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Heerschau des Geistes oder Musikbörse?

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Wenn Wilhelm Furtwängler die Salzburger Festspiele mit der IX. Symphonie von Beethoven beschloß, so scheint uns eine Frage am Platz: Dem europäischen Musikhörer ist diese Aufführung längst ein geläufiger Begriff geworden, ja etwa in Wien stellt sie im Nicolai-Konzert ein schon gewohntes alljährliches Ereignis dar. Sosehr das Prinzip richtig ist, daß eine Festspielaufführung etwas Einmaliges und Unwieder-holbares sein soll und sosehr sich dies auch an bestimmten anderen Aufführungen oder Konzerten erwiesen hat, ist niemand auf den Gedanken gekommen, in diesem Schlußkonzert bloß die Transposition eines Saisonkonzerts in das Festprogramm zu erblicken, denn es wurde wieder „herrlich wie am ersten Tag“. Und man wird dessen inne, daß hier jene Ubereinstimmung zwischen dem Geist des Werkes und dem Geist der Wiedergabe vollständig erreicht ist, die für ein Festspiel unermüdlich gefordert werden muß. Wilhelm Furtwängler hat während der Festspiele in einem hochbedeutenden Vortrag, „Beethoven und wir“, unseres Wissens zum erstenmal, in so klarer Weise religiöse Motive, vor allem am Ende seiner Betrachtungen, aufleuchten lassen. Er führte das Verhältnis Beethovens zur Menschheit, sru seinen Hörern, auf das Gebot des Evangeliums „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ zurück und schloß mit der Feststellung, wenn Beethoven in das Finale der Neunten die Schillerschen Worte „Brüder, überm Sternenzelt muß ein lieber Vater wohnen“ gesetzt habe, so sei das die Manifestation einer Anschauung gewesen, die Beethoven selbst vorgelebt hat. Mögen diese Gedanken am Rande des Vortrages gestanden sein, die Tatsache, daß ein mitten im Weltgetriebe und vielleicht auch im Weltfieber stehender Künstler, der einer Generation angehört, die eher in pantheistisch-humanistischen, antik-heidnischen Anschauungen aufgewachsen war, aus einer künstlerischen Forderung heraus eine Konfrontation mit dem Religiösen vornimmt, die sich von den bekannten, ausgeleierten, pantheistisch-liberalen Formulierungen über Beethoven gründlich unterscheidet, sollte zu denken geben. Und nur dann, wenn im Programm der Salzburger Festspiele, das eines zentralen Gedankens nicht mehr länger entbehren kann, diese Konfrontation sichtbar wird, werden sie sich von der geistigen Öde einer Musikbörse unterscheiden. Auch wenn diese Forderungen zunächst überhört werden, sie können nicht mehr, verstummen und würden sich eines Tages als wirksam erweisen. Der Rahmen kann so weit gespannt werden, daß alle gültige Weltschönheit darin Platz hat.

Wenn wir die konzertanten Aufführungen des Sommers überblicken, so seien an erster Stelle die Konzerte der Philharmoniker gewürdigt. Außer einem Richard-S t r a u ß - Konzert unter Karl Böhm und dem zweifellos sensationellen, wenn auch Forderungen zunächst überhört werden, sie

mehr artistisch fesselnden Salzburger Erstauftreten Leopold Stokowskis gab es eine außerordentlich erfolgreiche Matinee unter R a f a e 1 K u b e 1 i k, die dankenswerterweise auch die „kleine“ g-moll-Syrophonie von Mozart brachte, unvergeßliche, begnadete Momente bei Edwin Fischer “besonders bei dem C-dur-Konzert von Beethoven) sowie ein sonntägiges Furtwängler - Konzert, bei dem außer einer wieder einmal glanzvoll hinreißenden V. Bruckner und der einleitenden Hebriden-Ouvertüre von Mendelssohn eines dankbar festgehalten werden muß: Furtwängler brachte einen Solisten der jungen Generation! Dietrich Fischer-Dieskau sang in erlebter Gestaltung die Lieder eines fahrenden Gesellen, Gustav Mahlers liebenswertes Jugendwerk. Schließlich dürfen wir noch die Wiederkehr eines lang vermißten Festspieldirigenten, nämlich Eugen Jochums, feiern, der in einem Mozart-Abend vor allem in dem unbeschreiblich seelenvoll musizierten Adagio und dem meisterhaft klar disponierten Finale der Jupitersymphonie Höhepunkte erreichte. Wir möchten diesen ernsten Dirigenten, der besonders in der Interpretation Bruckners und der Bachschen Passionen von ganz eigenständiger Kapazität ist, mit den ihm gemäßen Aufgaben betraut wissen und glauben, daß die erhöhte Pflege der beiden großen Mystiker der Musik eine jener Richtungen ist, in die das Salzburger Programm ausgebaut beziehungsweise erweitert werden sollte. Ein Ausbau der Chor- und Domkonzerte, die auch die sakrale Musik unserer Tage In Auswahl mit einbeziehen, ja vielleicht mit anregen sollten und sich um die Steigerung des instrumental-chorisrhen Niveaus unermüdlich bemühen müßten, dürfte nicht vernachlässigt werden. In diesem Jahr gebührt dem Leiter Professor M e ß n e r das Verdienst, Beethovens Oratorium „Christus am Olberg“ aufgeführt zu haben, ein Nebenwerk zwar, das aber, voll ursprünglicher, dem duetus der C-dur-Messe verwandter Frisdie, den Bannfluch der liberalen Kritikerpäpste und pantheistischen Beethoven-Umdeuter (siehe oben) nicht verdient. Bei der Einladung von auswärtigen Chören, die an sich begrüßenswert i6t, müßte man mehr Sorgfalt, Abwechslung und Strenge walten lassen.

Das Gesamtprogramm der Kammerkonzerte ließ eine übergeordnete Linie vermissen, doch gab es Höhepunkte. Man hatte zum Beispiel Abende dreier Pianisten angesetzt, von denen die beiden internationalen Solisten absagten, während das Programm Friedrich Guldas ein Musterbeispiel dafür abgab, wie ein Virtuosenprogramm im konventionellen Konzert„betrieb“ gewöhnlich aufgebaut wird. Für ein Festspiel gäba es wahrhaftig andere Programmideen. Die Mozart-Serenaden weisen zweifellos, vielleicht schon dadurch, daß sie sich im allge-

meinen auf den frühen „Salzburger“ Mozart beschränken, eine glückliche Programmgestaltung auf. Es müßte aber die Sache des künstlerischen Neuaufbaues des Mozarteumorchesters zu einer Sache der Festspiele selbst werden. Denn so sehr der Ausbau gerade der Mozart-Matineen mit ausgewählten Instrumental- und Gesangssolisten einem vitalen Bedürfnis entspricht, so wenig ist es im Interesse des Gesamtstandards tragbar, die Möglichkeiten, das Niveau des Orchesters

zu heben, das neben den Philharmonikern an die Weltöffentlichkeit tritt, etwa wegen finanzieller Armut des Bundeslandes Salzburg zu versperren. Salzburg wäre einer der Zentralpunkte, wo eine gesamtösterreichische Planung einzusetzen hätte, die wie der Gärtner das Kranke beschneidet, das Gesunde aber pflegt, nach dem Vorbild des Äneas, der alles verloren, die Penaten aber gerettet und wirksam gemacht hatte beim Aufbau einer neuen Welt.

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