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Handels „Agrippina“ in München

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Als Opernkomponist konnte Georg Friedrich Händel in Deutschland keinem Boden gewinnen, erst nach dem überwältigenden Erfolg der Uraufführung seiner „Agrippina“ im Jahre 1709 in Venedig verbreitete sich sein Ruhm wie ein Lauffeuer. Das Textbuch stammt aus der Feder des Diplomaten und Kardinals Vincento Grimani, der eine Satire auf die politischen Intrigen in Rom zur Zeit des -Kaisers Claudius schrieb. Wie der Titel der Oper jedoch zeigt, ist nicht Kaiser Claudius, sondern seine Gemahlin Agrippina die zentrale Figur. Sie ist als eine blutrünstige Dame in die Geschichte eingegangen, nachdem sie — bevor sie von ihrem Sohn Nero umgebracht wurde — mehrere Morde auf dem Gewissen hatte, darunter auch den Kaisers Claudius selbst. Aber mit diesen düsteren, historischen Fakten beschäftigt sich Handels Oper nicht, sondern sie schildert das „Dolce vita“ im alten Rom.: Agrippina, die ihren Sohn Nero auf den Kaiserthron erhoben wissen möchte, spinnt ein raffiniertes Netz, in dem sich auch Otho, der Geliebte der ischönen Poppea, verfängt, die wiederum miit Gegenintrigen aufwartet und so zur großen, ebenbürtigen Widersacherin Agrippinas Wird. Lange Zeit war dieses Werk verschollen, und erst der Leipziger Handel-Forscher Professor Dr. Hellmuth Wolff hat die Oper vor einigen -Jahren neu bearbeitet und in die von ihm betreute Handel-Gesamtausgabe (Bärenreiter-Verlag) aufgenommen. In Halle wurde diese Fassung dann erstmals inszeniert, und nun ist sie in das Münchner Cuvilličs-Theater eingezogen, das dem barocken Werk einen idealen architektonischen Rahmen verleiht.

Rudolf Hartmann hat sich sehr viel Mühe mit dieser Inszenierung gegeben, aber diese Mühe spürt man nicht, man glaubt, es dürfe alles gar nicht anders sein, und das ist wohl das schönste Lob, das man dieser Aufführung spenden kann, nachdem uns Händel und Grimani weder Regieanweisungen noch genaue Tempi oder dynamische Vorschriften hinterlassen haben. Aber diese beinahe improvisatorische Komponente hat die hervorragendsten Eigenschaften des Regisseurs Hartmann auf den Plan gerufen. Mit Eleganz, Ironie, Esprit und einer exemplarischen Souveränität in der Führung seiner Akteure läßt Hartmann eine römische Gesellschaftsskizze erstehen, die uns in ihrer dekadenten Saturiertheit auffallend bekannt erscheint. Natürlich könnte man das sehr aggressiv, provokant und pointiert interpretieren, aber das ist Hartmanns Sache nicht, ihm genügt die diskrete Andeutung, und er überläßt es dem Publikum, sich seinen Reim darauf zu machen Jean- Pierre Ponnelle hat die Intentionen des Regisseurs bestens unterstützt. Seine Bühnenbilder und Kostümentwürfe, die immer wieder akklamiert wurden, waren bestechend in ihrer frechen, aber immer geschmackvollen Frivolität (hier zeigte sich der Franzose!) und harmonierten in ihrer verspielten Atmosphäre mit dem Rokokofluidum des Cuvilliės- Theatens. Die sehr differenzierte Partitur, die sich vor allem durch eine große Anzahl genial komponierter Arien auszeichnet und eine geradezu Mozartsche Gelöstheit ausstrahlt, erfordert ein bestens aufeinander abgestimmtes Ensemble, das die Bayerische Staatsoper dank ihrem vielgerühmten und von Rudolf Hartmann sorgsam behüteten Ensiemfolegeist stellen konnte. Kieth Engen (Claudius) traf das barocke Pomposo am überlegensten, Karl Christian Kohn (Otho) verströmte Pracht und Fülle seiner Stimme, Hanny Steffek war eine betörende Poppea, Hertha Topper eine überragende Agrippina. Besondere Hochachtung gebührt Brigitte Fassbaer- der (Narziss), die trotz vorausgegangener Erkrankung ihre Rolle vortrefflich gestaltete. Heinrich Hollreiser dirigierte zuverlässig und, nach der ersten Pause, auch mit viel Schwung und Einsatz. Der Beifall für eine der schönsten Inszenierungen der letzten Jahre war enthusiastisch.

Mit einer Neuinszenierung von Verdis „Falstaff“ waren die Münchner Opernfestspiele 1966 im Nationaltheater eröffnet worden. — Verdi zählte schon 80 Lebensjahre als sein Spätwerk uraufgeführt wurde. Seine orchestrale Charakterisierungskunst feiert hier, im „Falstaff“, wahre Triumphe und eben das ist die Sache Joseph Keilberths, der bereits seit mehreren Jahren immer intensiver den psychologischen Deutungen nachspürt und die jeweiligen Partituren bis ins kleinste

Detail hinein durchdringt. So kam es zu einer kongenialen Interpretation, an der das hinreißend musizierende Bayrische Staatsorchester einen wesentlichen Anteil hatte. Dem Regisseur Hans Hartleb ging es dabei in erster Linie um eine Wiedergabe im Geiste Shakespeares und er wurde von seinem Bühnenbildner Ekkehard Grübler — der das shakeSpearische 'Spielgerüst ins symbolische übersetzter 'tatkräftig und überzeugend sekundiert. Es gelang Hartleb, sowohl das Lyrisch- Versponnene des Elfenspuks als auch das Rüpelhafte aiuszuspielen, ohne in billigen Klamauk zu verfallen und durch die Persönlichkeit Fischer-Dieskaus wurde deutlich, daß „Palstaff“ nicht nur ein besoffener Tölpel, sondern ein „klassischer Narr“ ist, dem' die Wahrheit näher steht als die Grimasse. Dietrich Fischer-Dieskau steht mit seiner Leistung einsam und unerreicht auf den ersten Opernbühnen der Welt, daß er sich aber von einem echten Ensemble getragen wußte, ist das Verdienst, aller übrigen Akteure, von denen nur Erika Köth, Jean Madeira und Thomas Tipton besonders erwähnt sein mögen.

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