6682189-1961_49_15.jpg
Digital In Arbeit

Ist Herr Karl unser Scapin?

Werbung
Werbung
Werbung

In seinem großen Stammhaus zeigte das Theater in der J o s e f s t a d t das Possenspiel von den Streiche des „S c a- p i n“. Es war — nach einer Vorlage von Moliėre — von und für Curt Bois. Dagegen wäre kaum etwas einzuwenden, denn gerade dieser etwas apokryphe Text des Franzosen ist kein unverletzliches Heiligtum. Wenn ihn Bois in die Gegenwart übersetzt hätte. Aber er übertrug ihn in ein Zwischenreich, in dem er selbst wohl ganz daheim ist, in das ihm aber kaum ein anderer Darsteller zu folgen vermochte. (Vom Regisseur Otto Schenk, der sich etwas schwerfällig um die einfach nicht zu erreichende Spannung bemühte, vom Bühnenbild Stefan Hlawas, dessen konstruierter Modernismus nicht nur bildlich in den luftleeren Raum führte, zu schweigen.) Curt Bois spielte sein eigenes Phantasiebild des traurigen Schelms, des Klugen, der danebenstehen muß, daneben- stehen will, und dem die Illusion genügt, klüger als all die anderen zu sein. Er spielte Tendenztheater von jener großartigen, ins Publikum hineinwirkenden Rasanz, die das Kennzeichen der vielgerühmten „Zwanziger Jahre“ war. Und er erreicht in seinen Monologen Augenblicke, in denen man sich von ihm. und eigentlich nur von ihm den Shylock wünschte. Aber er spielte für sich allein. Um ihn herum machte man Theater auf eigene Faust: Goldoni, Moliėre, „Simpl" was man eben gerade wollte. Höchst amüsant besorgten dies Emil Feldmar und Ger- linde Locker. Was die anderen taten, war nett, hätte aber ebensogut durch Stichwortlesen für Curt Bois ersetzt werden können.

Ging das Feuerwerk des historischen Scapin im historisch gewordenen Stil des Curt Bois solcherart ins Leere, so kann man dies von dem einstündigen Scheibenschießen auf das goldene Wienerherz, das Helmut Qaltinger in seiner (mit Carl Merz zusammen verfaßten) Soloszene vom „Herrn Karl" im Kleinen Theater im Konzert haus veranstaltete, weiß Gott, nicht behaupten. Hier saß jeder Schuß im Schwarzen, Roten oder Braunen des Publikums. Dieser Herr Karl ist mehr als ein naturalistisches Konterfei. Wir würden ihm gern jene heilkräftige Wirkung zuerkennen, die bei Raimund die verdoppelte Selbstdarstellung des Rappelkopf für den Menschenfeind besitzt. Aber dazu fehlt noch ein allerletztes Quentchen zur literarischen Vollgültigkeit. Noch ein bißchen weniger „Einzelfall“, von dem man sich doch noch distanzieren kann, noch ein bißchen mehr unerbittliche, unausweichliche Typisierung, damit- jeder weiß, daß wirklich er gemeint ist. Ausgezeichnet im Bühnenbild Gerhard Hrubys das Regiearrangement Erich Neubergs. Vorher zwei artistische Soloszenen der weiblichen Schauspielkunst. Von Cocteau mehr verfertigt als gedichtet, von Friedrich K a 11 i n a etwa schwerblütig inszeniert, temoeramentvoll. wenn auch ohne jeden Stich ins Morbide gesoielt von Sigrid Marquardt („D as Phantom von M a r s e i 11 e“), phosphoreszierend und mit brüchigem Charme von der großartigen Ursula Schult („D er schöne Teilnahmslos e“).

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung