Amerika Hurra“ zusammengefaßten Sketches, deren letzter nichts weiter ist als eine provokante Ferkelei voll pubertärer Sexualkomplexe, seine am blitzschnellen Jonglieren von Dialogbällen geübte präzise Regiearbeit angedeihen. Am gleichen Ort hatte einige Tage vorher Samuel Beckett sich und sein „Endspiel“, das er selbst inszenierte, decouvriert. Im Gegensatz zu seinen Bewunderern, die in dieses aktionslose Wortgeklingel tiefschürfende philosophische Gedanken hineingeheimnisten, stellte er fest, daß es nichts weiter sei, als ein Spiel mit makabren Situationen, eine zynische Schocktherapie gegen allzu unbekümmerte Saturiertheit.

In diesem Reigen der von der Öffentlichkeit mit echter Anteilnahme — ganz gleich ob pro oder kontra — diskutierten Festwochenproduktionen auf dem Theater fehlte auch nicht die rafflniert-verpackte Boulevard-Komödie. Victor de Kowa inszenierte und spielte die amüsante Edelkolportage „Das ohnmächtige Pferd“ der Frangoise Sagan in komödiantischer Laune, die seine Mitwirkenden und speziell die von knisterndem Temperament sprühende Gisela Peltzer mitriß.

Eindrucksvolle literarische Kost von europäischem Zuschnitt gab es außerdem mit zwei Einakterabenden in der „tribüne“. Diverse ausländische Gastspiele, allen voran Gtor-gio StreMers Pirandelto-Inszenierung „Die Riesen vom Berge“ und die an Äußerlichkeiten haftende Deutung von Ibsens „Hedda Gabler“ durch lngmar Bergman mit einem Ensemble des Königlich-Dramatischen Theaters aus Stockholm vervollständigten heuer die überaus reichhaltige und den Streit der Gemüter entzündende Theaterpalette der Berliner Festwochen, die unmittelbar zu erleben die Reise nack Berlin in jeder Hinsicht lohnte.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung