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Gottfried von Einems Nestroy-Oper

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Vier Jahre lang hat Gottfried von Einem an der Oper in zwei Aufzügen nach Johann Nestroy „Der Zerrissene“ gearbeitet, deren Text ihm, wie schon zu früheren Werken, Boris Blacher zurechtstrich. Die Uraufführung fand im September 1964 in Hamburg statt, in einem Klima, das für die Verlebendigung und Entfaltung von Wienerischen Komödientypen denkbar ungeeignet ist. Aber audi nach der sehr ambitionierten, gut besetzten und wohlstudierten Premiere an der Wiener Volksoper scheint die Bühnenkarriere dieses liebenswürdigen Werkes noch nicht gesichert.

Die Schwierigkeiten einer Oper nach einem Stück von Nestroy liegen auf der Hand: dessen Wortwitze, dialektische Argumentationen, pointiert formulierte Lebensphiloso-

pheme, Axiome, Aphorismen und Gedankensplitter müssen, um voll zur Wirkung zu gelangen, Wort für Wort verstanden werden. Das ist in einer gesungenen Komödie nie der Fall. — Doch gibt es da ja auch eine handfeste Handlung — die übrigens nicht von Nestroy erfunden wurde, sondern aus einem französischen Vaudeville mit dem Titel „L’homme blase“ stammt. Wem es gelingt, sich daran zu halten und Nestroy zu vergessen, der wird von Einem gut bedient.

Da ist einmal, von der ersten Minute an, in der stets tonalen Musik ein mitreißendes komödiantisches Brio, und da gibt es, als Kontrast, anmutige lyrische Episoden. Sämtliche Singstimmen sind sehr kantabel geführt, das Orchester ist brillant behandelt, was Einfall, Instrumentation und raschen Wechsel der Farben betrifft. Und da sind die idealen Maße für einen „leichten“ Opernabend, wo keinen Augenblick Langeweile auf kommen kann: Eine knappe Stunde dauert der erste Teil, etwa 40 Minuten der zweite.

Die Aufführung in der Volksoper kann als exemplarisch bezeichnet werden und könnte, mit den Bühnenbildern und Kostümen von Ekkehard Grübler, der Regie Hermann Kutschers und dem Dirigenten Werner Mayer glatt ins Große Haus am Ring transferiert werden. Der aus Steyr stammende Spielleiter (in der Bundesrepublik viel beschäftigt), der Münchner Dirigent und der aus Berlin gebürtige Frankfurter Ausstattungschef haben gemeinsam den Protagonisten und allen Nebenrollenträgern eine Ensembleleistung geboten, für die der Komponist nur dankbar sein kann (bis auf einige wenige Stellen, die zu laut und zu turbulent gerieten).

Mit dem spezifisch „Wienerischen“ der Darstellung war es recht unterschiedlich bestellt. Es wurde durch Kurt Wehofschitz als Schlosser Gluthammer und Ernst Gutstein als Pächter Krautkopf figürlich und darstellerisch am vollkommensten verkörpert. Auch Dorit Hanak als Kathi, für deren Kostüm und Spiel im französischen Quellenwerk als Kennzeichnung „un peu coquet“ angegeben ist, war ganz aufs Volks- tümlich-naive und Liebreizende gestimmt. Madame Schleyer war die bildhübsche, hochgewachsene Mir- jana Irosch, die ihr prächtiges Kostüm in dezent-feierlichem Schwarz mit Anmut und Würde trug: Jeder Zoll eine nicht mehr trauernde Witwe. Der gleichfalls gutaussehende, jugendlich-schlanke Harald Serafin in der Titelrolle, war ihr ein ebenbürtiger Partner, nur wirkte er als Herr von Lips ein wenig fremd in diesem Milieu, fand sich aber im zweiten Akt erstaunlich gut in die Rolle des grotesk-dümmlichen Bauernknechts. Alle Genannten beherrschten ihre zum Teil recht schwierigen Gesangspartien vorzüglich und verliehen dem Premierenabend festlichen Glanz. Das Publikum unterhielt sich bestens.

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